
Wein, Marillen und die unentdeckte Wachau
Das linke Donauufer oder doch die ruhigere andere Seite. Klassiker und Geheimtipps. Die Wachau kann beides. Manchmal braucht es nur einen Perspektivenwechsel
Denkt man an die Wachau, denkt man an Dürnstein, an Weißenkirchen und an Ausflügler, die sich durch enge Gassen schieben. Doch auf der südlichen, der rechten Donauseite liegt eine andere Wachau – leiser, unaufgeregter, dafür Idylle und Heurigen-Geheimtipps. Wer hier den Donauradweg nimmt, hat seine Ruhe. Keine Busse, kein Souvenirshop. Sanfter Tourismus.
Zu sanft für Martin Bergkirchner. Der Bio-Winzer und Bio-Marillenbauer steht zwischen seinen Reben und Bäumen in Mitterarnsdorf und zieht die Augenbrauen hoch. „Es gibt Leute, die fragen wirklich: Seid ihr überhaupt Wachau?“ Ein Satz, der ihm oft begegnet – zusammen mit dem Klassiker: „Bei euch ist doch immer Schatten.“ Doch nix da. „Wir haben jetzt das Mikroklima, das es vor 40 Jahren in Weißenkirchen gab“, sagt Bergkirchner.
Das Südufer der Donau ist eine aufstrebende Weinregion
Und das war immerhin der Anfang vom großen Aufstieg zur Weinregion mit Weltruf. Und auch das ist nicht zu verachten: „60 Prozent der Weingüter in Rossatz und Arnsdorf sind bio.“ Nicht umsonst sei das hier die aufstrebende Weingegend schlechthin.
Doch nicht nur Wein prägt die Südseite der Wachau – auch die Marille hat hier ihren großen Auftritt. Genauer gesagt: Rossatz-Arnsdorf ist Österreichs größte Anbaugemeinde für die Frucht mit dem kurzen Saisonfenster und dem legendären Ruf. Hier wächst, was später zu Marmelade, Nektar oder Knödel wird. Wer mag, kann auf der sogenannten Marillenmeile spazieren – ein Obstlehrpfad mit Infoschildchen und gelegentlichem Duftkick.

Die Marillensaison beginnt bald. Wer die Original Wachauer Marillen kaufen will, sollte tunlichst auf das Siegel achten.
©Barbara ElserDie Route führt an Bergkirchners Latifundien vorbei, wo die Marillen Anfang Juni noch grün hängen. Doch Anfang Juli geht’s los – auch bei Bergkirchner mit dem Ab-Hof-Verkauf. Winter und Frühling haben keine negativen Spuren hinterlassen. „Bei den Marillen schaut’s heuer gut aus.“
Achtung beim Marillen-Kauf
Aber: Augen auf beim Früchtchen-Kauf! „Immer auf das Siegel schauen“, mahnt der Bio-Bauer. Gemeint ist das Qualitätssiegel „Original Wachauer Marille“, zu erkennen am Korb voller Früchte und der Aufschrift rundherum. Fehlt es, sollte man misstrauisch werden. Es komme vor, dass Schlingel am Großmarkt einkaufen und dann an Ausflügler verticken.
Wer denkt, das war’s dann mit der stillen Wachau, sollte übersetzen – wortwörtlich. Mit der Rollfähre über die Donau, hinüber zur anderen Seite – oder „richtigen“, wie manche meinen. Auch dort, abseits der üblichen Postkartenmotive, gibt es sie: die Orte, die weniger Besucher auf dem Radar haben. Aggsbach etwa. Dort betreiben Gabi und Georg – Nachnamen brauchen sie nicht, sie sind sofort per Du – die Pension Goldene Wachau, ein Kleinod zwischen Nostalgie und Designlaune. Italienische Fliesen im Bad, goldene Wasserhähne, ein Löwenkopf mit Krone vorm Frühstücksraum – und Zeit für ihre Gäste.
Der Jauerling, eine andere Welt
Auf der Terrasse, mit Blick auf die Donau, servieren sie mitunter Getränke und Geschichten. „Man ist nur ein paar Minuten unterwegs – und in einer völlig anderen Welt“, sagt Gabi. Sie empfiehlt eine Wanderung auf den Jauerling, die höchste Erhebung der Region. Und eine Einkehr im Mühlberghof. Denn dort schmeckt es, wie die Oma gekocht hat.
Klar, ganz ohne die Klassiker geht’s nicht. Dürnstein, Spitz, Weißenkirchen – das volle Wachau-Panorama. Aber muss man sich dafür gleich ins Getümmel stürzen? Wie wäre es mit einem Perspektivenwechsel?
Runterschalten, rüberschauen – und zwar vom Wasser aus. In einer Zille, dem traditionellen Holzboot, das gemächlich die Donau hinabgleitet. Kein Lautsprechergeplärr, kein Gedränge an Deck. Einsteigen beim Gefährt des Unternehmens Ahoi Wachau am Landeplatz in Spitz. Dort wartet Florian „Flo“ Haiminger. Eigentlich arbeitet er in der Personal- und Organisationsentwicklung, aber wenn es warm wird, hält er ein mobiles Heimatkundeseminar mit Schmäh und Weinverkostung ab. Während er an Rieden vorbeituckert, dürfen seine Passagiere ein Glas von dort verkosten. „Nach dem dritten Achterl wird es immer lustiger“, sagt er.

Auf einer Zille die Donau hinabfahren, Wein trinken und Interessantes erfahren: Das bietet unter anderem das Unternehmen „Ahoi Wachau“ an
©Daniel Gollner/NÖ WerbungIn Joching zeigt er nach rechts, an einen Hang: ein kleines Marterl. „Da hat der Grasser geheiratet.“ Gemeint ist Karl-Heinz Grasser, einst Finanzminister, mittlerweile ein Stück Zeitgeschichte. „Das Marterl heißt bei den Einheimischen Grasser-Marterl.“
Ein tropischer Donaustrand in Emmersorf-Luberegg
Doch es gibt nicht nur Marterln, Wein, Ruinen und Kirchen. Es gibt auch Strände, gar nicht wenige. Die Donau kann mehr als Kulisse. Sie kann auch Freibad. In Weißenkirchen breitet sich ein Sandstreifen am Ufer aus, perfekt für den Sprung in die Fluten. Eine Weile war das aus der Mode gekommen. Zuletzt erlebte das Flussbaden wie überall im Land ein Comeback. Rossatzbach lockt mit Blick auf Dürnstein.
In Emmersdorf-Luberegg fühlt sich der Sommer fast tropisch an: Boote schaukeln im Wasser, dahinter zieht sich der längste Sandstrand der Donau. Hell und weich, flankiert von einer grünen Wand aus Bäumen.

Nein, das ist nicht Südostasien, das ist die Wachau. In Emmersdorf-Luberegg liegt der längste Sandstrand der Donau. Finden muss man ihn
©Markus Haslinger / picturedesk.comDer Zillenfahrer lenkt sein Gefährt an einer der berühmtesten Rieden vorbei: Achleiten. „Von hier kamen in den vergangenen 15 Jahren zwei Mal die besten Rieslinge der Welt“, sagt Haiminger. Prager und Jamek haben sich die Auszeichnung geholt.
Die Wachau ist zwar nur 36 Kilometer lang und doch ein Ort der Superlative. Hier ist alles älter, idyllischer, geschichtsträchtiger, monumentaler. Selbst der Felsen, der früher weit in die Donau ragte, bevor er wegen des Eisenbahnbaus weggesprengt wurde.
Haiminger zeigt kurz vor Dürnstein auf einen großen Stein: „Früher konnten die Pferde, die die Schiffe am Treppelweg flussaufwärts zogen, durchs Wasser waten.“ Daher auch der Name „Wattstein“. Dass der gegenüberliegende Ort Rossatz – Ross im Namen – heißt, ist auch kein Zufall. Heute ist die Donau an dieser einst so flachen Stelle rund sechs Meter tief.
In den 1970ern wurden Pläne bekannt, dass auf der Höhe von Rossatz-Rührsdorf ein Wasserkraftwerk entstehen sollte. Zwei Winzer stellten sich quer: Josef Jamek und Franz Hirtzberger. „Sie wussten, dass große Weine nur am großen Strom wachsen. Und einen Strom hätte es nicht mehr gegeben“, erklärt Haiminger. Protest regte sich, das Kraftwerk kam nicht.
Eine andere große Geschichte ist die des englischen Königs Richard Löwenherz, der in Dürnstein eingesperrt war „Weil er angeblich die Babenberger-Fahne in den Dreck geworfen hat. Das haben sich die Österreicher nicht gefallen lassen.“ England sammelte ein gigantisches Lösegeld, um ihn freizukaufen. „Damit wurde später Wiener Neustadt gebaut“, sagt Haiminger. „Und Wiener sagen noch heute: Dafür hätten wir was Besseres kriegen können.“ Dann hebt er die Hände: „Das hab nicht ich gesagt!“ Er lacht.

Dürnstein
©Getty Images/iStockphoto/bluejayphoto/istockphotoGesellig sind sie in der Wachau, sagt er. Das habe auch mit dem Wein zu tun. Also nicht nur wegen der Wirkung. Viele sind berufsmäßig mit dem Wein verbandelt. Man kennt einander. Das findet auch Guido Bauer, er ist Geschäftsführer der Schloss Greisslerei in Dürnstein. Das Lokal gehört zum Schloss Hotel, dem einzigen Fünfsterne Hotel Niederösterreichs. Er ist nach ein paar Jahren Wanderschaft wieder hierher gekommen. Wegen der Gegend, wegen der Menschen.
„Setz dich her, sagen sie hier gleich.“ Bauer und sein Team verkaufen in der Greisslerei Produkte aus der Region. Der Verkaufsschlager: Marillenprodukte. Marillenmarmelade, Saft. Dazu serviert man Wachauerweckerl mit Käse – selbstverständlich mit Marillenchutney. Bei den Knödeln ist man hingegen streng. „Am besten wäre es aus Sicht der Gäste, es gäbe sie das ganze Jahr. Wir servieren sie nur, wenn sie frisch sind.“
Was für ein Wiener Schnitzel bei der Hofmeisterei Wösendorf
Generell hat man hier ein Gespür fürs Gute entwickelt. Die Wachau ist ein Hort des gepflegten Genusses: Ein Paradebeispiel: die Hofmeisterei in Wösendorf, die Küchenchef Erwin Windhaber und Maitre Hartmuth Rameder seit 2014 führen. Gestartet als bürgerliches Wirtshaus hat man sich heute drei Hauben erkocht. Neben einem mehrgängigen Menü gibt es immer noch Klassisches wie Wiener Schnitzel. Und das wird man mit seiner knusprigen Panade, ja, man muss es schreiben, in Wien selten bis kaum besser bekommen. Die historischen Räumlichkeiten sind beeindruckend, doch die Hofmeisterei hat auch ein Drei-Hauben-Picknick für Wanderungen im Programm.
Kuriose Fakten. Wussten Sie, dass ...
… Winzer aus Krems den süßen Senf erfunden haben? Der Legende nach hatten sie zu viel Most übrig und verwendeten ihn statt Essig.
… das Wachauer Laberl seine rissige Oberfläche einer speziellen Technik verdankt? Der Teig wird auf einer rauen Unterlage geschliffen.
… der Wein vom Weingarten „Dürnsteiner Katzensprung“ zu den Verhandlungen zum Staatsvertrag nach Moskau mitgenommen wurde?
Während die einen fein essen, steigen andere in Steillagen. Zum Beispiel Michael Donabaum und Daniel von der Vogelwaid. Zwei, die unter dem Namen von der Vogelwaide mit Sitz in Rossatz-Arnsdorf Wein machen – aber etwas anders. Donabaum stammt aus einer Weinbauernfamilie in Spitz, sein Partner ist gebürtiger Deutscher, hat Weinbau unter anderem in Bordeaux studiert. „Wir haben bei null angefangen“, sagt Donabaum.
Heute bewirtschaften sie Flächen in fast allen Wachaugemeinden – „außer Dürnstein“, fügt er hinzu. Die beiden haben sich bewusst für den steinigen Weg entschieden. Steillagen, Terrassen, Weingärten, die Jahrzehnte brachlagen. Manche bis zu 80 Jahre. Sie setzten auf die alte Stockkultur, eine fast vergessene Erziehungsmethode: Kein Draht – nur ein einzelner Stock, an dem die Triebe aufgebunden werden, bodennah und widerstandsfähig. Das Prinzip ließ sich Daniel von der Vogelwaid gleich auf den Arm tätowieren.

Michael Donabaum (li.) und Daniel von der Vogelwaid machen viel beachteten Wein
©Ian EhmWir wollten gesunde Böden, hohe Humusanteile, keine kaputtgearbeiteten Flächen“, sagt Donabaum. Biodynamisch sollte das Ziel sein. Nur mit dem Etikett Naturwein wollte man sich nie schmücken. „Das passt nicht. Naturwein entstand dort, wo Weine wenig Profil hatten. Wir arbeiten in einem extrem aufwendigen Terroir.“ Auch bei den Rebsorten schwimmen sie gegen den Strom. Keine Klassiker, sondern viel beachtete Cuvées, gebaut aus Sorten, die Trockenphasen besser überstehen.
Das ist die Wachau. Vergangenheit zum Anfassen, Zukunft zum Anstoßen – und dazwischen Marille, Donau und das gute Gefühl, zumindest einen Geheimtipp zu kennen, den man fast für sich behalten will.
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