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Reise

"We hike Jazz": Wenn beim Wandern die Musik den Takt vorgibt

Geht Ende August das Jazzfestival Saalfelden über die Bühne, greift Bassist Lukas Kranzelbinder wieder zu den Wanderschuhen.

Im Rahmen der meist schnell ausgebuchten „We hike Jazz“-Wanderungen ist Lukas Kranzelbinder auch für Neuankömmlinge auf Anhieb gut zu erkennen: Er ist derjenige mit dem großen Kontrabass auf dem Rücken.

Als Art alpiner Musikguide führt der gebürtige Kärntner schon seit vielen Jahren Musikbegeisterte in die Natur: „Spielt man am Berg, hat das eine Direktheit, die nicht vergleichbar ist mit einem Konzertsaal oder einer Open-Air-Bühne. Das Spielgefühl und die Begegnung mit den Zuhörenden sind völlig anders.“

Als Programmpunkt des renommierten Jazzfestival Saalfelden wird hier alljährlich im gemütlichen Tempo in Richtung Alm gewandert, eine Prozession aus Instrumenten. Zwischendurch wird immer wieder gespielt – und Künstler und Publikum kommen einander näher. Oder wie es Lukas Kranzelbinder formuliert: „Durch das Wandern, den Austausch und das Musizieren wächst die Gruppe zusammen und wird zu einer Einheit, die sich ganz natürlich anfühlt.“

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Schon seit Jahren geht Lukas Kranzelbinder (im Bild links) mit Kontrabass und Gleichgesinnten in die Berge

©Rosario Multari

Dabei war der Schritt in die Natur für den Musiker und Komponisten ein einfacher: „Die Berge machen einen großen Teil unserer Landschaft und Traditionen aus. Da ist es fast absurd, wie verhältnismäßig wenig Instrumental-Musik dort stattfindet.“ Und zwischen den Gipfeln, den schroffen Felsen und Tälern bietet gerade das Steinerne Meer viel Raum zum Entfalten und Improvisieren. Dabei nimmt auch das Wandern selbst Einfluss auf die Musik: „Wegen der immer gleichen Bewegung gelangt man in eine Art Trance, die sich dann oft auch mit der Erschöpfung vermischt“, erzählt Kranzelbinder.

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Ein Höhleneingang wird zur Bühne

©Rosario Multari

Wird dann an einer Waldeslichtung oder unter einem Felsüberhang erneut halt gemacht und zu den Instrumenten gegriffen, ist es für den Cellisten oft der Moment, in dem „die spannendsten musikalischen Ideen entstehen, die von irgendwo tiefer herauskommen.“ Und: „Die Musik gibt dir einen richtigen Kick. Danach wandert man wie gelöst weiter.“

Zur Improvisation fordert die Natur aber auch heraus, wenn sie unvermittelt die Rahmenbedingungen ändert: Das kann ein Regenguss sein, der die Wanderung abkürzt. Dann wird eben kurzerhand eine Gondel oder Berghütte zum Spielort. Und manchmal sorgt die Natur für Chaos, in dem sie eigenes Publikum entsendet – zum Beispiel ein vierbeiniges: „Einmal spielten wir frühmorgens auf einem Hang, als plötzlich eine Herde Kühe auf uns zustürmte“, erinnert sich Kranzelbinder. Der einsetzende Adrenalinschub trieb die Musiker samt Instrumente flotten Schrittes den Berg hinauf. Erlebnisse wie diese tragen aber letztlich zum Charme derartiger Wanderungen bei. Denn ob geplant oder ungeplant: „Wir erkunden immer wieder neue Wege und Schauplätze – und die Naturkulisse bietet jedes Mal ein ganz eigenes Schauspiel,“ so der Musiker.

Ein Ort atmet Musik

Am Fuß des Steinernen Meeres begeht das Jazzfestival Saalfelden heuer sein 45-jähriges Jubiläum. Von 21. bis 24. August werden die rund 60 Konzerte den Ort mit Leben füllen: am Hauptplatz, im Kunsthaus Nexus, in der Stadtpfarrkirche oder auch im Bergbau- & Gotikmuseum Leogang. Das Eröffnungskonzert gehört dieses Mal dem Tenorsaxophonisten und Klarinettisten Leonhard Skorupa.  

Leonhard Skorupa beim Jazzfestival Saalfelden 2025

Leonhard Skorupa eröffnet 2025 das Jazzfestival Saalfelden

©Michael Geißler

An sein eigenes Eröffnungskonzert im Jahr 2016 kann sich Lukas Kranzelbinder gut erinnern. Mit 28 Jahren war er nicht nur der bisher jüngste Musiker. Der Auftritt hallt bis heute kräftig nach, war es doch die Geburtsstunde seiner Band Shake Stew: Als Repräsentanten der jungen, unkonventionellen Jazzszene Europas hat das siebenköpfige Ensemble seither sechs Alben herausgebracht, Auftritte von den USA bis Indien absolviert und war zuletzt im Wiener Konzerthaus zu Gast. Trotzdem zieht es Kranzelbinder immer wieder zurück. 

„Das Festival prägt Saalfelden schon so lange. Wenn ich ankomme und auf das Steinerne Meer schaue, habe ich oft schon einen bestimmten Sound im Kopf.“ Gerade in jüngster Zeit habe sich das Festival noch mehr geöffnet, um auch Jazz-Neulingen den Einstieg zu erleichtern.

Jazzfestival Saalfelden 2024

2024 organisierte Saxophonistin Yvonne Moriel spontane Jam-Sessions in Saalfelden

©Rosario Multari

Das passiert dann nicht nur in Form der Musikwanderungen. Im Ort selbst liegen vermehrt auch die beat-lastigeren Klänge des Mainstreams in der Luft. Den Beweis für die Bemühungen, mehr Menschen einzubeziehen, sieht Kranzelbinder dann vor den Bühnen: „Da steht dann der 70-jährige Jazzfreak neben dem 22-jährigen Hip-Hop-Fan.“

Relativ neu sind die Flashmobs: Spontan tauchen irgendwo im Ort Musikschaffende auf – etwa in einer Unterführung, im Stadtbus, im Blumenladen oder am Kirchturm – und geben ein zehnminütiges Impro-Set zum Besten. Die Festival-App verrät kurz zuvor, wo ein Auftritt stattfindet. „Es gibt so viele Möglichkeiten während des Festivals die Stimmung aufzusaugen. Die ganze Stadt atmet Musik“, so Kranzelbinder.

Belinda Fiebiger

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