Sex in der Freizeit

Late Bloomer: Alles anders - und plötzlich lesbisch

"Late Blooming": Frauen, die – jenseits der 40 oder 50 – ihre sexuelle Orientierung wechseln, gibt es häufiger als vermutet.

Manchmal kommt’s anders als geplant. Leserin Klara, knapp 60, fast 29 Jahre verheiratet, ein erwachsener Sohn, seit zwei Jahren geschieden, zeigt sich vom Leben angenehm überrascht: "Ich hätte nicht gedacht, mich nochmals zu verlieben. Schon gar nicht in eine Frau. Schreiben Sie darüber."

Was ich hiermit mache, zumal die Story recht kurios scheint: Klara verliebte sich in Martina, die – wie sie – eine heterosexuelle Vita hat. Die 51-jährige ist verwitwet und hat zwei erwachsene Töchter. Dass sie sich je in eine Frau verknallen würde, hätte auch sie sich nie erträumt.

Doch als die Beiden als "Freundinnen" einige Tage gemeinsam durch die Berge wanderten, funkte es. Gesprochen wurde zunächst nicht darüber, vor allem Klara war verunsichert: "Da war dieses Prickeln, eine mächtige Anziehung, das Bedürfnis, Martina zu umarmen, vielleicht noch mehr. Mich verwirrte das, und mir fehlte der Mut, irgendetwas davon zu tun."

Eines Tages kam, was musste: Sie offenbarte ihre Gefühle und, welch Wunder: Die Freundin empfand genauso. Happy End, das Schicksal, kein mieser Verräter: Heute leben sie zusammen und sind so glücklich wie zwei Teenager, die gerade ihre erste Liebe zelebrieren.

Aus unterschiedlichen Studien ist bekannt, dass Frauen eher geneigt sind, ihre sexuelle Orientierung zu verändern. Jüngere Frauen sind da heutzutage sowieso "fluider": Je nachdem, was sich ergibt, sind sie für Alternativen sexuell empfänglicher, zeigen ebenfalls Studien.

"Late Bloomer" für "Spätzünder": So heißen Menschen, die ihre sexuelle Orientierung erst im fortgeschrittenen Alter entdecken und alles Bisherige über den Haufen hauen. Prominente Vorbilder gibt es auch: etwa Jodie Foster, die sich mit 45 outete. Oder Cynthia Nixon – die "Miranda" aus "Sex and the City". Sie lebte viele Jahre mit einem Mann und hat Kinder mit ihm, nun liebt sie Frauen. 

Jetzt oder nie, wunderbar. Die Frage ist nur: War immer schon da, was so spät erblühte? 

Nun, gerade Frauen scheinen sich häufiger gesellschaftlichen Normen anzupassen – sie entscheiden sich im Zweifelsfall für den normativen Klassiker: verliebt, verlobt, verheiratet, dann Kinder – mit Mann. Ihre Anpassungsfähigkeit ist deutlicher. Ja, man hat vielleicht beim Skikurs Mädchen geküsst, doch sonst: traditionelle Spuren, denen es zu folgen galt.

Aus unterschiedlichen Studien ist aber bekannt, dass Frauen eher geneigt sind, ihre sexuelle Orientierung zu verändern. Jüngere Frauen sind da heutzutage sowieso "fluider": Je nachdem, was sich ergibt, sind sie für Alternativen sexuell empfänglicher, zeigen ebenfalls Studien. 

Das Lust-Spektrum ist breiter, während Männer direkter zur Sache kommen und weniger schwanken. In der Studie "Late Lesbian" kam Forscher Christian Moran bereits 2010 zum Schluss, dass heterosexuelle Frauen sich um 180 Grad wandeln können.

Darf ich das?

So oder so ist die Vorstellung, alles wäre fix, naiv. Viele Menschen sind nicht zu 100 Prozent hetero- oder zu 100 Prozent homosexuell, da existieren viele Schattierungen "dazwischen". Und plötzlich ist da einfach nur ein Mensch, unabhängig vom Geschlecht, bei dem es "Zoom" macht – die Welt steht Kopf. Zunächst vor allem die eigene, denn die Erkenntnis, dass sich die Landschaft des Begehrens gerade radikal ändert, ist ziemlich verwirrend. Zweifel kommen auf: Darf ich das, bin ich das? 

Eine Phase, die "inneres Coming-out" genannt wird, wo sich also ein Mensch mit dem Wandel seiner sexuellen Orientierung auseinandersetzen muss, um am Ende aufzustehen und zu sagen: "Ja. Das ist jetzt so. Ich fühle mich sexuell, emotional und romantisch zu Personen meines Geschlechts hingezogen." 

Ein oftmals komplexer Prozess (für den es mittlerweile eigene Coaches gibt), überhaupt, wenn’s bisher anders lief. Bei Klara und Martina galt jahrzehntelang: "Mann in Sicht". Nun schlendern sie händchenhaltend und schmusend durch die City.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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