Frau und Mann beim Geschlechtsverkehr

Zu nett fürs Begehren: Warum "People Pleasing" unsexy ist

„No More Mr. Nice Guy“ sang Alice Cooper einst. Ein Titel von zeitloser Kraft, übrigens auch für die eine oder andere „Mrs. Nice Guy“.

Wir alle wollen gefallen. Ein menschliches und machtvolles Bedürfnis, das in der emotionalen DNA sitzt, bei Frauen und Männern. Ein bisschen Bestätigung hier, ein nettes Kompliment da, Applaus, Applaus – klar, tut gut. Kein Mensch läuft freiwillig herum mit dem drängenden Wunsch, abgelehnt zu werden. Aber was passiert, wenn dieses „Gefallenwollen“ zum Lebensmotto wird? Wenn man im Dauermodus an eh alle funkt: „Sag mir, dass ich richtig bin! Sag mir, dass ich liebenswert bin! Sag mir, dass ich’s wirklich wert bin!“ Dann wird es eng. Nicht nur emotional – auch erotisch.

Wer alles tut, um zu gefallen, wirkt nur bedingt begehrenswert. Nicht, weil das bewusste Spiel mit Reizen unattraktiv wäre – im Gegenteil! – sondern weil das ständige Sich-Verbiegen, Anpassen und Ja-Sagen irgendwann nach Selbstverleugnung riecht. Das killt die Spannung, den Reiz, den Kick. Weil da, wo Bedürftigkeit regiert, der Raum für echte Anziehung kleiner wird. Wo zu viel „Brauchen“ ist, wächst der Druck. Wo die Authentizität schwindet, fehlt plötzlich der Gegenpol. Und wo einer alles gibt, damit der andere bleibt, gibt es keine Augenhöhe mehr – nur noch Gefälligkeiten und „Schatzi-Pleasing“. Anziehung lebt vom Unterschied. Vom Eigensinn. Vom Kontrast. Vom Widerspruch. Sie entsteht nicht, wenn sich zwei perfekt aneinander anpassen – sondern wenn sich zwei „ganze“ Menschen begegnen. Mit Ecken, mit Kanten, mit innerer Haltung. Kurz: Grenzen sind sexy. Nicht, weil sie hart machen – sondern klar. Weil jemand, der sich selbst ernst nimmt, nicht alles mitmacht. Weil jemand, der nein sagt, oft mehr Präsenz hat als jemand, der immer nur alles abnickt. Und ja, wer ständig gefallen will, ist oft nicht einfach nur „lieb“– sondern innerlich getrieben. Von der Angst, nicht zu genügen. Von der Vorstellung, dass Liebe nur dann kommt, wenn man möglichst geschmeidig, leise und im Weichspüler-Modus durchs Leben rutscht.

Dabei ist genau das der Schlüssel: Beziehung ist kein Beliebtheitswettbewerb. Liebe und Erotik entstehen nicht, indem jemand alles richtig macht – sondern indem er sich maximal zeigt. Mit einem klaren Ja. Mit einem entschlossenen Nein.

Was dahinter oft steckt? Ein mächtiges Gefühl namens Scham. Nicht zu verwechseln mit Schuld. Schuld sagt: Ich habe etwas falsch gemacht. Scham sagt: Ich bin falsch. Ein Gefühl, das sich tief einbrennt – meist in der Kindheit oder Jugend. Wenn wir gelernt haben: „So wie du bist, bist du zu viel. Oder zu wenig. Jedenfalls nicht richtig.“ Vielleicht durch Kritik. Oder durch Liebesentzug, wenn wir mal nicht so waren, wie es gewünscht war. Vielleicht durch ständiges Tüchtig-Sein-Müssen. Oder durch körperliche Scham und frühe Ablehnung. Irgendwann sitzt dieser Satz wie ein unsichtbares Tattoo unter der Haut und im Herzen: Ich bin nur dann etwas wert, wenn ich die Erwartungen anderer erfülle. Es entsteht ein „falsches Selbst“: Ein Mensch, der sich anpasst, bloß nicht aneckt, bloß nicht zu laut, zu wild, zu wahrhaftig ist. Aber genau das ist das Problem: Das Echte geht verloren. Und damit auch das Begehren. Scham ist ein veritabler Erotik-Killer.

Nicht im Sinne von Prüderie – sondern weil sie Verbindung verhindert. Wer sich innerlich nicht „okay“ fühlt, kann sich oft nicht wirklich zeigen. Nicht im Gespräch. Nicht im Streit. Nicht beim Vögeln. Dabei ist genau das der Schlüssel: Beziehung ist kein Beliebtheitswettbewerb. Liebe und Erotik entstehen nicht, indem jemand alles richtig macht – sondern indem er sich maximal zeigt. Mit einem klaren Ja. Mit einem entschlossenen Nein. Mit eigenen Bedürfnissen, Unsicherheiten – und einem echten Gesicht, statt einer Maske. Also ja: Gefallenwollen darf sein. Aber nicht auf Kosten der Selbstachtung. Wir sind da, um anderen Menschen zu begegnen – lebendig, ganz, unverstellt. Und das ist … ziemlich sexy.

Lesetipp.

Heute schon geküsst? Das Buch  „Küssen ist die Sprache der Liebe“ von Wolfgang Krüger (BoD),  Psychotherapeut, inspiriert dazu. Der Kuss ist ein körperlicher Austausch, an dem alle fünf Sinne beteiligt sind. Wer küsst, drückt Nähe aus.  Hier nachzulesen:  Was ist das Geheimnis guter Küsse? Können wir im Küssen die Persönlichkeit des Anderen erkennen? Und: Wie kann in einer langen Beziehung das Küssen belebt werden?

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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