Plötzlich lesbisch: Die überraschende späte Liebe
Warum sich Frauen oft erst in der zweiten Lebenshälfte outen und wer die prominenten "Late Bloomer" sind.
Es ist nie zu spät, sich zu verlieben. Und möglicherweise ganz neu zu entdecken. Diese Erfahrung macht die frisch getrennte Ärztin und Mutter Marie Theres im eben angelaufenen Film "What a Feeling". Wider Erwarten verknallt sie sich in eine Frau, Fa – obwohl sie zwanzig Jahre lang mit einem Mann verheiratet war.
Marie Theres gehört zu den sogenannten "Late Bloomern", was sich etwa mit "Spätzünderinnen" übersetzen lässt. Der Begriff hat sich als Bezeichnung für Frauen, die nach ihrem 40. Geburtstag erstmals eine romantische Beziehung mit einer anderen Frau eingehen, eingebürgert.
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Nicht nur durch den Film, auch durch eine Reihe prominenter Beispiele entstand jüngst der Eindruck, dass sich immer mehr Frauen in der zweiten Lebenshälfte dem eigenen Geschlecht zuwenden. Die Realitystars Kyle Richards und Chrishell Stause wurden von ihren Ehemännern verlassen und führen nun glückliche gleichgeschlechtliche Beziehungen. Cynthia Nixon verliebte sich – ähnlich wie ihr Alter Ego Miranda Hobbes aus "And Just Like That ..." – in eine Frau, nachdem sie vom Vater ihrer beiden Kinder geschieden war.
Einen Welt-Bestseller landete die US-amerikanische Autorin Glennon Doyle im Jahr 2020 mit ihrem biografischen Ratgeber "Untamed". Darin schildert die frühere christliche Mamabloggerin, wie sie sich vom Vater ihrer drei Kinder trennte und völlig unerwartet in die Ex-Profi-Fußballerin Abby Wambach verliebte. Mittlerweile sind die beiden verheiratet und schwelgen im Patchwork-Glück: "Wir essen gemeinsam zu Abend – alle sechs –, und Abby kocht", schilderte sie den neuen Alltag in einem Facebook-Posting. "Wir gehen gemeinsam zu Schulfesten. Wir sind eine moderne, wunderschöne Familie."
Breitere Akzeptanz
So harmonisch geht es freilich nicht immer gleich zu, wenn Mama plötzlich eine Frau mit nach Hause bringt. Die Sprachtrainerin Yvonne Ford war knapp fünfzig und verheiratet, als sie ihre Liebe zu Frauen bemerkte. "Das brachte mich dazu, meinen Mann zu verlassen und eine neue Lebensphase zu starten", erzählt sie. Die ersten Jahre seien schwierig gewesen, auch weil sich ihre vier Kinder an das neue Normal erst gewöhnen mussten. "Zu dieser Zeit realisierte ich nicht, dass es auch andere Frauen gibt, die sich erst spät outeten. Ich fühlte mich so überwältigt und alleine." Also gründete die Frankfurterin die Initiative "Late Bloomer", ein Netzwerk für spätberufene Lesben wie sie. Denn sie weiß: "Ein spätes Coming-out kann einen ziemlich überraschen, viele Ängste und Verwirrung auslösen."
Diese Ängste und Verwirrungen kennt auch Doris Kaiser aus ihrer Praxis. Die Sexualberaterin hat immer wieder mit Frauen zu tun, die in der zweiten Lebenshälfte ihre sexuelle Orientierung neu entdecken oder in Frage stellen. "Es gibt Untersuchungen dazu, dass spätere Coming-outs generell zunehmen", berichtet die Linzerin. "Das liegt sicher auch daran, dass die Akzeptanz für gleichgeschlechtliche Beziehungen in Österreich allgemein steigt. Wobei es noch immer ein Stadt-Land-Gefälle gibt."
Auf Identitätssuche
Immer wieder taucht dann die Frage auf: War ich immer schon homo- oder bisexuell – oder kann sich das im Laufe des Lebens ändern? "Man geht grundsätzlich davon aus, dass kein Mensch zu 100 Prozent hetero- oder homosexuell ist, sondern spricht eher von einer Fluidität", sagt Kaiser. "Ich kenne auch Menschen, die von sich behaupteten, sie seien zu 100 Prozent heterosexuell – und sich dann in eine Person desselben Geschlechts verliebt haben. Es kann sein, dass es immer so war, es kann aber auch sein, dass ich es mir nicht eingestanden habe oder noch nie einen Menschen desselben Geschlechts getrofen habe, der mich sexuell oder romantisch anzieht."
Fakten
Zwischen 1,3–3 Prozent beträgt der Anteil lesbischer Frauen in Österreich, jener von bisexuellen Frauen zwischen 1,8 und 6 Prozent. Zwischen 2,1 und 5 Prozent der Männer sind schwul, zwischen 1,4 und 2 Prozent bisexuell.
Studie
Laut einer Gallup-Umfrage aus dem Jahr 2022 hat sich die Prozentzahl der erwachsenen US-Amerikaner, die sich als nicht heterosexuell identifizieren, im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt. In naher Zukunft soll der Anteil jener, die der LGBTQ-Gemeinde angehören, die 10 Prozent übersteigen.
Neuer Film
"What a Feeling" von der österreichischen Filmemacherin Kat Rohrer ist seit Freitag im Kino zu sehen. Die Hauptrollen spielen Caroline Peters und Proschat Madani.
Adressen
– www.lesbischerherbst.de: Initiativen für lesbische Frauen 49 plus
– www.hosiwien.at: Erster Lesben- und Schwulenverband Österreichs
– www.regenbogenfamilien.at: Infos und Unterstützung für Regenbogenfamilien
In einer heteronormativen Gesellschaft, in der die monogame Mann-Frau-Beziehung die Regel darstellt, kommt man oft nicht auf die Idee, dass es andere Möglichkeiten gibt, sagt die Beraterin. Wenn die Kinder aus dem Haus sind und die Ehe nicht mehr läuft, würden sich Frauen mehr mit sich beschäftigen und auf Identitätssuche gehen. Nicht mehr dem "männlichen Blick" entsprechen zu müssen, ist für viele ein Befreiungsschlag. "Vielen ist es dann auch nicht mehr wichtig, was andere denken."
So erging es Yvonne Ford. Heute 76 Jahre alt, hat sie den romantischen Richtungswechsel in ihrem Leben nie bereut. Sie will Frauen ermutigen, zu sich und ihrer Leidenschaft zu stehen. Ein spätes Coming-out, sagt sie, "kann eine großartige Entdeckung und der Start eines neuen Abenteuers sein".
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