Polly Adlers Kolumne: Ein großes Aspirin gegen die Einsamkeit

Für Keppler, Grantler und andere Verbitterungs-Opfer

Manchmal denke ich mir, die Welt sollte so sein wie beim Ströck in Kaisermühlen. Und nein: das ist keine Werbeeinschaltung. Ich lebe im Sommer teilweise in dem Grätzl, weil nahe am Wasser, und es ist dort ein idealer Ort zum Frühstücken: unhysterische Preise und fröhliches Personal. .

Das Lokal ist morgens wie ein Dorfplatz. Da kommen sorgfältig ondulierte Seniorinnen und zwitschern ein Sekterl (wahrscheinlich für’n Kreislauf), Mütter stopfen ihren renitenten Kindern noch schnell vor dem Kindergarten ein Kipferl in den Mund, Müllmänner verschnaufen bei einer Leberkäs-Semmel, Hundebesitzer unterhalten sich mit anderen Hundebesitzern über die Tische, an welchen Unverträglichkeiten ihr Viecherl gerade laboriert, und generell scheinen sich alle irgendwie zu kennen. Zumindest ein bisserl.  

Und die Chefin des Etablissements, die Heidi, die weiß einfach , wem eine Hüft-OP ins Haus steht, wer sein Ei eher flüssig will, wer gerade am Scheidungsblues laboriert und erklärt allen mit einer Engelsgeduld, wie der neue Sammelpass funktioniert. Der Ort ist ein großes Aspirin gegen die Einsamkeit. Man sollte hierher einmal ein paar von diesen supergrantigen City-Kaffehausobern zur Schulungszwecken bringen. „Kindness” heißt ein Gedicht von Naomi Shihab Nye, das ich zufällig kürzlich von Emma Thompson rezitiert, hörte. 

Für den Begriff gibt es keine exakte Übersetzung, er rangiert zwischen Freundlichkeit und Güte. Das Gedicht, vorgetragen von Frau Thompson, habe ich jetzt immer abrufbereit. 

Und jedes Mal, wenn ich über Vernaderer, Keppler, Grantler, behaarliche Nicht-Reinlasser im Straßenverkehr, Vorsichhinflucher oder andere Opfer ihrer eigenen Verbitterungen stolpere und sich dabei das Gift der Wut in mein System arbeitet, stöpsle mir das Gedicht in die Ohren und inhaliere einen Teil des letzten Satzes, der soviel heißt wie: „Die Güte hebt ihren Kopf aus der Menge der Welt, um zu sagen: Ich bin es, wonach du gesucht hast.” 

Klingt etwas pathetisch bis esoterisch, aber ich mag’s. 

Das Polly-Adler-Muttertagsspecial mit Mavie Hörbiger & Tania Golden im Rabenhof: 11. Mai, 11 Uhr

www.pollyadler.at
[email protected]

Polly Adler

Über Polly Adler

Polly Adler steht als Chaos-de-luxe-Kolumnistin auf dem satirischen Beobachtungsposten von Alltags-Irrsinn, Beziehungs-Herausforderungen und Brutpflege. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die Wiener Journalistin Angelika Hager. Aus Polly Adlers verrückter Welt entstanden inzwischen acht Bücher, eine TV-Serie und diverse Bühnen-Shows, aktuell „Knietief im Glamour”: die Polly-Adler-Show im Rabenhof. Jeden Sonntag um 11 Uhr.

Kommentare