Wenn Social Media den Menüplan ändert: "Papa, ich bin jetzt vegan“
Tiktok und Instagram verändert das Essverhalten von Kindern und Jugendlichen. Eltern sind deswegen verunsichert. Eine Diätologin klärt auf.
Noch nie waren wir beim Essen so wählerisch wie heute. Wie man als Familie auf einen grünen Zweig kommt, erklärt Diätologin Doris Gartner.
Doris Gartner: Bei meinen Patienten sehe ich, dass das wahnsinnig viel Unsicherheit erzeugt. Soll es für meine Kinder vegan sein, vegetarisch oder Paleo? Welche Jause gebe ich mit? Wann führe ich Beikost ein? Es gibt einfach sehr viel Input.
In der Pubertät wenden sich viele ab, suchen eine Ernährung, die „besser“ zu ihnen passt. Da kommen die Influencer ins Spiel. Aber was am Ende oft übrig bleibt, ist eine Mischung aus der Ernährungserziehung von zu Hause, also die Prägung, die in den ersten Lebensjahren stattgefunden hat, und den Dingen, die ich später gelernt habe.
Plötzlich drei Menüs zu kochen, das ist sehr unpraktisch. Jedes Familienmitglied könnte sich einen Tag in der Woche das Lieblingsgericht aussuchen. Das kann einmal vegan sein, einmal mit Fisch und einmal mit Fleisch. Aber man schaut, dass man immer zumindest einen gemeinsamen Nenner findet, damit auch alle mitessen können.
Es geht mehr um die soziale Komponente von Essen: Man setzt sich zusammen, gibt Kindern eine Gemeinschaft. Ob einer nur die Nudeln, der andere die Nudeln mit Tomatensauce oder der dritte das ganze mit Salat isst, ist völlig egal. Am schwierigsten sind Familien, bei denen es überhaupt keine Tagesstruktur gibt, die das Essen betrifft.
Eine vegane Ernährung kann bedarfsdeckend sein, aber man muss mehr über das Essen nachdenken als bei Mischkost. Gut sind Gerichte, die in Einzelkomponente aufgespalten werden können. Wichtig sind regelmäßige Blutbefunde, einfach damit sich Eltern nicht schon begleitend Sorgen machen. Wir brauchen ein entspanntes Verhältnis. Dann ist vegan völlig in Ordnung.
Die kritischen Nährstoffe sind Eiweiß, Kalzium, Eisen und Vitamin B12. Beim Eiweiß muss man pflanzliche Eiweißlieferanten hernehmen, aber das geht sich aus. Dauernd vegane Nuggets zu essen ist natürlich nicht genug. Man braucht eine Mischung aus einer hochwertigen Beilage wie Quinoa, Vollkornprodukten oder Naturreis. Dazu pflanzliche Eiweißlieferanten wie Linsen, Bohnen, Tofu oder Seitan und dann Gemüse. Nur Kartoffeln und Gemüse sind keine langfristig gesunde Ernährung. Da fehlt Eiweiß. Da kann man als Elternteil schon ein Auge drauf haben.
Kuhmilch ist zwar natürlicher, aber da kann man genauso darüber streiten wie bei Hafermilch. Es ist nicht gesund zwei Liter Kuhmilch am Tag zu trinken. Und es ist auch nicht gesund einen Liter Hafermilch am Tag zu trinken. Ein gesundes Mittelmaß zu finden, darum geht es. Ob es jetzt die Hafermilch, die Reismilch oder die Cashewmilch ist. Wenn ich mich vegan ernähre, haben diese Produkte auch nochmal einen ganz anderen Stellenwert, weil sie oft mit Kalzium und Vitamin B12 angereichert sind. Dadurch habe ich eine gewisse Basisversorgung gedeckt.
Bei Familien, in denen Essen und Familiendynamik gut funktionieren, sehe ich bei den Eltern eine gewisse Kompromissbereitschaft und Lockerheit. Wo es belastet, steht meist ein größeres Thema hinter Ernährung. Wenn es bei Kindern schwierig ist, hat das Thema schon viel früher begonnen – bei den Eltern.
Zum Beispiel die Verunsicherung, dass das Kind kein Gemüse isst. Dann fragt man nach und erfährt, dass es alles außer zwei, drei Dinge isst. Das ist völlig in der Norm! Oder wenn Eltern sich nicht sicher sind, wie oft das Kind am Tag essen soll. Ganze viele Eltern sind auch von Essensverweigerungsphasen lange total verunsichert. Und je verunsichert die Eltern, umso verunsichert die Kinder, wie die sich an der Struktur der Eltern orientieren.
Ja, aber nur bei Eltern, bei denen die eigene Ernährung und das Körperbild gestört oder schwierig sind. Dann ist es für sie problematisch zu akzeptieren, dass das Kind etwas molliger ist. Da sehe ich, dass immer wieder der Fokus darauf liegt, dass Kinder eine Diät machen sollen oder dass Sport mit einer gewissen Botschaft dahinter eingeplant ist.
Was sind "Almond Moms"?
„Du fühlst dich schwach? Iss doch ein paar Mandeln und kau sie wirklich gut“, gibt Yolanda Hadid ihrer Tochter Gigi über das Telefon auf den Weg. Das Zitat fiel in einem Clip der beliebten US-amerikanischen Reality-Sendung „The Real Housewives of Beverly Hills“. Seitdem sind zehn Jahre vergangen, Tochter Gigi und ihre Schwester Bella gehören heute zu den gefragtesten Supermodels der Welt. Auf der Social-Media-App Tiktok traf der Ernährungstipp der Mutter kürzlich einen Nerv. Als „Almond Mom“ (dt. Mandel-Mutter) beschreiben die Userinnen und User den Mama-Typ, der ständig das Essen der Kinder kontrolliert oder kommentiert.
In Videos mit dem Hashtag #almondmom teilen sie ihre Erfahrungen mit diätbesessenen Elternteilen, ob berühmt oder nicht. Model-Mutter Yolanda Hadid verteidigte ihre Aussage später in einem Interview. Diese sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Dem Netz scheint das inzwischen egal zu sein.
Mir ist wichtig, dass man in der Kommunikation mit Kindern nicht von ab- und zunehmen spricht, sondern eher „Probieren wir das aus, schauen wir, ob es dir schmeckt“. Hinter allem anderen ist eine zweite Botschaft, die sich sofort festsetzt. Das bringt uns langfristig in eine Spirale rein.
Ich habe viele erwachsene Patienten, die einen Magenbypass machen lassen und erzählen, dass sie als Kind stärker waren und von den Eltern immer der Diät-Druck gekommen ist. Das bringt natürlich nichts. Das Thema Essen ist dann aber von Anfang an gestört.
Ernährung wird immer mehr zur Möglichkeit, sich selbst zu definieren. Ich bin zwar Diätologin, aber Essen soll nicht mein Lebensinhalt sein. Essen bleibt nur Essen, auch wenn alle andere Vorlieben und Ideen haben.
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