Tief durchatmen: Ein Erfahrungsbericht vom Breath-Hold Workshop
Der Weltrekord im Luftanhalten liegt bei 11 Minuten und 35 Sekunden. Wieso das Luftanhalten für mentale Stärke sorgt und wie wichtig der Atem ist.
Wie lange kannst du die Luft anhalten? Und warum sind Taucher nach einem Tauchgang immer so entspannt? Das wollte ich testen. Der Weltrekord im Luftanhalten liegt bei unglaublichen 11 Minuten und 35 Sekunden.
Auf den ersten Blick scheint es simpel: Sauerstoff hinein, Kohlenstoffdioxid hinaus – etwa 23.000 Mal am Tag. Doch Atmen bedeutet weit mehr als nur die Versorgung unserer Zellen mit Energie. Wenn wir es richtig nutzen, kann es uns zu Spitzenleistungen verhelfen oder unseren Körper in einen Zustand tiefster Entspannung versetzen.
„Beim Tauchen sagt dir dein eigener Körper 'ich muss jetzt entspannen und Energie sparen'“, erzählt uns die Apnoetaucherin Cassandra. Aber wie entspannt kann es sein, dem Körper auf extreme Weise Sauerstoff vorzuenthalten?
Der Breath-Hold Workshop, der im Yoga Studio Osmose im 2. Bezirk stattfand, bot einen spannenden Einblick in die Welt des bewussten Atmens und Luftanhaltens. Was auf den ersten Blick einfach erscheint, entpuppte sich als tiefgehende Praxis, die Körper und Geist in Einklang bringt.
Die Bedeutung des Atmens
Zu Beginn des Workshops tauchten wir mit Cassandra tief in die Theorie der Atmung und des Luftanhaltens ein. Sie klärte einen verbreiteten Irrtum auf: Der Drang zu atmen eine Reaktion auf erhöhte CO2-Werte im Körper und nicht aufgrund von Sauerstoffmangel. „Wir verfügen in der Regel über ausreichend Sauerstoff“, erläuterte sie, „Und könnten nach dem ersten Signal (nach der ersten Kontraktion) des Zwerchfells noch länger ohne neue Atemluft auskommen, wenn wir die Signale unseres Körpers lesen und verstehen lernen und nicht auf unsere innere aufgewühlte Stimme reagieren.“
Affirmationen und Vorbereitung
Nach der theoretischen Einführung wurden uns Zettel mit Affirmationen ausgeteilt, die uns mental unterstützen sollten. Auf meinem Zettel stand: "Mein Körper besitzt das Wissen."
Diese Affirmationen sind besonders hilfreich, wenn das Gehirn die ersten Signale aussendet, dass Luft geholt werden muss. Cassandra warnt uns „das Zwerchfell wird beginnen zu zucken, doch wie vorhin in der Theorie besprochen, müssen wir noch nicht Luftholen und haben noch genug Sauerstoff im Körper. Die Affirmation soll dabei helfen, das Gedanken abzuschalten, loszulassen und länger die Luft anzuhalten, als man es für möglich hält. "Man muss das Gehirn ablenken und mit solchen Affirmationen oder kleinen Gehirn-Spielchen beschäftigen, um es entspannen zu können." Und welche Affirmationen sagt sich Cassandra während sie in die Tiefen des Meeres taucht?
“ Nichts ist von Bedeutung” und “Nur das Jetzt zählt”.
Die Atmosphäre im Yoga Studio Osmose war sehr beruhigend. Die Decke war mit einer riesigen LED-Leinwand bedeckt, die vielfältige Farbspiele zeigte und eine zauberhafte Atmosphäre schuf. Verschiedene Blautöne, die für das Meer und die Tiefe sowie das Halschakra, die Verbindung zwischen Denken und Fühlen, stehen, und Rot-Orange-Töne als Komplementärfarben begleiteten uns zusammen mit entspannter Musik während des gesamten Workshops.
In den Bauch atmen
Die praktischen Übungen begannen mit vielen Aufwärmübungen und Atmungen. Nach langem Dehnen und ruhigem Atmen legten wir uns auf den Rücken. Eine mögliche Atemtechnik ist das sogenannte kohärente Atmen, also gleichmäßig langsam fünf bis sechs Sekunden einatmen und genauso lange ausatmen. Wir sollten tief ein- und länger ausatmen, unseren Ruhe-Atem finden und dann mit angehaltenem Atem so lange wie möglich die Luft anhalten.
Dann ging es los. Während des Luftanhaltens spürte ich eine deutliche Spannung im Hals und im Kiefer. Nach einer Weile begann mein Bauch zu zucken und ich spürte, dass ich jetzt eigentlich bereit wäre, Luft zu holen. Cassandra ermutigte mich, noch 30 Sekunden länger durchzuhalten. Und siehe da: Durch die Affirmation und die Visualisierung, im Meer abzutauchen, konnte ich meinen Körper entspannen und länger die Luft anhalten als gedacht.
Diese Kontraktion ist eine Art Liebessprache des Körpers, ein Zeichen dafür, dass er leben will. Das Spüren des Zwerchfells und das Bewahren der Kontrolle über diese Kontraktion sind wichtig.
"Wenn man lernt, diesen natürlichen Instinkt zu beherrschen, kann man auch im Alltag mehr Kontrolle erlangen."
Vergleich mit anderen Breathwork-Methoden
Vor einigen Monaten probierte ich ein Psychedelic Breathwork aus, bei dem man eine Stunde lang so tief wie möglich ein- und ausatmet und dann mit ausgeatmeter Lunge die Luft anhält – ähnlich wie die Wim Hof Methode. Techniken wie diese können das Unterbewusstsein aktivieren und emotionale Blockaden lösen, weil Hämoglobin und Sauerstoff beim Hyperventilieren eine starke Verbindung eingehen. Dadurch werden Alltagsgedanken unterdrückt und das Unterbewusstsein kann hervortreten.
Beim Freitauchen hingegen wäre der basische pH-Wert im Blut, der bei Hyperventilation eintritt, nicht hilfreich. Denn, der Sauerstoff im Körper ist in diesem Zustand nicht verfügbar. Zudem tritt bei der Wim Hof Methode das Verlangen zu atmen viel später ein, während der Sauerstoffgehalt bereits gesunken ist. Beim Freitauchen kann dies gefährlich werden, da die Zwerchfellkontraktion, das Signal des Körpers zu atmen, ausbleibt, was zu Bewusstlosigkeit führen könnte.
Und: schnelle Atmung wird mit Stress assoziiert. Im Vergleich dazu zielt der Breath-Hold Workshop darauf ab, mentale Stärke durch Ruhe zu erlangen und den Kopf freizubekommen. Studien zeigen: Je weniger wir pro Minute atmen, desto entspannter sind wir.
Beim Apnoetauchen oder Freitauchen atmet der Taucher vor dem Abtauchen ein und nutzt im Gegensatz zum Gerätetauchen für den Tauchgang nur diesen einen Atemzug.
Neben dem Rhythmus ist die Haltung entscheidend für gesundes und entspannendes Atmen. Das Zwerchfell ist der entscheidende Muskel, der die Atmung betätigt: Er vergrößert den Brustraum und sorgt dafür, dass mehr Sauerstoff in die Lungen und die Zellen gelangt. Hierbei ist es also wichtig, bewusst in den Bauch zu atmen.
Die Wirkung auf Körper und Geist
Nach den intensiven Übungen öffneten wir langsam die Augen. Ich fühlte mich sehr präsent und erkannte, wie wichtig bewusste Atmung sein kann. Cassandra teilte ihre persönliche Geschichte, wie sie durch bewusste Atemübungen und Luftanhalten ihre Panikattacken überwinden konnte. Das bewusste Kontrollieren der Atmung hat ihr geholfen, mehr Vertrauen in ihren Körper zu gewinnen und negative Gedanken und Gefühle besser zu kontrollieren.
Atemübungen können signifikant gegen Angststörungen oder Depressionen helfen. Studien zeigen, dass der bewusste Fokus auf das Atmen im Gehirn die Amygdala herunterreguliert und den präfrontalen Cortex stimuliert. Die Amygdala ist ein Bereich, der mit der negativen emotionalen Verarbeitung von Erfahrungen und Angstgefühlen assoziiert wird. Der präfrontale Cortex wird mit dem Einordnen von Emotionen verknüpft: Atemübungen helfen, Gefühle besser zu sortieren. Die Rückkopplung zwischen Atmen, Gefühlsverarbeitung, Wohlbefinden und Entspannung wird zunehmend in der Wissenschaft untersucht und erkannt.
Apnoetauchen ist zu 90 Prozent ein mentaler Sport
Der Breath-Hold Workshop bietet nicht nur mentale Stärke und Entspannung, sondern hilft auch, im Alltag ruhiger und ausgeglichener zu werden. Es ist ein Tool für Entschleunigung im Alltag und sorgt für absolute Stille im ständigen Lärm des Informationszeitalters.
Wie es mir danach ging? Hungrig und sehr entspannt, der Alltagsstress war plötzlich nicht mehr so wichtig, mein Körper war das Wichtigste. Das Atemanhalten rückt die Bedeutung des Atmens in ein neues Licht und ermöglicht dadurch auch, Alltagssituationen aus einer neuen Perspektive zu betrachten.
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