Unterschätzt: Wie bewusstes Atmen gegen Stress hilft

Kurz vor Weihnachten ist die Anspannung für viele besonders groß. Atemtechniken können helfen. Wissenswertes und Übungen, um Luft zu holen.

Es passiert von alleine, meist ohne, dass wir uns dessen bewusst sind: 12 bis 15 Atemzüge sind es in der Minute, im Schnitt rund 20.000 pro Tag, die den Körper mit Sauerstoff versorgen. Sind wir gestresst, ist der Atem flacher und weniger tief, der Körper ist angespannt, wir spüren Druck auf den Schultern. 

Atemcoach Martina Wedenik ist überzeugt: "Es ist nicht egal, wie wir atmen." Wie der Atem fließt, beeinflusst alle Körpersysteme. "Er ist auch untrennbar mit den Gefühlen verbunden. Deshalb schnappen wir schnell mal nach Luft, wenn wir gestresst sind."

Bauch rein, Brust raus?

Durch die Nase zu atmen, sei besonders gut. Und "hat man akut Stress, ist es günstig, den Ausatem etwas länger als die Einatmung werden zu lassen", so Wedenik. Atemtechniken können helfen. Und doch gibt es nicht die eine richtige Technik für alle, betont die Atemlehrerin

Wer jedoch frei nach dem Motto "Bauch rein, Brust raus" die Körpermitte anspannt, atmet nur in die Brust. Was einem dabei entgehe, sei die Weite, die zu spüren ist, wenn die Luft in den ganzen Rumpf strömt, was Entspannung und Energie bringe. "Einige Menschen", sagt Wedenik, haben Probleme beim Ausatmen. "Sie glauben, direkt nach dem Ausatmen, wieder einatmen zu müssen. Doch es geht darum, den Atem von selbst kommen zu lassen, so kann der Körper ihn flexibel an die jeweilige Situation anpassen."

Atmen bei akutem Stress

Um bei Stress runterzukommen, empfiehlt Atemcoach Martina Wedenik, die Gedanken zu beruhigen: Zum Beispiel beim Einatmen denkt man „Alles“ und beim Ausatmen „wird guuuuut“. Oder: Einatmend denken "Schritt für Schritt", ausatmend „schaffe ich das alles“. Wedenik: "Besonders günstig ist es, wenn der Satzteil, den man sich beim Ausatmen innerlich vorsagt, länger ist als jener beim Einatmen. Dadurch verlängert sich nämlich automatisch die Ausatmung, was sofort beruhigend wirkt.  „Bei dieser Übung sind die Gedanken beschäftigt und können nicht wild herumspringen."

Atmen geht überall

Für Yogalehrer Manuel Neumann ist „das bewusste Atmen ein perfektes Tool, um etwas für das eigene Wohlbefinden zu tun“. Bei vielen Menschen sei der Atem durch Belastung, Stress und das viele Sitzen etwas "verrutscht". Das Schöne sei aber: "Man kann überall atmend zur Ruhe kommen. Beim Einkaufen etwa, wenn man mit anderen in der Schlange steht. Wer die Konzentration bewusst darauf lenkt, wird spüren, wie die Anspannung nachlässt."

Der Spiegel-Bestseller "Breath – Atem: Neues Wissen über die vergessene Kunst des Atmens" (2021) von Autor James Nestor ist eines von vielen Büchern und Ratgebern, die einen Hype um die Arbeit mit dem Atmen, auch „Breathwork“ genannt, entfacht haben. Der Autor macht Selbstversuche, führt durch alte Traditionen und gewinnt die Erkenntnis, der Mensch habe das Atmen verlernt. Eine Empfehlung ist: Mund zu beim Atmen. Der Grundtenor: "Richtiges" Atmen kann nicht nur ein Heilmittel gegen Asthma, Angstzustände, Stress und Bluthochdruck sein, sondern ist auch die Essenz für Lebensqualität und Gesundheit. Ist es also genauso wichtig, wie gesunde Ernährung und Sport?

Besser atmen für Anfänger

„Die einfachste Art und Weise ist die gleichmäßige Atmung“, so Yogalehrer Manuel Neumann. „Legen Sie sich auf eine Matte am Boden, eine Hand auf die Brust, eine auf den Bauch. Zunächst den Atem beobachten, ohne ihn zu beeinflussen, dann  gezielt in den Bauch atmen. Jetzt erst damit beginnen, die Atemlänge (wie Sekunden) mitzuzählen. Jeweils langsam beim Ein- und Ausatmen auf drei oder vier zählen.   Je länger, desto besser, aber darauf achten, dass es angenehm ist und leicht fällt.  Das Mitzählen hilft, sich darauf zu konzentrieren und  Gleichmäßigkeit hineinzubringen.

Ein Werkzeug von vielen

Mediziner kritisieren, dass die Studienlage zu dünn sei, um solche Annahmen zu machen. Auch Thomas Weiss, Kardiologe und Professor an der Sigmund-Freud-Universität, mahnt "hier ein bisschen vorsichtig zu sein, auch wenn alternative Jahrtausende alte Techniken ihren Platz haben und einiges abdecken, was die Schulmedizin nicht abdecken kann. Den meisten positiven Einfluss auf unsere Gesundheit haben immer noch Bewegung und Ernährung". 

Gegen Atemtechniken zur Entspannung hat Weiss aber nichts einzuwenden. Sie seien ein gutes Werkzeug, wie Yoga, Meditation, Pilates oder etwa ein leichter Trab auf der Prater-Hauptallee. "Manche wollen aber lieber eine angeleitete Entspannung und da ist die Atmung super. Ich brauche keine physischen Voraussetzungen dafür, muss keine Grundkondition haben und es gibt keine Verletzungsgefahr", so der Mediziner.

Es gibt viele Atemtechniken, die dabei helfen können, innere Ruhe zu finden. Um sie in akuten Stresssituationen abrufen zu können, braucht es allerdings ein wenig Übung und Routine. Yogalehrer Neumann empfiehlt, in kleinen Schritten zu beginnen: "Am besten nimmt man sich ein bisschen Zeit und probiert aus, was sich gut anfühlt." Er ist sich sicher: Jeder kann seine perfekte Methode finden, um im Alltag besser durchzuatmen.

Annemarie Josef

Über Annemarie Josef

stv Chefredakteurin KURIER freizeit. Lebt und arbeitet seit 1996 in Wien. Gewinnerin des Hauptpreises/Print bei "Top Journalist Award Zlatna Penkala (Goldene Feder)" in Kroatien. Studium der Neueren Deutschen Literatur in München. Mein Motto: Das Leben bietet jede Woche neue Überraschungen.

Kommentare