
Länger leben: Wie der Zell-Stoffwechsel unsere Gesundheit steuert
Ärztin Casey Means sieht einen reibungslosen Stoffwechsel als Schlüssel für Langlebigkeit. Sie geht davon aus, dass Depressionen, Unfruchtbarkeit oder auch Herzkrankheiten die gleiche Ursache haben
Klassenbeste Stanford-Absolventin, Forschungspreise mit 30, später HNO-Ärztin in Oregon – Casey Means’ Karriere in der Medizin war hart erarbeitet. Doch auf dem Operationstisch änderte sich ihr Blickwinkel: Jahrelang behandelte sie bei Eingriffen nur Symptome, ohne die eigentliche Ursache chronischer Entzündungen zu hinterfragen. Die Patienten kamen immer wieder, wie sie in ihrem Bestseller „Good Energy“ beschreibt, der nun erstmals auf Deutsch erschienen ist.
Means verließ die Klinik und bildete sich in Ernährungsbiochemie, Zellbiologie sowie Systemmedizin weiter. „Das half mir, die wahren Gründe zu erkennen, warum Menschen krank werden“, so Means. Kaum eine Beschwerde schließt sie dabei aus – von Allergien und Unfruchtbarkeit bis hin zu Krebs.
Die Zellen müssen gut "laufen"
Gut funktionierende Zellen und Mitochondrien – die „Kraftwerke“ der Zellen – seien entscheidend für langfristige Gesundheit. In ihrem Buch fasst sie unter Good Energy positive Impulse für den Körper zusammen, während Bad Energy negative Einflüsse beschreibt. Wie chronische Überernährung, Mikronährstoffmängel, Stress, Schlafentzug und Umweltgifte.
Giftiges Fett in Zellen
Beschwerden entstehen demnach, wenn Mitochondrien durch kalorienreiche, aber nährstoffarme Nahrung Fettsäuren als toxisches Fett in den Zellen speichern. „Jede Zelle, die keine Fettzelle ist, aber mit Fett gefüllt wird, hat ein großes Problem“, erklärt Means. Diese Störung wirkt sich besonders auf den Blutzuckerspiegel aus – mit dramatischen Folgen: In Österreich sind über eine halbe Million Menschen von Diabetes Typ 2 betroffen, in den USA jeder Zehnte. Im Buch gibt Means Tipps, den Stoffwechsel optimal zu unterstützen, basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Einige Ratschläge daraus:

Buch "Good Energy" von Casey Means, Ullstein Verlag, 21,99 Euro
©Ullstein VerlagDen Ist-Status ermitteln
Schlafrhythmus, Herzratenvariabilität per Tracking-Uhr messen und Blutwerte wie Triglyceride, Nüchternglukose sowie „gutes“ und „schlechtes“ Cholesterin beim Hausarzt ermitteln.
Sie geben klare Hinweise auf die Zellgesundheit. „Zu viele Triglyceride sind ein Zeichen, dass die Zellen überfordert sind“.
Essen nach Inhaltsstoffen
Means plädiert für unverarbeitete Lebensmittel und sieht das Problem in industriell Hergestelltem. Egal ob pflanzlich oder tierisch – entscheidend seien die Inhaltsstoffe. „Wir müssen Lebensmittel danach beurteilen, was wirklich drinsteckt“, sagt sie.
Fleisch von einem grasgefüttertem Rind habe völlig andere Nährwerte als von einer Kuh, die mit Kraftfutter gemästet wurde. Getreide und Zucker lehnt sie komplett ab. „Unser Körper besteht ausschließlich aus dem, was wir ihm über die Nahrung zuführen.“
Bewegung ist Medizin
Acht Stunden Sitzen und dann eine Stunde Joggen? Gut, aber weniger gesund, als jede Stunde drei Minuten Bewegung einzulegen.
Gut findet Means auch Laufbänder am Arbeitsplatz, vor allem aber Spaziergänge (mindestens 7.000 Schritte täglich) im Freien. Dabei werden auch die Augen trainiert – ein Ausgleich zur ständigen Nahsicht auf Bildschirme.
Zudem ist Sonnenlicht eines der besten Signale für das Gehirn, um Tages- und Schlafrhythmen zu stärken.
Kälte und Wärme aussetzen
Starke Temperaturschwankungen sind gut für die Funktion der Mitochondrien, da Kälte den Körper dazu anregt, mehr Wärme zu erzeugen, indem sie die Aktivität der Mitochondrien erhöht und die Adenosintriphosphat-Erzeugung (ATP) und -Nutzung anregt. ATP agiert in der Zelle als Energieträger.
Es hat sich aber auch gezeigt, dass Wärmeeinwirkung Mitochondrien vor Schäden schützt. Kältebäder oder -duschen, aber eben auch Saunabesuche und Spaziergänge bei Hitze sind laut dem Ratgeber förderlich für die Gesundheit – sofern sie tatsächlich regelmäßig erfolgen.
Anti-Aging-Experte gibt Einordnung
Fazit: Sehr amerikanisch
Der KURIER hat beim österreichischen Anti-Aging Mediziner Markus Metka nachgefragt, was er zu den Thesen im US-Bestseller sagt.
An den Ratschlägen sei generell nichts auszusetzen, sie hätten Fundament. Das Buch sei aber „sehr amerikanisch“, sagt Metka. „Ich sehe eine Tendenz zur übertriebenen Datenmessung. Das Biotracking mit Glukosemessern und Uhren, die sagen, wie gut oder schlecht ich geschlafen habe, lässt verlernen, dass ich selbst auf meinen Körper achten soll.“
Außerdem sei der Ernährungsansatz im Buch sehr radikal. „Die Rezeptvorschläge lassen den Genuss-Aspekt größtenteils vermissen. Sich immer nur nach Inhaltsstoffen zu ernähren, ist auf lange Sicht nur äußerst schwer zu praktizieren.“
Inflam-Aging
Im Anti-Aging-Bereich gilt laut Metka derzeit der Satz „Alter ist eine Entzündung.“ Krankheiten würden vor allem durch stille Entzündungen im Körper entstehen, die lange nicht erkannt werden. Es wird daher eine antientzündliche Ernährung empfohlen. Und die sei hauptsächlich pflanzlich. „Mit dem industriell gefertigten Essen hat Means total recht. Schon alleine der in vielen Produkten zugesetzte Maissirup ist teuflisch.“
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