Wie die Zitrone den Aufstieg der Mafia beschleunigte
In der Zitrone stecken Vitamine, aber auch Geschichten. Das zeigt das Buch "The Gourmand's Lemon". So führte sie zum Aufstieg der Cosa Nostra auf Sizilien.
Vitamin C braucht der Mensch – und zwar nicht zu wenig. So tönt es, wenn der Winter vor der Tür steht. Zitronen stärken die Abwehrkräfte. Und auch wenn es andere Früchte mit mehr Vitamin C gibt, soll ein lauwarmes Zitronenwasser wahre Wunder vollbringen: als Radikalfänger oder um die Verdauung anzuregen.
Dazu stecken im Fruchtfleisch Kalzium, Kupfer, Eisen oder Magnesium. Aber nicht sofort die Zähne danach putzen, sonst leidet der Zahnschmelz. Und dann gibt womöglich auch der Zahnarzt Saures.
Die Zitrone ist aber nicht nur reich an Inhaltsstoffen, sondern auch an Geschichte. Beim Taschen-Verlag ist vor Kurzem der Bildband "The Gourmand's Lemon. A Collection of Stories and Recipes" erschienen, der sich mit der Kulturgeschichte der Zitrone beschäftigt.
Die älteste Darstellung der Frucht
Die Zitrone gibt es demnach schon ziemlich lange. Die früheste Darstellung der Frucht stammt von einem Gemälde-Fragment aus dem 5. Jahrhundert, das in einer Höhle in der Nähe von Ajanta, in Zentralindien, gefunden wurde. Es ist Teil einer Illustration über das Leben Buddhas. Und auch die alten Ägypter kannten die Zitronen, wie Wandgemälde zeigen.
Nach Europa kamen die Früchte vermehrt erst im Mittelalter – auch wenn schon im zerstörten Pompeji Zitronen in Fresken auftauchten. Sie fanden ihren Weg von Asien hierher. Dort wurden ihnen schon Wunderkräfte zugeschrieben. Der persische Autor Zakariya Ibn Muhammad Ibn Mahmud al-Qazwini erklärte, dass Zitronen Schlangengift abwehren konnten. Die Franzosen tranken Karmeliterwasser, ein Getränk aus Zitronenschalen und Muskatnuss, das für einen Energieschub und geistige Schärfe sorgen sollte.
Warum auch Casanova Zitronen zum Schäferstündchen mitbrachte
Casanova brauchte sich um seine Energie nicht zu sorgen. Aber er verließ sich auf Zitronen und bat seine zahlreichen Geliebten, die halbierten Früchte als Gebärmutterhalskappen zu verwenden.
Die Niederländer holten sie ab dem 16. Jahrhundert verstärkt auf den Kontinent. Jedes Schiff der niederländischen Ostindien-Kompanie hatte Zitronen zur Bekämpfung von Skorbut gelagert.
Die Meister der Stillleben liebten die Zitrone. Sie symbolisierten damit gerne, dass man am Ende des Lebens in die saure Frucht beißen muss – die nun einmal der Tod ist. Memento Mori hübsch verpackt, quasi. Die niederländischen Maler des 17. Jahrhunderts verpassten der Zitrone ihren eigenen Stil. "Diese Verdrehung war ein effizienter visueller Code, der den Betrachter daran erinnert, dass auch er schließlich diese sterbliche Hülle abstreifen muss", heißt es im Bildband.
Und dann gab es da noch die technische Herausforderung, die die Maler liebten. So einfach war es nicht, die optischen Eigenschaften ins rechte Licht zu rücken: das Weiße des Marks neben dem satten Gelb der Schale.
Wie eine Rubens-Nymphe
Stillleben waren eine der wenigen Gattungen, die Frauen zugänglich waren, nachdem sie von Akademien und Zeichensälen ausgeschlossen waren. In Giovanna Garzonis "Stillleben mit Schale von Zitronen" (um 1640) hockt eine Wespe auf der Schale einer mikroskopisch genau wiedergegebenen Frucht. Die sieht, wie der Bildband beschreibt, aus wie der Schenkel einer Rubens-Nymphe.
Und das Interesse an Zitronen riss über Jahrhunderte hinweg nicht ab: Im Jahr 1972 schuf Pop-Art-Künstler Roy Lichtenstein einen Druck eines Weinglases, das neben einer Zitrone mit gewellter Schale steht. Es war eine Anspielung auf niederländische Stillleben. Pop-Art-Kollege Andy Warhol setzte ihnen mit der Space Fruit Collection ein Denkmal. Popkultur in Reinform.
Wie auch bei Brian De Palma. Der verwendet im Gangster-Epos Scarface eine Zitronenscheibe als Symbol für Zukunft und Vergangenheit des Protagonisten Tony Montana. Der von Al Pacino gespielte Aufsteiger verhandelt einen Drogendeal mit einem bolivianischen Drogenboss beim Mittagessen auf einer Hacienda.
Nach dem Essen wird eine Fingerschale gereicht, die mit Wasser und Zitronen gefüllt ist. Zum Händewaschen, versteht sich. Der kubanische Flüchtling Montana nimmt die Scheibe heraus und verschlingt sie. Es ist ein kulinarischer Fauxpas. Der weist auf Montanas unprätentiöse Wurzeln hin. Und auf seinen Appetit auf Miamis Kokain-Markt.
Die Mafia auf Sizilien liebte Zitronen
Tatsächlich haben Zitronen auch den Aufstieg der realen Mafia im 19. Jahrhundert begünstigt. Das haben die Ökonomen Arcangelo Dimico, Alessia Isopi und Ola Olsson im Jahr 2017 herausgefunden. Im 18. Jahrhundert besann man sich verstärkt auf die wohltuende Wirkung der Früchte. Die britische Navy empfahl sie der gesamten Flotte. Die Nachfrage stieg.
Und Zitronenbauern auf Sizilien ließen ihre Haine im 19. Jahrhundert von bewaffneten Wachen schützen. Nicht nur Diebe, sondern auch Truppen des neu gegründeten Königreichs Italien vom Festland bedrohten Bäume und Eigentümer. Nicht selten artete dieser Schutz in Erpressung aus. Die Bewachung wurde von "Ehrenmännern" regelrecht aufgezwungen.
Die Zitrone hat in der Musik auch einige Spuren hinterlassen – man denke an die Lemonheads, die deutsche Punk-Band Die Goldenen Zitronen. Oder an den Lemon Tree des deutschen One Hit "Wonders Fool’s Garden".
Viel Sex in "The Lemon"-Song von Led Zeppelin
Bei Led Zeppelin hat sie überhaupt eine besondere Rolle eingenommen. Nicht nur, weil eine Zitronenpflanze in der Anforderungsliste für den Backstagebereich nebst Champagner oder Kerzen stand. Sänger Robert Plant brauchte die Früchte wohl für seinen Tee.
Im blueslastigen "The Lemon"-Song beschreibt die fidele Truppe, was passiert, wenn man eine Zitrone recht kräftig drückt. Und es geht darin wohl nicht um den Saft für den Tee – sondern um sexuelle Anspielungen. Das Lied soll unter Beisein vieler Groupies aufgenommen worden sein.
Um Damen zu beeindrucken, verzichtete Popstar James Blunt in jungen Jahren auf Obst und Gemüse – er verzehrte nur Fleisch und Gemüse. Hätte er doch ab und zu eine Zitrone ausgepresst. Er hätte so in den 1990ern nicht unter Skorbut gelitten. Und so ein Hühnerfleisch macht sich ja auch nicht schlecht mit der würzigen Zitronensäure.
Wenn dir das Leben Zitronen schenkt, mach Limonade daraus, lautet ein weitverbreiteter Spruch, der gerne auf Kühlschrankmagneten prangt. Doch das kulinarische Leben bietet so viel mehr: Suppen, Saucen und eben so manches Huhn – ohne Zitronen kaum denkbar. Soda Zitrone – der beste Durstlöscher überhaupt, obwohl es den eigentlich nur in Österreich gibt. Warum? Das würde eine eigene Abhandlung notwendig machen. Oder lieber einen Whisky Sour trinken, der so manche Bar-Nacht versüßt.
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