Wein-Kritiker Stephan Reinhardt: "Punkte alleine sagen nicht viel aus"

Der prominente Wein-Kritiker Stephan Reinhardt spricht im Freizeit-Interview, wie oft er spuckt, warum Gott in Österreich wohnt und was er von Wein in Dosen hält.

Der Wein-Kritiker Stephan Reinhardt ist für den prominenten Weinführer Robert Parker "The Wine Advocate" für die Regionen Österreich und Deutschland zuständig. Im Interview mit der freizeit spricht der Deutsche über aktuelle Trends wie Wein in kleinen Flaschen sowie in Dosen sowie über die Auswirkungen des Klimawandels.

Wann haben Sie Ihre Liebe für Wein entdeckt?

Stephan Reinhardt: Im Herbst 1990 mit einem weißen Bordeaux sowie einem weißen Bergerac. Ich war Student und trank mich in einen Rausch. Dass Wein auch Frucht haben konnte, war ich von den Diabetikerweinen einer deutschen Winzergenossenschaft, die mein Vater nippte, nicht gewohnt. Ich blieb beim Altbier. Aber dann kam der Château Bonnet für 10,80 D-Mark und änderte mein Leben. 

Wie viel trinken Sie, wie viel spucken Sie in der Woche?

Wenn ich probiere, trinke ich nicht, sondern ich spucke. Meistens sind es so viele Weine, dass ich am Abend keine Lust mehr auf Wein habe. Aber ich koste gottlob nicht täglich, trinke aber auch nicht notwendigerweise an kostfreien Tagen. Ich brauche immer mal wieder einige Tage Ruhe am Gaumen. Oder plage meine Gäste mit Wasserblindproben.

Welchen Wein werden Sie niemands vergessen?

Einen 1811er Riesling von Bassermann-Jordan. Den Jahrgang hatte Goethe schon gelobt. Und dann die Assmannshäuser Höllenberg Spätburgunder 1945 und 1947 von den Hessischen Staatsweingütern.

Haben Sie einen Tipp für den normalen Weinliebhaber, wie er sich im Dschungel von Bewertungen zurechtfinden soll?

Sie sollten diese ganzen Weinbewertungen nur als Anregung begreifen, nichts als Diktat. Punkte alleine sagen nicht viel aus. Lesen Sie den Text dazu. Besteht der nur aus der Reihung von Aromen, treten Sie den Führer in die Tonne. Probieren Sie viel aus, halten Sie sich an den Weinfachhandel und folgen Sie im Restaurant dem Sommelier oder der Sommelière. Seien sie wissbegierig und lernen Sie ihren eigenen Geschmack kennen. Aber entwickeln Sie vor allem erst mal einen. Und hören Sie den Weinen gut zu. Seien Sie nicht zu spontan in Ihrem Urteil. Stille Wasser sind tief.

Mindestens ebenso verwirrend sind Klassifizierungen von Lagen: Seit Kurzem ist in Österreich eine Klassifizierung der Weinberge auf gesetzlicher Ebene möglich. Was halten Sie davon?

Am Ende ist jede Klassifizierung nicht nur ein Vermarktungsinstrument, sondern schafft auch Orientierung. Verlässlich aber ist alleine der persönliche Geschmack. Wenn Ihnen der Heiligenstein nicht schmeckt, dann ändert daran auch die Klassifizierung als Erste oder Große Lage nichts. Ich persönlich kaufe Weine nicht nach Klassifikation, sondern nach Geschmack. Bei einer guten Klassifikation wie der in Burgund, ist der Unterschied zwischen Grand Cru und Premier Cru schmeckbar. Aber leider finanziell kaum noch leistbar. Dann bleiben immer noch die besten 1er Crus oder auch Villages-Lagen. Bis diese Verhältnisse auch in Österreich herrschen, sind es aber noch einige Jahre oder gar Jahrzehnte hin. Es ist aber gut, dass die Flut an Lagenweinen strukturiert werden soll.  Das hilft dabei, Preise, aber auch geschmackliche Dimensionen zu verstehen. 

Die Österreicher trinken am liebsten österreichischen Wein und sind ja sehr stolz auf ihr Produkt: Ist der Nationalstolz berechtigt?

Gott wohnt schon lange nicht mehr in Frankreich, sondern irgendwo zwischen Golling, Wien und Südtirol. Aus gutem Grund. Natürlich trinkt er Weine aus Österreich, aber die Österreicher haben auch ohne Gottes Hilfe allen Grund, stolz auf ihre Winzerinnen und Winzer zu sein. Einen schlechten Wein habe ich hier noch nicht getrunken, dafür aber unzählige richtig gute und auch die eine oder andere Ikone, die zu den feinsten Weinen der Welt zählt. 

Eine aktuelle Studie der Uni Oxford zeigt, dass milde und nasse Winter, ein früher und warmer Frühling sowie heiße Sommer und ein kalter, trockener Herbst zu guten Bordeaux-Jahrgängen führt. Wie macht sich der Klimawandel in Deutschland und Österreich beim Wein bemerkbar?

Das erleben wir Jahr für Jahr und an unterschiedlichen Orten sehr unterschiedlich. Die Steirer etwa haben heuer so viel Regen gehabt wie selten zuvor, aber der Herbst hat ihnen dann den Jahrgang gerettet. Der am Ende sonnige September und Oktober hat leider nicht allen geholfen, denn Hagel hatte hier und da Großteile der Ernte vernichtet. So etwas gab es immer schon, aber weniger verlässlich. Dass es kommt, ist gewiss; es ist nur unbekannt, wo das Böse zuschlägt. Generell bergen früh austreibende Jahre die Gefahr von zerstörerischen Frühjahrsfrösten und der zweite Austrieb hat dann Probleme, die optimale Reife zu ermöglichen. Trotz zunehmenden Starkregenereignissen bleibt Wasser das Thema der Zukunft. Ohne lässt sich selbst Weinbau nicht betreiben. Doch woher nehmen, wenn‘s über Wochen gnadenlos heiß und trocken ist?

Ansonsten hat der Weinbau dank 4000 Jahren Geschichte viele Möglichkeiten zur Adaption. Es gibt nur eben keine Rezepte mehr. Was früher einmal richtig war, ist es heute nicht mehr. Das beginnt bei den bestockten Lagen und der Auswahl der Wurzelstöcke, geht über Fragen der Bewirtschaftung und des Laubwandmanagements und endet nicht erst beim Festlegen des Erntezeitpunkts. Mehr denn je sind heute schlagkräftige Teams gefragt, die während der Vegetations- und Reifezeit gegebenenfalls schnell reagieren können. Billiger wird guter Wein daher nicht werden.

Immer öfter sieht man Wein in Dosen oder in Mini-Flaschen – passend für die "to go-Generation" bzw. für Single-Haushalte. Ein echter Trend, der bleibt? Was macht das mit dem Geschmack?

Gegen Wein in kleinen Flaschen ist nichts zu sagen. Wer sie kauft, tut das nicht, um sie über Jahrzehnte zu lagern, sondern um sie bei Gelegenheit zu trinken. Die Gelegenheit muss nicht immer gleich ein Essen oder Menü sein. Nach dem Kino oder Konzert noch ein Glas Wein zu trinken, ist ja auch etwas Schönes. Mit Dosen tue ich mich schwerer, die habe ich noch nie gemocht, egal was darin war. Ich jedenfalls kann nicht genießen, wenn ich dabei gehe. Das ist absurd. Die To-go-Kultur ist eine Unkultur. Sie erzeugt nicht nur irrsinnig viel Müll, sondern schafft auch die Wirtshäuser ab und damit auch eine kulturelle wie soziale Institution. Im Elsass oder in Zürich geht man um Punkt 12 Uhr zum Mittagessen. Die Restaurants sind alle voll und die Menschen gut gelaunt. Diese Stunde sollten wir uns nicht nehmen. Auch wenn man hier natürlich mit fünf Euro nicht auskommt. Am Strand zum Sonnenuntergang eine Flache Wein zu trinken, ist ebenfalls herrlich. Natürlich auch hier aus einem guten Glas.

Ein großer Trend der vergangenen Jahre waren Natural Wines: Österreichische Gastronomen berichten, dass der Hype um extrem maischevergorene Weine vorbei ist. Der Trend geht Richtung saubere Naturweine mit weniger Alkoholgehalt. Sehen Sie diesen Trend auch?

Soll ich in jeder doch trinken, was er mag. Es gibt so viele Stile und Geschmäcker. Bei einer gewissen Generation waren - oder sind noch immer - die maischevergorenen Orange Weine erste Wahl. Meine war es selten. Je mehr wir uns mit Wein beschäftigen, desto feiner wird unser Geschmack. Diesen Ansprüchen müssen dann auch die Weine erfüllen. Alles Plakative, Grobe, Laute wird dann auch genau so schmecken und das ist nichts für feine Zungen und wache Geister. Wenig Alkohol bei großer geschmacklicher Komplexität - das ist die wahre Kunst. Der Wein der Zukunft könnte also von Markus Lang aus Krems-Stein stammen. Dort habe ich zuletzt trockene und komplexe Veltliner und Rieslinge mit 9,5-10 Prozent Alkohol probiert. Da ist nichts Unreifes in den Weinen. Sie sind aber eben auch: keine Wachauer Smaragde. Ist das gut so? Das findet man nur selbst heraus. 

Anita Kattinger

Über Anita Kattinger

Leidenschaftliche Esserin. Mittelmäßige Köchin. Biertrinkerin und Flexitarierin. Braucht Schokolade, gute Bücher und die Stadt zum Überleben. Versucht die Welt zu verbessern, zuerst als Innenpolitik-Redakteurin, jetzt im Genuss-Ressort.

Kommentare