Hand mit Glasflasche und dunkler Flüssigkeit vor Fässern

Es muss kein Wein sein: Auch Balsamessig wird mit den Jahren besser

Ob aus Trauben oder Äpfeln: Jahrgänge spielen auch bei Balsamessig eine immer wichtigere Rolle. Viele Jahrzehnte reift dieser inzwischen in Holzfässern.

Was lange währt, wird nicht nur gut, sondern oft noch besser. Das trifft nicht nur auf hochkarätige (Rot-)Weine, Whiskys oder Rum zu, sondern nun auch auf manche Essige. Was sie eint: Eine jahrelange Reifezeit. 

Es ist kein Wunder, dass Vintage, also der Blick auf den Jahrgang, auch bei Essigen ein immer größeres Thema wird. Wie Kostbarkeiten werden da etwa edle Flaschen lange gereiften Aceto Balsamico tradizionale mit der geschützten Ursprungsangabe der Region Modena unter Kennern gehandelt - Essige, die auch ohne Vintage-Siegel schon zu den edelsten weltweit zählen. 

Hier mehr lesen: Das sind die besten Gasthäuser Österreichs 2024

Preise von mehr als 50 Euro und mehr für 100 Milliliter sind keine Seltenheit. Die Produzenten hüten einige wenige alte Balsamico-Fässer (samt Inhalt) wie Schätze, sie werden von Generation zu Generation weitergegeben, die Essige mit Sorgfalt gepflegt. 

Fruchtaromen verändern den Essig

Es ist unter anderem das Aroma der Früchte, das sich mit der Zeit immer wieder verändert. Ebenso wirkt sich der Lagerungsprozess in Fässern aus verschiedenen Hölzern auf den Geschmack aus. Das Ergebnis: Lange gereifter Balsamico changiert zwischen fruchtiger Süße und der Säure des Essigs. Mit den Geschmacksnuancen aus Hölzern wie Eiche, Akazie oder Kastanie entsteht ein aromatisches, hoch komplexes Würzmittel, das etwa kurzgebratenes Fleisch, Saucen oder auch Vanilleeis eine besondere Note verleiht. 

Balsamessig aus Äpfeln

Dass diese Effekte nicht nur beim traditionellen Balsamico zu finden sind, weiß auch Alois Gölles. Im Keller seines Betriebs nahe der steirischen Riegersburg lagern Fässer bis 1984 zurück. Damals versuchte sich der Obstbauer erstmals als Essigbrauer. Aceto Balsamico hatte er kurz zuvor in Modena kennengelernt und war sofort von der mild-süßlichen Säure fasziniert. So sehr, dass er selbst zu experimentieren begann. Allerdings nicht mit Traubenmost, sondern mit heimischen Äpfeln. 

Bei der Herstellung, dem Vergärungsprozess, lehnte er sich aber sehr an die Balsamico-Herstellung an und lagerte seinen Apfel-Balsamessig in Eichenfässern. Ein Versuch sei dies damals gewesen, erinnert sich Gölles - und auch eine Herausforderung. "Essig war damals wirklich ein anderes Thema als heute. Aceto Balsamico kannten nur wenige, in Österreich, Deutschland oder der Schweiz gab es ihn praktisch nicht." 

Alois Gölles in Sakko vor Geländer und Bäumen
©Gölles

Jahrgangsvergleiche

Alte Fässer zum 40-jährigen Jubiläum zu öffnen, ist auch daher so etwas wie eine kleine Zeitreise, die Einblicke in die jahrelange Entwicklungsarbeit geben. "Wir haben am Anfang von Jahr zu Jahr probiert." Rückmeldungen von Köchen und Konsumenten hätten immer wieder aufs Neue eine Richtschnur gegeben. "Manche bevorzugten mehr Frucht, andere wollten eine malzige Note." Doch egal, was man bevorzugt: "Die Aromen der zerkochten Früchte sind wesentlicher Bestandteil eines Balsamessigs. Es ist immer ein Austarieren, etwa wie lange man die Früchte einkocht." 

Was damit gemeint ist, zeigt der Jahrgangsvergleich. Der Apfel-Balsamessig aus 1984 zeigt eine deutlich fruchtige Apfel-Note, im 1987er ist diese hingegen weniger dominant. "Er ist feiner, zarter, ja, eleganter geraten", befindet Gölles. 1988 schmeckt er wiederum in Summe runder und dichter als seine Vorgänger, die Fruchtaromen sind weiter reduziert, eine malzige Note wird deutlicher. Diese ist dann im 1991er-Jahrgang klar zu erschmecken, sie entsteht durch eine längere Einkochzeit des Apfelmosts. Dass dadurch der fruchtige Apfelgeschmack eher im Hintergrund bleibt, macht aus diesem Jahrgang einen besonders ausgewogenen Balsamessig. Wie sich die Balsamessige der 1990er-Jahre generell eher als konzentrierter und dichter in der Konsistenz zeigen.

Aceto Balsamico, Balsamessig oder Balsamicocreme?

Aceto Balsamico di Modena
Der Balsamessig muss in der Region Modena oder der Reggio Emilia hergestellt werden. Allerdings dürfen die Trauben auch aus anderen Regionen stammen. Dieser Essig verfügt über eine geschützte Ursprungsbezeichnung in der EU. Mindestens 20 Prozent eingekochter (oder eingedickter) Traubenmost aus sieben festgelegten Rebsorten muss enthalten sein. Nur eine bestimmte Menge an Karamell - und sonst kein anderer Farbstoff - darf zugesetzt werden. Die Reifezeit beträgt mindestens 60 Tage. Der Säuregehalt des Essigs beträgt strikt 6 Prozent.

Aceto Balsamico tradizionale di Modena
Er verfügt ebenfalls über eine geschützte Ursprungsbezeichnung und gilt als teure Rarität, die nur aus eingedicktem Traubenmost hergestellt werden darf und mindestens 12 Jahre in Holzfässern reift. Die Trauben müssen aus der Region Modena oder der Reggio Emilia stammen, auch sämtliche Herstellungsprozesse müssen hier stattfinden.

Aceto Balsamico
Eine umstrittene Bezeichnung, deren Verwendung aber nicht verboten ist. Es gibt keine fixen Qualitätskriterien.

Crema di balsamico
Sie ist beliebt, aber kein richtiger Aceto Balsamico, enthält Verdickungsmittel und meist auch weitere Zusatzstoffe.

Das erkennt auch ein bewusst schmeckender Laie. Bei den späteren Jahrgängen werde es dann schwieriger, gesteht Gölles. Mit zunehmender Erfahrung gelingen gleichbleibende Ergebnisse. "Die Unterschiede zwischen den einzelnen Jahrgängen wurden geringer. Außerdem gleichen sich im Laufe der Jahre die Aromanoten an." Jahrgänge wie etwa der 2014er sind für ihn "die Essenz aus den Erfahrungen der 1980er- und 1990er-Jahre." Am Gaumen heißt das: Frucht und Säure harmonieren perfekt und ergeben ein ausgewogenes Zusammenspiel.

Extralange Reifung für dickflüssige Creme 

Heute bleiben die Apfel-Balsamessige vor der Flaschenabfüllung normalerweise acht bis zehn Jahre lang in Fässern. Außer jene aus der XA-Serie. Das steht für "extra aromatisch", die Essige reifen mindestens 20 Jahre. Die lange Lagerung bekommt nicht jeder Apfel-Balsamessig-Charge, betont Gölles. Die, die dafür geeignet sind, zeigen sich nach so langer Zeit eher als dickflüssige Creme denn als Flüssigkeit. Die Süße überwiegt die Essigsäure bei weitem. 

Dass sie nicht als klassische Würze über Salat mit Öl geeignet sind, versteht sich von selbst. "In homöopatischen Dosen" entfalten sie ihre Vorzüge am besten, etwa in Form von ein paar Tropfen über Erdbeeren mit Schlagobers. Man kann aber auch großzügiger sein, wie manche italienische Köche und eine Portion Braterdäpfel mit einem ordentlichen Schuss Vintage-Balsamessig verfeinern. Schaden wird's dem Genuss nicht.

Ingrid Teufl

Über Ingrid Teufl

Redakteurin im Ressort Lebensart. Gesundheit, Wellness, Lifestyle, Genuss. Seit 1997 beim KURIER, Studium Geschichte/Publizistik, Germanistik, Politikwissenschaften [Mag.phil.] Mag Menschen, Landschaften und Dinge, die gut tun, gut schmecken, gut riechen, neu sind.....und darüber schreiben.

Kommentare