Was treibt ein Eisschwimmer, wenn es Frühling wird?

Was passiert, wenn ein Eisschwimmer die Wintersaison beschließen will, keiner sich dafür interessiert und die Kollegen einen ständig auf der Schaufel haben. Eine Geschichte über Josef Franek und eine überraschende Begegnung, die mindestens so happy ist wie der Frühling selbst.

Zwölf Grad! Und das Ende März. Josef Fratnik kann es spüren! Mutterseelenallein steht er, die Fußsohlen unter Wasser, im Nieselregen und weiß nicht weiter! Laufschuhe und Socken hat er bereits abgestreift, den Trainingsanzug mit Vereinslogo noch anbehalten. Nur nichts überstürzen. Vor seinen Augen die sich leicht im Wind kräuselnde Oberfläche der Alten Donau. Zärtlich fast schwappt sie bis zu seinen Knöcheln empor, berührt dabei die Pfote des dort beginnenden, selbst gestochenen Eisbären-Tattoos, fast so, als wollte sie ihn umschmeicheln: „Jetzt komm schon, ich bin noch kalt genug, lass uns schwimmen gehen!“

Sinnlos natürlich. Kein Gewässer dieses Planeten kann den Fratnik-Zehen auch nur irgendetwas vorgaukeln. Exakt kalibrierte Messgeräte sind das, die ihm nun neuerlich bestätigen: zwölf Grad! Weniger wird es nicht! „Brunzwarm die Lackn!“, bringt es Josef alles andere als nobel auf den Punkt. Er, der Vereinsobmann des ESF. Eis-Schwimmen-Fratnik. Er, der zigfache Rekordhalter im Nicht-Erfrieren, darunter Disziplinen wie Wer-kann-am-längsten-bis-zum-Hals-in-Eiswürferln-Stehen oder Wer-krault-am-schnellsten-den-Kilometer-bei-maximal-fünf-Grad. Seine Badesaison ist vorbei. Der Frühling greift gierig um sich. Wozu bitte soll er sich bei solch unwürdigen zweistelligen Bedingungen noch selbst erniedrigen und ins Wasser schmeißen? Obendrein ohne Publikum? „Wo bleiben die Affen?“

Kein einziger seiner Arbeitskollegen des Thermalbades Oberlaa ist wie versprochen aufgekreuzt. Und logisch hätte er es besser wissen müssen. „Lieber Josi, willst’ nicht noch einmal, so wie zu Neujahr, für uns durch die Alte Donau schwimmen? Das wär’ spitze, oder besser gesagt: cool.“  „Aber keiner von euch war da!“ „Zu Neujahr? Nach all den Gin-Tonics! Außerdem war’s saukalt, und wir Thermenmenschen sind eben Warmduscher!“ „Was ist das für ein Argument? Ich bin dort Saunawart!“ „Diesmal ist alles anders. Geschworen!“ 

Wie blöd kann ein Mensch nur sein? Kollegen vertrauen, die ihn ständig auf der Schaufel haben, die ihm in seinem Spint jedes seiner geliebten Mireille-Mathieu-Poster mit der Trutschen Helene Fischer überkleben, die ihm seine Diven-Playlist mit Hits von Caterina Valente, Nana Mouskouri, Wencke Myhre, Milva mit diesem jämmerlichen Modern-Talking-Gepiepse überspielen, die ihm usw.!

©Montage,istockphoto,Simone Heher-Raab

Was ist da groß zu erwarten? Ganz klar: nichts. Keine Menschenseele weit und breit. Niemand, der das möglicherweise Bevorstehende bestaunen könnte: „Wahnsinn, der Fratnik. Was für ein harter Hund! Geht der jetzt schwimmen?“ Bewunderung, der wahre Lohn des Heldentums, und sei dieses noch so unsinnig! „Alles für die Fisch!“, rekapituliert Josef im Geiste. Und kurz fühlt er sich genauso einsam, wie sich jemand eben nur einsam fühlen kann, der stundenlang freiwillig allein bis zum Halse in jenen Eiswürfeln steht, die andere in Gemeinschaft aus ihren Gin-Tonics fischen. „Pfeif drauf!“ flüstert er, und schlüpft aus seinem Trainingsanzug. Warum nicht über den eigenen Schatten hinein in die Donau springen und die Badesaison beenden, so, wie es seinem Dasein eben entspricht? Allein. Nur daraus wird nichts.  

„Stopp!“ Voll Sorge die näherkommende Stimme: „Bitte nicht ins Wasser gehen!“ Ein E-Bike namens QWIC bremst sich entsprechend hurtig ein. „Oder ham S’ eh nur den Neoprenanzug vergessen? Dann wär’s im Stadthallenbad sicher wärmer.“ Quirlig stellt sich das abspringende Bündel Leben energisch vor Fratnik ins Wasser, und der traut seinen Augen nicht. „Ich bin die Fritzi Hrdlitschka, und Sie erklären mir jetzt, was das werden soll!“ 

„Eisschwimmen! Aber da-, da ... dafür ist es schon zu warm!“, bringt er kein vernünftiges Wort zustande!  „Zu warm? Eisschwimmen ist was für den Sommer, notfalls mit einem Eskimo!“ „Ich glaub Eskimo sagt man nicht!“  Hell ihr Lachen. Die frechen Augen, frechen Mundwinkel, freche Frisur. Mireille Mathieu in jungen Jahren, der Spatz aus Avignon. Und bei Fratnik regt sich sein Spatz aus Floridsdorf. „Nicht der Eskimo! Das Eskimo. Mit Eis schwimmen. Cornetto, Jolly, Twinni, Nogger!“ – „Nogger sagt man glaub ich auch nicht mehr! Und ich mag nur Schöller!“ 

„Schöller von Nestlé! Sich vom Teufel füttern lassen und dabei den Moralapostel spielen! Da könnten S’ ja glatt noch irgendwo Aufsichtsrat werden. Und jetzt ziehn S’ die Jacke wieder an! Nein ich fass es nicht. Da steht ja ESF drauf!“  „Eis-Schwimmen-Fratnik!“ „Wie bei mir!“ öffnet sie ihre Strickweste, darunter ein Top. „ESF. Eis-Salon-Fritzi“ Auf ihrer Schulter ein Pinguin-Tattoo. „Mein Pfefferminze-Krokant und Erbeer-Caramel löschen jeden Kummer!“ – „Ihre Nummer?“, läge  Pepi da auf der Zunge, Fritzi kommt ihm zuvor.

 „Los jetzt. Ich nehm Sie mit!  Ich hätt’ hier ein paar Warmduscher aus Oberlaa treffen sollen, aber die versetzen mich grad bei dem Nieselregen!“ Lang schon ist Pepi auf keinem Packelträger mehr gesessen – und Fritzi Hrdlitschka strampelt ihn leichtfüßig aus dem Regen in die Sonne.  „Bin ich zu schwer?“  „Mein Qwic packt das schon!“  „Quickie!“, wiederholt Fratnik, und was er sich dazu grad Schönes ausmalt, dauert hoffentlich ein bisserl länger.   

Zur Person

Thomas Raab ist Schriftsteller, Drehbuchautor und Musiker. Zwei seiner erfolgreichen Kriminalromane um den Restaurator Willibald Adrian Metzger („Der Metzger“) wurden verfilmt. Zuletzt veröffentlichte er „Frau Huber ermittelt. Der zweite Fall“ (2020). Sein nächstes Werk  „Peter kommt später“ erscheint demnächst.
www.thomasraab.com

 

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