Filmkritik zu "Rotzbub - Der Deix Film“: Explosion der Wimmerln in Siegheilkirchen
Auch in einem Animationsfilm in 3-D haben die Deix-Figuren braune Flecken und stehen auf großbusige Fleischhauerinnen.
Die österreichische „Deixfigur“ hat es dank ihrer trefflichen Allgemeingültigkeit bis in den Duden gebracht: „karikierende, ins Lächerliche verzerrte Darstellung eines Menschen“, heißt es dort ein wenig bieder. Tatsächlich sieht die von Manfred Deix gezeichnete Personenbeschreibung um einiges verschärfter aus: Fettleibig und bleich, mit rotgeränderten Glupschaugen, Doppelkinn und schiefen Zähnen, stammt die typische Deixfigur meist aus dem Kleinbürgertum, liebt Lodenjacke und große Brüste und kann sich oft nur mit Mühe den Hitlergruß verkneifen.
Der 2016 verstorbene Karikaturist und Katzenfreund Manfred Deix sezierte mit spitzer Feder und gnadenlosem Humor eine österreichische Grundbefindlichkeit, die er als spießig, bigott und rassistisch enttarnte. Dass er bereits von klein auf zum Kenner einer muffigen Nachkriegsprovinz ausgebildet wurde, erzählt der deutsche Regisseur Marcus H. Rosenmüller als publikumsfreundlichen Coming-of-Age-Film, der auf autobiografischen Erlebnissen von Deix beruht.
Dieser war bis zu seinem Tod als „Art Director“ an dem Projekt beteiligt, das jedoch als großer, österreichischer Animationsfilm – mit kaum Erfahrungshintergrund – einen aufwendigen Produktionsprozess durchlief. Mit Santiago López Jover wurde schließlich ein Animationsprofi angeworben, der die computeranimierten Deixfiguren auf sehenswertes, internationales 3-D-Niveau hob.
Die handelnden Personen übernahmen die Regisseure fast zur Gänze aus dem Deix’schen Originalrepertoire und verpflanzten sie in ein tristes Dorf namens Siegheilkirchen. Dort wird ein Kind geboren und von einer stämmigen Hebamme mit dem Kampfschrei „A Rotzbua!“ begrüßt. Der Rotzbua wächst als Sohn von depressiven Wirtsleuten auf, die rotnasige (Ex-)Nazis, fettleibige Ausländerfeinde und alkoholisierte Polizisten zu ihrer Stammkundschaft zählen.
G’sindl
Der sanftmütige Knabe hingegen zeichnet sich durch malerisches Talent aus. Sein Schulfreund Wimmerl, dem regelmäßig die Eiterbeulen im Gesicht explodieren, animiert ihn zu erotischen Zeichnungen mit der großbusigen Fleischhauerin Trude. Die „Duttel-Bilder“ vercheckt Wimmerl für 50 Schilling an die Dorfbewohner („Der Pfarrer zahlt das Doppelte, wegen der Deppensteuer!“).
Auch animiert sind die Deix-Figuren in ihrer boshaften Detailfreudigkeit unschlagbar, wenngleich die Dreidimensionalität Ecken und Kanten der Cartoons abrundet und aufweicht.
Die Stimmenbesetzung ist jedenfalls hervorragend: Deftige Dialekte (gesprochen von Roland Düringer bis hin zu Jürgen Maurer) verleihen den Figuren saftige, österreichische Bodenhaftung. Allerdings werden sie von einer handzahmen Liebesgeschichte mit Wohlfühl-Happy-End eingehegt. Der Rotzbub verknallt sich in ein „Zigeuner-Madl“ („G’sindl!“) und steuert mit seiner im Dorf verpönten Leidenschaft auf einen recht vorhersehbaren Actionhöhepunkt zu. Danach ist das Revolutionsjahr 1968 zum Glück nicht mehr weit.
Was sich bei Deix und seinen Karikaturen zu pointierten Grauslichkeiten zuspitzte, entschärft „Rotzbub“ zur frivolen Milieu-Satire – mit (mittel-)prächtigem Unterhaltungswert.
INFO: Ö/D 2022. 85 Min. Von Marcus H. Rosenmüller, Santiago López Jover. Mit den Stimmen von Roland Düringer, Gerti Drassl.
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