Verena Altenberger: "Picasso war offenbar ein Riesenarschloch"
Warum die ehemalige „Jedermann“-Buhlschaft keine Muse sein will. Ein Gespräch über Inspiration, Künstlerungeheuer und Frauen als Fußabstreifer.
Der Name ist Programm: „Musenverweigerung“ titelt sich die Lesung von Roland Koch und Verena Altenberger am 11. Juli beim „Schwimmenden Salon“ im Thermalbad Vöslau. Es geht um das Kleinmachen mancher Musen, die mitunter gleichwohl Genies waren wie ihre Meister – Camille Claudel etwa, der zeitlebens nicht zugestanden wurde, sich von Auguste Rodin zu lösen. Heute sind ihre Werke Millionen wert. Zum Interview treffen wir Verena Altenberger im Burggarten. Sie trägt Bluejeans, weißes Hemd, Sonnenbrille, trinkt Cappuccino.
Liebe Verena, kennen Sie Kalliope?
Hab ich schon mal gehört. Aber eigentlich nicht.
Sie ist die Muse der epischen Dichtung und eine der olympischen Musen in der griechischen Mythologie. Eine Schutzgöttin der Künste.
Gegen Schutzgöttinnen und mythologische Musen ist nichts einzuwenden. Was hingegen die Musen von Künstlern wie Picasso oder Rodin betrifft, dieses Konzept finde ich problematisch. Diese Frauen wurden im Grunde genommen ausgebeutet und ihre eigene Kunst kleingehalten. Wenn das heißt, eine Muse zu sein, finde ich das sehr verwerflich.
Sie missbilligen die Idee vom Kuss der Muse.
Eine bekannte Kollegin erwähnte mir gegenüber einmal, wie gern sie die Muse von jemandem wäre. Das hat mich sehr irritiert. Was reizt denn daran, die Muse von jemandem zu sein? Im Grundkonzept schenkt sie einem Mann Energie und Inspiration, anstatt beides für sich selbst zu verwenden. Ich will keine Muse sein.
Musen sollen anderen helfen, ihrer Berufung zu folgen oder sie zu finden, Potenzial zu entfalten und Kreativität zu befeuern. Heute würde man vielleicht Coach oder Mentor sagen. Braucht nicht jeder im Leben eine Muse?
Nein. Ein Coach würde bezahlt und ein Mentor hat einen höheren Status. Natürlich zieht man Inspiration aus den Menschen um sich. Aber das Konzept Muse klingt für mich nach armem Hascherl, das hübsch anzusehen ist, und intellektuell so weit ist, dass man mit ihr zwar ein anregendes Gespräch führen kann, sie aber dennoch im höchsten Maße austauschbar ist und im Schatten eines Mannes steht. Ich finde nicht, dass das jeder braucht. Die sollen sich Inspiration auf Augenhöhe oder von der Natur oder weiß Gott woher holen.
Die Muse ist nichts ohne ihren Meister. Es ist eine Abhängigkeit impliziert. Ein Meister ohne Muse ist zwar ein uninspirierter Meister, aber immer noch Meister.
Musen inspirieren nicht nur andere, sondern sind meist selbst kreativ. Ihr Licht wird aber oft unter den Scheffel gestellt.
Und das kapiere ich eben nicht: Wenn ich eine Frau tatsächlich so inspirierend finde, dass ich dadurch noch größere Kunst schaffe als ich ohnehin könnte und ich diese Frau ehrlich schätze – dann würde ich diesen Menschen in seinem eigenen Kunstschaffen doch unterstützen. Und nicht einzig verlangen, nur meine Kunst zu beflügeln. Aber das passiert in den seltensten Fällen. Denn sobald die Muse den Meister überragt, ist sie ja keine Muse mehr.
Eine Begegnung von Muse und Meister auf Augenhöhe würde die Konstellation ins Wanken bringen.
Die Muse steht im Status unter dem Meister. Sie ist nichts ohne ihren Meister – eine Muse, die keinen inspiriert, ist nicht per se Muse. Es ist eine Abhängigkeit impliziert. Ein Meister ohne Muse ist zwar ein uninspirierter Meister, aber immer noch ein Meister.
Das Thema Ihrer Lesung beim „Schwimmenden Salon“ ist „Musenverweigerung“. Welche Texte werden Sie vortragen?
Es werden Briefe von Camille Claudel sein, Bildhauerin und Geliebte von Bildhauer Auguste Rodin, sowie Texte über Françoise Gilot, die einzige Frau, die selbsttätig beschlossen hat, Picasso zu verlassen. Sie war selbst Malerin, Mutter und Buchautorin.
Camille Claudels Genie wurde vertuscht. Es wurde ihr verunmöglicht, sich von Rodin abzugrenzen, sie landete mit Paranoia in der Nervenheilanstalt.
Wir, die Gesellschaft und Medien leisten unseren Beitrag im Unkenntlichmachen von Frauen und ihrem Wert. Wir stecken Menschen gern in Schubladen, die junge Frau in die Lade „Muse“ und den älteren Herren in die Lade „Genie“. Das finden wir angenehm bekannt.
Müssen Frauen sich im Kunstbetrieb doppelt anstrengen, um anerkannt zu werden?
Das ist eine verkürzte Beschreibung für eine umfassende Systematik. Im Schauspiel ist es so, dass es viel mehr Männer- als Frauenrollen gibt. Eine andere Hürde ist, wenn man ein Kind bekommt. Eine Frau mit einem sechs Monate alten Baby? Beängstigend für die Auftraggeber. Ein Vater eines jungen Babys? Kein Problem. Zudem werden Frauen schlechter bezahlt, müssen also mehr für denselben Verdienst arbeiten, haben ergo weniger Zeit und kreative Pausen.
War Picasso für Sie das Paradebeispiel des Frauen ausbeutenden Künstlers, ein Ungeheuer?
Offenbar war der Typ ein Riesenarschloch, zumindest was Frauen anbelangt. Françoise Gilot berichtete, er hätte sie abwechselnd wie eine „Göttin“ oder einen „Fußabstreifer“ behandelt. Als sie ihm eröffnete, sie sei ebenfalls Malerin, hat er erstmal gelacht. Er glaubte nicht, dass Frauen gleichwertige Künstlerinnen sein können.
Warum gibt es kaum männliche Musen?
Ich weiß nicht. Vielleicht sind Frauen aus sich heraus kreativ und brauchen nicht ständig eine Muse, auf der sie herumtrampeln können. Aber das ist natürlich eine polemische Antwort. Es gibt sicher auch gesunde Musen-Beziehungen. Eine solche muss aber ohne Machtgefälle auskommen, und vielleicht auch ohne sexuelle Komponente.
Was inspiriert Sie persönlich?
Das Älterwerden. Ich denke mir oft, egal wie gut oder schlecht ein bestimmter Tag verläuft, jünger sein möchte ich auf keinen Fall. Mit dem Alter wird alles irgendwie interessanter, also auch inspirierend. Meine Freundinnen – Menschen, denen ich mein Leben anvertrauen würde – werden auch immer noch und noch toller.
Wer ist Ihre Muse?
Wenn ich überhaupt eine habe, wohl meine tote Mutter. Wenn ich in meiner Arbeit Tiefe finden muss – Freude, Verletztheit, Traurigkeit, Wut – bezieht sich die Suche oft auf sie. Sie ist ein Mensch, an den ich denke oder von dem ich träume, um in meinem Beruf Zugang zu meinen Gefühlen zu finden.
Veranstaltungs-Tipp
MUSENVERWEIGERUNG im Schwimmenden Salon am 11. Juli, 20 Uhr 30 im Thermalbad Bad Vöslau:: Verena Altenberger und Roland Koch lieben und leiden in einer Textcollage, die von Polly-Adler-Kolumnistin und Intendantin des Schwimmenden Salons Angelika Hager gestaltet wurde. Thema sind große Künstlerinnen, die sich aus den Schatten übermächtiger Männer befreit haben.
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