TVBOY: Dieser "italienische Banksy" ist ein Küsserkönig
Street-Art-Künstler TVBOY lässt Gegenspieler und Influencer-Pärchen miteinander schmusen. Das bringt ihn in Galerien. Warum er dennoch nicht auf die Straße verzichtet.
Plötzlich liegen sich Feinde auf der Straße in den Armen und schmusen miteinander. Die ehemaligen Kicker des FC Barcelona und Real Madrid Lionel Messi und Cristiano Ronaldo küssen sich vor dem „El Clásico“ ebenso leidenschaftlich wie Engel und Teufel. Das himmlische Wesen ist Papst Franziskus und der Höllenfürst mit den Teufelshörnern ist Donald Trump.
➤ Mehr dazu: Wie Graffiti auch in Wien zur Kunst wurde
Wenn der Street-Art-Künstler TVBOY Plakate mit Graffiti mischt und das Ganze mit einer Portion Ironie und Sarkasmus würzt, dann sprühen öde Mauern vor Farbe und Liebe. Die darf gerne blind machen, Grenzen sprengen – oder, wie im Falle von Engerl und Teufel, eine Absolution erteilen. Das Werk zeigt, wie am Ende „das Gute dem Bösen vergibt“. So sieht es TVBOY, wie er einmal Euronews erklärte.
Seine Werke auf den Straßen, aber auch in Museen und Galerien erinnern an einen großen Unbekannten aus England. TVBOY gilt deshalb mitunter als „der italienische Banksy“. Gerade ist beim Midas-Verlag das erste Buch über den Shooting-Star der Kunstszene mit dem simplen Titel „TVBOY“ erschienen. Er hat es auch autorisiert.
Vermummt und mit Brille
Im Gegensatz zu Banksy weiß man aber, wie er heißt – und auch wie er aussieht. Zumindest manchmal. Denn Salvatore Benintende, der in Palermo aufgewachsen ist und in Barcelona lebt, zeigt sich in Interviews gerne – standesgemäß – vermummt oder mit Sonnenbrille und Kapperl.
Er greift ikonische Bilder auf und lädt sie mit neuer Bedeutung auf. Er stattet Coco Chanel mit Spraydose aus und lässt sie mit gekonnter Coolness ihr Logo auf eine Wand sprühen. Leonardo da Vinci legt seinen tätowierten Arm um Mona Lisa. Beide wirken wie auf ihre Hipness bedachte Touristen, die in Rom auf der Suche nach dem perfekten Latte Macchiato für ihren Instagram-Post sind.
Smartphones und soziale Medien haben es ihm angetan. Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge posiert für ein Selfie wie Vincent Van Gogh. Für das Bild „Der Kuss des Influencers“ greift TVBOY auf Robert Doisneaus berühmtes Foto „Der Kuss vor dem Hôtel de Ville“ zurück. Ein junges Paar ist eng umschlungen, doch die Dame hat trotz aller Leidenschaft und Hingabe Zeit und Muse, den Moment festzuhalten.
Auch wenn es sich um x-beliebige Menschen handeln könnte, handelt es sich in diesem Fall um das berühmteste Paar Italiens, das mittlerweile getrennt sein soll. Doch bei TVBOY war die Welt noch in Ordnung: Rapper Fedez und die Mode-Influencerin Chiara Ferragni. Die Ikonen einer neuen Generation taten wenig, wobei sie sich nicht filmten und fotografierten. Ironie der Geschichte: Fedez wählte das Bild aus, um sein Lied „Favorisca i sentimenti“ (Gefühle stärken) in den sozialen Medien zu bewerben. Mit dem Song hatte er Ferragni einen Heiratsantrag gemacht. Street Art ist halt auch nicht mehr wirklich subversiv.
➤ Mehr dazu: In der Street Art spielen Frauen alles an die Wand
Aber TVBOY, der Industriedesign studiert und später die Fakultät für Bildende Künste besucht hat, kann auch anders, ernsthaft. Er erzählt von Rassismus, von Umweltzerstörung, von Gewalt. Wie der anonyme Brite Banksy reiste er auch in die Ukraine und setzte auf den dortigen Mauern ein Zeichen gegen den russischen Angriffskrieg.
Wie Nicolas Ballario im Vorwort des neuen Buches schreibt, sagte TVBOY einmal: „Die Kunst hat die Aufgabe, von der Gegenwart zu erzählen. Ich fühle mich zwar nicht als politischer Künstler, aber ich beobachte die Geschehnisse. Und wenn mich ein Thema berührt, mach ich es zu meinem und verarbeite es.“
Strafe zahlen
Er bereitet die Werke zu Hause vor und hängt sie später auf den Straßen auf. Dabei verbirgt er seine Identität gerne mit Sonnenbrille und Kappe. Die Staatsmacht versteht nicht unbedingt Spaß, wenn sie ihn dabei erwischt. Er musste auch schon Strafe zahlen. TVBOY könnte einfach um Erlaubnis fragen. Aber der bürokratische Aufwand sei zu hoch. Und historische Gebäude will er ohnehin meiden. Dem ARD-Magazin ttt sagte er, seine Kunst sei immer dort schön, wo sie Hoffnung spende. Er sieht es als seine Aufgabe an, hässliche Orte zu verschönen.
Deshalb kommt es für ihn auch nicht in Frage, sich immer auf Museumswände zu beschränken: „Die Straße hat mich in der Öffentlichkeit bekannt gemacht und mir die Möglichkeit gegeben, in Galerien auszustellen“, sagte er Euronews. „Wenn mich die Polizei erwischt, akzeptiere ich das und bezahle.“ Manchmal ist es einfacher, um Vergebung zu bitten als um Erlaubnis.
Aber mit seiner „urbanen Pop-Art“ bringe er Kunst zu denen, die sonst nicht so oft ins Museum oder in Galerien gehen. Und immerhin: Ein Polizist hat seine Leidenschaft für Street Art entdeckt.
Kommentare