Frau schaut traurig auf ihr Smartphone

Trend "Sadfishing": Warum in den sozialen Medien nun alle traurig sind

Weinerliche Minen und besorgniserregende Kommentare erzielen im Netz zunehmend Aufmerksamkeit und Zuspruch.

Die sozialen Medien haben sich weiterentwickelt: Während zu Beginn auf Instagram & Co. hauptsächlich schöne Momente geteilt wurden, gibt es seit einigen Jahren einen Trend zu Authentizität und demonstrativer Verletzlichkeit. Mentale oder körperliche Probleme werden offen thematisiert, häufig versehen mit Hinweisen wie "Trigger Warnung" oder "Content Note". 

In Reels, also kurzen Videos, oder Storys erzählen Social-Media-Nutzer dann oft unter Tränen von Liebeskummer oder depressiven Episoden - oder hinterlassen nur kurze, vage Kommentare, die auf eine tiefere Krise hindeuten sollen. 

Sätze à la "Karma erwischt jeden" oder "Eines Tages werde ich auf diese Zeit zurückblicken und wissen, wofür es gut war" lassen einen nicht nur authentisch und echt erscheinen - sie generieren zunehmend Interesse und Aufmerksamkeit im lange Zeit allzu glatten digitalen Dschungel. Prominente Vorreiterinnen sind etwa Meghan Markle oder Bella Hadid, die teilweise sehr emotional ihre Erfahrungen mit Ängsten, Krankheiten und Mobbing-Erfahrungen teilten.

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Ängstlicher Bindungsstil

Doch nicht immer erfolgt der digitale Seelen-Striptease ohne Hintergedanken. "Sadfishing" nennt sich das neuartige Phänomen: Mit kryptischen Sätzen und weinenden Minen soll Reichweite, im besten Fall Mitleid und Mitgefühl im Online-Kosmos erzielt werden. Der Begriff ist angelehnt an das Online-Dating-Phänomen "Catfishing", bei dem manipulierte Fotos zu mehr Kontakten führen sollen.

Von Psychologen wird das Sadfishing häufig mit einem ängstlichen Bindungsstil in Verbindung gebracht. Personen, die unter starken Verlustängsten leiden, viel Bestätigung brauchen und zu Co-Abhängigkeit neigen, tendieren demnach eher zu Sadfishing, sagt die Verhaltenspsychologin Cara Petrofes, die das Phänomen erforscht hat. 

"Unsere Forschung zeigt, dass jene mit einem ängstlichen Bindungsstil dazu neigen, Bestätigung in anderen zu suchen und eine größere Anzahl an Online-Freundschaften und -Aktivität brauchen", sagte Petrofes zur Huffington Post. "Das kann zu Sadfishing führen." Diese Personen würden dann eher Depressionen oder Traurigkeit "simulieren" bzw. verstärken, um Unterstützung und Zuspruch zu erhalten, die sie im analogen Leben so nicht erfahren würden.

Kendall Jenner und die Akne

Zum ersten Mal kam der Begriff 2019, im Zusammenhang mit Topmodel und Instagram-Ikone Kendall Jenner, auf. Die Journalistin Rebecca Reid kritisierte damals Jenners Instagram-Story, in der diese weinerlich über ihre Probleme mit der Hautkrankheit Akne berichtete. Jedoch nicht ohne Hintergedanken, wie sich später herausstellte: Ihr "Outing" war Teil einer Marketingkampagne für eine Kosmetikmarke und wurde demnach von vielen als manipulativ eingestuft. Die emotionale Öffnung war nach hinten losgegangen.

Sie wolle mit ihrer Wortkreation solch kalkuliertes, unauthentisches Verhalten aufzeigen, aber keinesfalls Verletzlichkeit im Netz generell verurteilen, betont die Autorin heute. "Viele von uns betreiben manchmal Sadfishing, und das ist okay", sagte sie dem britischen Independent. "Es ist legitim, Aufmerksamkeit zu suchen. Daran ist nichts falsch." Bedenklich werde es eben erst dann, wenn damit andere Menschen für den eigenen Zweck manipuliert werden. 

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