Das Comeback der Klassiker: Warum Literaturverfilmungen boomen
"Hundert Jahre Einsamkeit" läuft gerade erfolgreich im TV, weitere Literaturverfilmungen sind in Planung. Was fasziniert uns so daran?
Das Buch galt lange Zeit als unverfilmbar. Mehr noch, sein Autor wehrte sich ganz ausdrücklich gegen jeden Versuch, seinen wahrscheinlich erfolgreichsten Roman zu verfilmen. Und das, obwohl Gabriel García Márquez dem Kino durchaus nahestand. Er stand nicht nur den Verfilmungen seiner Werke "Chronik eines angekündigten Todes" und sogar "Die Liebe in den Zeiten der Cholera" positiv gegenüber, er schrieb neben seinen Romanen sogar selbst jede Menge Drehbücher.
Die "Hundert Jahre Einsamkeit" aber, diese noch sehr dem magischen Realismus verhaftete, sich über 100 Jahre spannende Familiengeschichte, die konnte er sich beim besten Willen nicht als Film vorstellen.
Zu Recht wahrscheinlich, denn auch die "Cholera"-Verfilmung scheiterte letztendlich, wenn auch in Würde, am schieren Gewicht der Vorlage. So wie zuvor praktisch alle Versuche, William Faulkner oder Fjodor Dostojewski auf die Leinwand zu bekommen, oder besser: ihr Werk in seiner ganzen Vielschichtigkeit umzusetzen.
Weil ganz einfach eineinhalb, zwei oder sogar drei Stunden zu wenig sind, um alle Handlungsstränge auszubreiten, auch Nebencharaktere "rund" zu zeichnen und die Protagonisten und deren oft widersprüchlichen Charaktere glaubhaft darzustellen. Denn Helden und Antihelden müssen praktisch atemlos von einer wichtigen Szene zur nächsten durch sämtliche Filmsets hetzen. Und das Publikum hinterher ...
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- Deshalb ist Fernsehen das bessere Kino
- Ambitionierte Anfänge in den 1970ern
- Auf diese Serien dürfen wir uns freuen
Dass das Fernsehen mit dem Format der Serie hier einen entscheidenden Vorteil hat, war natürlich auch schon den Filmschaffenden früherer Jahrzehnte klar. Allen voran die BBC, aber auch das ZDF und das französische Fernsehen versuchten immer wieder, teilweise in Koproduktionen, ambitionierte Stoffe in die Wohnzimmer des alten Jahrhunderts zu bringen.
Das machten sie auch bisweilen gar nicht schlecht, es gibt einige dieser, meist als Vierteiler präsentierten, Verfilmungen aus den 70ern und 80ern des vorigen Jahrhunderts, an die man sich doch mit einiger Freude erinnert. Jack London, Robert Louis Stevenson, aber auch der alte Tolstoi versammelten damals die Familien vor den TV-Geräten.
Da mussten dann halt fünf Statisten und jede Menge Rauch reichen, um die Schlachten zwischen Napoleon und der russischen Armee darzustellen, und Schauspieler taumeln in einer kalt ausgeleuchteten Studiokulisse hin und her, um das Leben in einem Schiff auf hoher See zu simulieren.
Und sie, also die Schauspieler, waren, nun ja, eben "Fernsehschauspieler", und keine Marlon Brandos, Daniel Day-Lewis’ oder Tilda Swintons.
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Heute dagegen ist es kein peinlicher Abstieg mehr, wenn ein Leinwandheld "jetzt mehr Fernsehen macht". Im Gegenteil, internationale Stars reißen sich praktisch darum, bei ehrgeizigen TV-Projekten dabeizusein.
Nicole Kidman und Reese Witherspoon etwa prägen, teilweise gemeinsam, das Bild von Fernsehserien seit einigen Jahren. Matthew McConaughey ist ebenso dabei wie Kevin Costner und Al Pacino oder die preisgekrönte Amy Adams, die in "Sharp Objects", also einer literarischen Thrillerverfilmung, brillierte.
Und auch wenn die Zeiten, in denen Geld bei den Streaminganbietern keine Rolle zu spielen schien, schon wieder vorbei sind, nehmen sie für Prestigeprojekte doch noch immer einige Dollars in die Hand. Licht, Kostüme, Settings, Kamera – das hat heute auch im Fernsehen alles die aus dem Kino bekannte Qualität.
Großes Kino im TV
Und neben der Möglichkeit, ohne brutale Kürzungen erzählen zu können, ist genau diese Qualität bei der Verfilmung von Klassikern oft besonders wichtig. Mit dem "Decamerone" nahm sich Netflix erst in diesem Jahr eines der größten Klassiker der Literaturgeschichte an – und verstand auch in Sachen Ausstattung durchaus zu beeindrucken.
Und weil Konkurrenz in diesem Fall tatsächlich die gesamte Szene belebt, haben auch einige öffentlich-rechtliche Sender ihr früher oft ein wenig billiges Vorstadtbühnenflair abgeschüttelt.
Stars machen Serien erfolgreich
Wie die BBC vor acht Jahren Tolstois Monsterwerk "Krieg und Frieden" umsetzte – einfach grandios. Und auch Hilary Mantels wunderbarer Roman "Wolf Hall" kann sich durchaus sehen lassen. Übrigens mit Claire Foy und Tom Holland, nur weil vorhin von Stars die Rede war, die mittlerweile gerne in Serien mitspielen - oder durch sie "gemacht" werden.
Serien machen Stars
Denn auch das passiert längst: Dass Stars durch Serien zu solchen werden! Praktisch der komplette "Euphoria"-Cast ist mittlerweile in die höchsten olympischen Ränge aufgestiegen, Nepo-Baby Jack Quaid wurde durch "The Boys" doch noch zum Star und auch der fantastische Bobby Cannavale ist ein "Kind" des Serien-Booms.
In Italien schaffte es die schöne Benedetta Porcaroli mit Serien wie "Baby" ganz nach oben – und wird ab März kommenden Jahres in der mit Spannung erwarteten Netflix-Adaption des Klassikers "Der Leopard" von Giuseppe Tomasi di Lampedusa zu sehen sein.
Der Roman des letzten Fürsten von Lampedusa und Herzogs von Palma wurde 1963 schon einmal fürs Kino verfilmt. Die mit Stars gespickte Version von Luchino Visconti erhielt ursprünglich durchwachsene Kritiken und gilt erst nachträglich als Meisterwerk. Der Vergleich sollte durchaus interessant werden.
Dass die Verfilmungen von Literaturklassikern derzeit so beliebt sind, könnte natürlich auch mit einem weiteren Phänomen zu tun haben...
Das Publikum scheint mittlerweile ein wenig ermüdet von erfolgreichen Stoffen, die in schier endlosen Staffeln zu Tode gemolken werden, bis kein Mensch mehr weiß, WIE das Ende eigentlich aussehen soll. Oder es jedem wurscht ist. Das Resultat: Miniserien liegen eindeutig im Trend.
Keine Angst vor einem schlechten Ende
Womit wir schon wieder bei den Literaturverfilmungen sind. Denn bei klassischen Stoffen ist immer auch ein stimmiges Ende in Sicht. Egal, ob wir es fürchten, hassen oder lieben - es hat genau so bereits funktioniert. Und während zeitgenössische Autoren und Autorinnen bei erfolgreicher Verfilmung - die oft erst das eigentliche schriftliche Werk bekannt macht - gerne selbst eine Fortsetzung nachschießen, besteht diese Option bei Klassikern nicht. Eine Fortsetzung zu schreiben, wäre quasi ein Sakrileg. Hoffentlich bleibt es dabei.
Darauf dürfen wir uns freuen
Die Serien-Zukunft wird mehr als spannend, was hochkarätige Literaturverfilmungen betrifft!
- Superstar Florence Pugh wird in der Mini-Serie "Jenseits von Eden" nach John Steinbeck zu sehen sein.
- Die BBC dreht aktuell eine Serie nach William Goldings "Lord of the Flies", während L. M. Montgomerys Roman "The Blue Castle" (1926) in Kanada verfilmt wird.
- Maggie Gyllenhaal widmet sich mit "The Bride" dem Stoff von Mary Shelley.
- James Franco ist wieder einmal an William Faulkner dran. Nach zwei gefloppten Kinofilmen hat er im Serienformat vielleicht mehr Erfolg. Am US-Literatur-Giganten arbeitet sich aktuell auch David Milch ("Deadwood") ab – Vorlage ist angeblich "Absalom, Absalom!". Aufregend.
- Ganz konkret ist offenbar auch eine Verfilmung von Cormac McCarthys beiden letzten Romanen "The Passenger" und "Stella Maris". Hinter dem Projekt steckt kein Geringerer als Erfolgsregisseur Jeff Nichols.
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