
Schöner Scheitern: Die Flops von William Faulkner & Joseph Conrad
Debüts, die in die Hose gehen: Vor 100 Jahren schrieb William Faulkner einen Flop, seinem Vorbild Joseph Conrad ging's nicht besser.
Sensations-Debüts allerorts, literarische Wunderkinder, die die Charts, Entschuldigung, die Bestsellerlisten "rocken". Wie Goldschürfer sind Scouts ständig auf der Suche nach dem nächsten heißen Ding.
Erfüllt eine prognostizierte literarische Sensation die in sie gesetzten Hoffnungen nicht, zieht der Tross der Auskenner und Zuschauer, Claqueure und Kritiker eben weiter.
Mehr als eine Million Neuerscheinungen werden jedes Jahr von offiziellen Verlagen veröffentlicht, dazu kommen etwa drei Mal so viele Eigenverlagsexemplare. Allein der renommierte Random House Verlag bringt jährlich 85.000 neue Titel auf den Markt.
War früher alles anders? Besser? Wohl kaum ...
Außerdem lest ihr in dieser Geschichte noch:
- Wie Faulkner die Tür zur "Lost Generation" verschlossen blieb
- Was Hemingway von Faulkner hielt - und umgekehrt
- Was Faulkner mit dem "Plastikarsch der Welt" meinte
Natürlich explodieren die Zahlen, das liegt in der menschlichen Schneller-höher-weiter-Natur. In Ermangelung einer alles umfassenden, knallbunten Musik-Welt, die uns heute überallhin begleitet, oder auch von Menschen, die auf Social Media dafür berühmt werden, dass sie schöne Fingernägel haben und sogar wissen, wie man sie lackiert, waren Autoren so etwas wie die Rockstars ihrer Zeit.
Und der junge Ernest Hemingway, groß, fesch, stark, wagemutig, war so etwas wie ihr Poster-Boy.
Da konnte William Faulkner schon rein optisch nicht mithalten. Mit gerade einmal 166 cm Körpergröße blieb dem Mann aus den Südstaaten sogar der Eintritt in die US-Army verwehrt, im Gegensatz zu seinem Konkurrenten Hemingway wurde er im Ersten Weltkrieg also nicht zum Helden.
Und bis er seine Ausbildung bei der kanadischen Air Force, die nicht so kleinlich war, was die Größe angeht, abgeschlossen hatte, war der Krieg zum Glück zu Ende.
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Dennoch erzählte Faulkner lange Zeit Geschichten darüber, wie er im dramatischen Luftkampf abgeschossen worden sei ...
Danach tat Faulkner, was man als Künstler damals eben so tat und besuchte Europa. Er bereiste Italien, dessen Flair und Architektur er liebte, und kam schließlich auch nach Paris. Im Gegensatz zu Hemingway, der dort zur gleichen Zeit zum hellsten Stern der "Lost Generation" um F. Scott Fitzgerald und Ezra Pound aufstieg, blieben die Türen des Salons von Gertrude Stein für den introvertierten und menschenscheuen Faulkner verschlossen.
William Faulkner
Geboren in New Albany, Mississippi, war er der Inbegriff eines "Southern Gentleman". Die konnten mitunter auch ganz schön ruppig sein. Der Nobelpreisträger (1949) musste lange um Anerkennung und vor allem um finanziellen Erfolg kämpfen. Für "Eine Fabel" und für "Die Spitzbuben" erhielt er auch den Pulitzer Preis. Den Großteil seiner Preisgelder spendete er. Faulkner, sein Leben lang ein begeisterter Reiter, starb an den Folgen eines Reitunfalls.
So er denn überhaupt angeklopft hat. Guten Grund hätte er eigentlich gehabt, denn der 28-Jährige hatte damals das Manuskript seines ersten Romans im Gepäck: "Soldier’s Pay" oder "Soldatenlohn", wie er in der erst 33 Jahre später erschienenen deutschen Übersetzung hieß.
Statt mit den coolen Autoren-Kumpels darauf anzustoßen, zog Faulkner sich in sein geliebtes Mississippi zurück, lebte in der 5.000-Seelen-Gemeinde Oxford und arbeitete weiter daran, seinen Traum zu verwirklichen, ein Schriftsteller zu werden. Den hatte er als 10-Jähriger gefasst – unter anderem nach Lektüre der Romane von Joseph Conrad, der Zeit seines Lebens großen Einfluss auf ihn haben sollte. Es gab nicht viele Autoren, denen er später, als Nobelpreisträger, einen prägenden Einfluss zugestand.
Über Conrad sagte Faulkner sogar bei einer Vorlesung an der University of Virginia, wo er von den Studenten über den möglichen Einfluss Conrads auf sein eigenes Werk befragt wurde: "Ganz richtig. Ich habe einiges von Conrad übernommen."
Faulkner bewunderte vor allem Conrads Vermögen, komplexe, emotionale Landschaften zu gestalten und beinahe ansatzlos die Sichtweise zu wechseln. Auch, was Faulkners Hang zu "großen" Sätzen anbelangt, Verschachtelungen, die dem Leser ein Höchstmaß an Konzentration abverlangen, gibt es durchaus Parallelen.
Als bereits etablierter Schriftsteller antwortete er einem Kritiker, der monierte, er habe seinen neuen Roman nun bereits sechs Mal gelesen und immer noch nicht verstanden, mit kaum zu überbietender Chuzpe: "Dann werden Sie ihn ein siebtes Mal lesen müssen."
In seinen Anfangsjahren mag es aber durchaus ein Grund gewesen sein, warum seine ersten Romane und Kurzgeschichten nicht so erfolgreich waren wie die seines Rivalen Ernest Hemingway.
Über den äußerte er sich 1956 in einem Interview mit The Paris Review kritisch, weil er nie ein Wort verwendet habe, das einen Leser dazu bringen würde, ein Wörterbuch zu verwenden. Worauf Hemingway konterte und betonte, dass es wichtiger sei, klar und präzise zu schreiben als komplizierte Wörter zu verwenden. Und süffisant hinzufügte: Er vermöge auf jeder Seite zu sehen, wo Faulkner seinen ersten Whiskey getrunken habe, da er den "betrunkenen Mut von Maiswhiskey" erkennen könne.
An dieser Stelle ein kurzer Einschub für Whiskey-Freunde: Es stimmt, dass Faulkner oft auch "Moonshine" Maiswhiskey trank, immerhin schrieb er seine frühen Werke zur Zeit der Prohibition, am liebsten hatte er aber Bourbon: Old Crow wie sein Kollege Mark Twain und Four Roses. Sehr gerne in Form eines "Mint Julep".
Jedenfalls gab Faulkner, ganz wie sein Vorbild Joseph Conrad nach dessen Debüt-Flop "Almayers Wahn" (1895), nicht auf, auch wenn es sechs Jahre und vier weitere erfolglose Romane dauerte – darunter Jahrhundertwerke wie "Schall und Wahn" (1929) und "Als ich im Sterben lag" (1930) – bis sich endlich auch der finanzielle Erfolg einstellte. Und das ausgerechnet mit einem waschechten Skandalroman, der in einigen Ländern verboten war: "Die Freistatt" (1931).
Faulkner meinte später, er wollte damals einen Schundroman schreiben, um zu Geld zu kommen. So ganz abkaufen darf man ihm das nicht, anspruchsvoll ist er, auch, wenn er über skandalöse Themen schreibt.
Sein finanzielles Glück währte übrigens nur kurz: Sein Verlag ging Pleite, trotz guter Verkaufszahlen bekam er kein Geld mehr und arbeitete ab 1932 vorübergehend als Drehbuchautor in Hollywood. "Am Plastik-Arsch der Welt", wie er selbst es nannte.
Der Glaube an sich selbst ging ihm aber auch dort nicht verloren. Als Clark Gable ihn darum bat, ihm die besten zeitgenössischen Autoren zu empfehlen, nannte er Thomas Mann, Ernest Hemingway – und sich selbst. "Ach, Sie schreiben auch?", fragte Gable verwundert. "Yep", sagte Faulkner, "und was machen Sie, Mr. Gable?"
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