Schauspielerin Martina Ebm: "Man muss verzeihen können"
Wovor das Ex-"Vorstadtweib" und Josefstadt-Ensemblemitglied Angst hat, was sie unbedingt zum Leben braucht, wovon sie träumt.
Weißes Männerhemd, Jeans, hohe Schuhe. Den langen Probentag am Theater sieht man Martina Ebm wirklich nicht an. Auch keine Anspannung, was immerhin wenig verwunderlich wäre, stehen derzeit doch zwei Bühnenstücke und die Dreharbeiten für die TV-Serie "Alles finster" für die Schauspielerin am Terminplan. Doch nichts von alledem.
"Ich mag’s, wenn was weitergeht", betont die dreifache Mutter, als sie es sich fürs Gespräch mit freizeit auf einem roten Samtsofa hinter den Kulissen bequem macht. "Das ist wie bei einem Stein, den man ins Rollen bringt."
Zu sehen ist sie aktuell in "Nachtland" von Marius von Mayenburg an den Wiener Kammerspielen, eine satirische Komödie über die Vergangenheitsbewältigung einer Familie, die ein Hitler-Gemälde am Dachboden findet und sich nun um das Hervorheben ihrer Nazi-Vergangenheit bemüht, um den Wert zu steigern. Im Jänner folgt dann die Uraufführung von "Azur oder die Farbe von Wasser" (Theater an der Josefstadt), ein Drama von Lisa Wentz über Missbrauchsfälle in einem katholischen Bubeninternat im Österreich der Achtziger.
Im Stück "Nachtland" findet eine Familie einen echten Hitler am Dachboden. Und rätselt darüber, was mit dem Bild anstellen. Vernichten? Verkaufen? Was würden Sie tun?
Talent als Maler hatte Hitler keines. Das Bild ist nur so viel wert, weil er ein Massenmörder war. Wie absurd! Natürlich stellt sich die Frage, ob man selbst es moralisch vertreten könnte, so ein Bild zu Geld zu machen. Ich glaube, ich könnte mich nicht mehr in den Spiegel schauen. Vermutlich würde ich es vernichten.
Zuerst das Fressen, dann die Moral: Moralische Bedenken werden allzu gern schnell über Bord geworfen, wenn Geld winkt.
Wahrscheinlich. Es zielt auf eine grundsätzliche Frage, nämlich, was man vom Leben will. Ob man immer mehr Geld haben muss. Aber es ist leicht, moralisch zu sein, wenn man genug Vermögen hat. Habgier ist dennoch eine Todsünde. Es würde vielen Menschen besser gehen, wenn sie das so einordnen würden.
Wie bestechlich sind Sie?
Ich bin ein sehr genügsamer Mensch und kann mit wenig auskommen. Das, was ich brauche, hat nicht viel mit Geld zu tun.
Was brauchen Sie zum Leben?
Ich bin in einer sehr privilegierten Lage. Mit dem Beruf, den ich immer ausüben wollte. Einer Familie, dich mich liebt und ich sie. Das ist das Wichtigste.
Aber bei was werden Sie schwach?
Bei einer tollen Rolle. Da werde ich schwach! Ich bin kein sonderlicher Genussmensch, den äußerliche Einflüsse stark in Versuchung führen. Das habe ich hinter mir.
Statussymbole interessieren Sie nicht?
Überhaupt nicht. Ich rätsle, warum andere Menschen Wert darauf legen. Kann schon sein, dass man sich gut fühlt, wenn man tolle Kleidung trägt. Aber ich glaube nicht, dass es glücklicher macht. Es will Vieles verdecken, es reicht nicht ans Wesentliche heran. Selbst wenn es abgedroschen klingt: Die Arbeit an einem selbst, seinem Glauben, und daran, wie man ein besserer Mensch wird – das kann einen glücklich machen.
Die Protzsucht hat aber, nicht zuletzt durch die sozialen Medien, zugenommen.
Die Leute bekommen in den sozialen Medien viel Materialismus vorgelebt, den sie glauben, nachahmen zu müssen. Es werden Bedürfnisse und Sehnsüchte für Dinge geweckt, die man nicht braucht.
Kann jemand nicht verzeihen, macht mir das zu schaffen. Ich verstehe es ja, gekränkter Stolz. Aber leichter macht man es sich, wenn man fünf gerade sein lassen kann. Rache? Nein.
Wie wichtig ist Ihnen die Arbeit an sich selbst?
Ich arbeite täglich daran, ein besserer Mensch zu werden. Zum Beispiel Verletzungen nicht zu persönlich zu nehmen. Und den anderen so sein zu lassen, wie er ist, inklusive aller Befindlichkeiten. Man kann streiten, aber man muss auch verzeihen können.
Klingt einfach, gehört aber zum Schwierigsten, was man sich vornehmen kann.
Kann jemand nicht verzeihen, macht mir das zu schaffen. Ich verstehe es ja, gekränkter Stolz. Aber leichter macht man es sich, wenn man fünf gerade sein lassen kann. Rache? Nein.
Das Stück setzt sich auch mit Vergangenheitsbewältigung auseinander. Ist die in Österreich geglückt?
Im Moment herrscht in der Politik viel Angstmacherei. Angst ist das einfachste Werkzeug, um die Menschen zu fangen. Das nützen viele aus. Deshalb ist es doppelt wichtig, sich mit der unrühmlichen Vergangenheit zu befassen. Ich war geschockt, als ich die jüngsten Undercover-Videos vom deutschen Neonazi Erik Ahrens gesehen habe, in denen er von der Machtübernahme fantasiert. Der Schlüssel, um Angst zu durchschauen, ist Bildung und Medienkompetenz.
Gibt es in Österreich und Deutschland eine gewisse Sehnsucht nach Autorität?
Wenn ich mir die Wahlergebnisse ansehe, dann ist die Antwort: ja. Aber das gilt für ganz Europa wie auch die USA. Es werden einfache Lösungen versprochen, die kaum verwirklicht werden können. Die Menschen werden damit geködert, dass man verspricht, ihnen die Angst zu nehmen.
Was macht Ihnen Angst?
Auch ich habe Angst vor Veränderung, dagegen kämpfe ich jedoch beharrlich an. Ich denke auch über die Zukunft meiner Kinder nach. Werden sie in einer friedlichen Welt leben? Wie mag die aussehen, in Zeiten Künstlicher Intelligenz? Immer öfter erinnere ich mich daran, was meine Großmutter oft gesagt hat: Bin ich froh, dass ich heute nicht mehr jung sein muss! Die Ungewissheit, was auf einen zukommt, verursacht Anspannung.
Wie bereiten Sie Ihre Kinder darauf vor, was als Erwachsene vielleicht einmal auf sie zukommt?
Sie sind mit sieben Jahren bei den Zwillingen und einmal fünf Jahren noch recht klein, da gibt es momentan noch keine großen Ängste. Grundsätzlich halte ich neben Bildung auch Ethik für wichtig. Auf dass sie es einmal besser machen als wir. Ich wünsche mir, dass sie sich einmal für moralisch relevante Dinge einsetzen. Und wissen, dass sie genügen, dass sie gut sind, so wie sie sind.
Sind Sie ein gläubiger Mensch?
Ich möchte an etwas glauben, sonst macht das Leben für mich keinen Sinn.
Im Moment geht es rund bei Ihnen: Ein Stück in den Kammerspielen, die nächste Theaterpremiere im Jänner, Sie drehen die TV-Serie "Alles finster", und dann ist da noch Ihre Familie mit drei Kindern. Brauchen Sie die Action?
Alles ist in Bewegung, das finde ich gut! Ich mag's, wenn was weitergeht. Das ist wie bei einem Stein, den man ins Rollen bringt. Ich genieße aber auch die Zeit, in der ich gar nichts tun muss. Das kann ich auch gut. Wobei Zeit für ein Spa oder ähnliches kaum bleibt. Ich versuche aber Laufen zu gehen und Yoga zu machen, wenn es sich ausgeht.
Wie ist die Rollenverteilung zu Hause?
Ziemlich gleichberechtigt! Jeder erledigt seine Lieblingsaufgaben. Ich koche zum Beispiel gerne, also mache ich das. Aber ich habe nicht das Gefühl, mit aller Arbeit allein gelassen zu werden. Wir sind gut vernetzt. Am liebsten würde ich ja mit der ganzen Familie, mit Großeltern, Eltern und Schwiegereltern unter einem Dach leben. Auf einem Bauernhof! Früher wäre das mein Alptraum gewesen, heute ist es mein Traum.
Zum Abschluss: Wie blicken Sie auf Ihren Erfolg in "Vorstadtweiber" zurück?
Es war eine tolle Rolle und tolle Kolleginnen, ich bin sehr froh, Teil des Teams gewesen zu sein. Der große Hype hat mich damals überrascht. Es war neu, überall auf die Rolle der Caro angesprochen zu werden. Und das passiert mir bis heute.
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