Halle Berry im Interview: "Ich glaube an Geister"
Halle Berry über Spiritualität, Aberglaube und ihren Überlebensinstinkt. Und ihre wichtigste Rolle: als Mutter von zwei Kindern.
Es ist dreiviertel eins zu Mittag in Los Angeles, als Halle Berry sich zum Interview auf Video zu uns schaltet. In Wien ist es schon in den dunklen Abendstunden, doch die Schauspielerin wirkt wie ein Sonnengruß, so erfrischend und entspannt beginnt sie lächelnd unser Gespräch und so blendend ist sie gelaunt. Auf einem weißen Sofa sitzt sie in einer ausgeschnittenen, hellbraunen Bluse, um ihren Hals baumelt ein Medaillon und sie strahlt förmlich in ihrem natürlichen Look.
Ob das auch an ihrem neuen Film liegt? Vielleicht. Immerhin ist in "Never Let Go – Lass niemals los" genau das Gegenteil angesagt: In dem Horrorpsychothriller sind Apokalypse und Überlebenskampf omnipräsent – und das Böse lauert überall in Form garstig-gruseliger Untoter.
Nachdem die Welt untergegangen ist, leben Momma (Berry) und ihre Zwillingssöhne in einer einsamen Hütte im tiefsten Wald. Mit einer Armbrust streift sie durch die Gegend und erlegt Eichhörnchen, um Essen auf den Tisch zu bekommen. Für ihr Dasein gilt eine überlebenswichtige Regel: Aus der Hütte und raus ins Freie darf man nur, wenn man dabei mit einem Seil um den Bauch angebunden ist. Wird es gekappt, bricht das Böse über einen herein – und deshalb musste die Beschützer-Mom auch schon ihren Mann und ihre Eltern abmurksen. Es stellt sich die Frage: Ist der Horror real – oder nur eingebildet?
Ganz und gar real ist Halle Berrys Bedeutung in der Filmgeschichte. Als erste schwarze Frau gewann sie einen Oscar als Beste Hauptdarstellerin.
Ihr neuer Film fällt mit einer beängstigenden Prämisse auf: Das eigene Heim als Gefängnis. Ein furchterregender Gedanke, oder?
Wir haben einen Vorgeschmack darauf bekommen, wie das sein würde, nämlich als wir die Covid-Pandemie erlebten. Da waren wir alle in unseren Häusern eingesperrt. Und so sehr wir unser Zuhause auch lieben – wenn man nicht raus darf, kann es einem ganz schön wie ein Gefängnis erscheinen. Ich konnte mich gut in die Situation im Film hineinversetzen.
Sind Sie leicht zu erschrecken?
Kommt drauf an. Bei Horrorfilmen erschrecke ich mich nicht so leicht, dafür bekomme ich Angst vor Spinnen oder Schlangen. Kino jagt mir keinen Schrecken ein, reale Dinge dagegen schon. Ich habe aber auch gelesen, Sie seien ein ziemlicher Adrenalinjunkie. Sie stehen auf Bungee-Jumping und Seilrutschen. Stimmt das? Ich würde sagen, ich bin abenteuerlustig! Ich mag es, Spaß zu haben. Und da ich Mutter von zwei Kindern bin, spiele ich gerne mit ihnen – und mache mit, was sie mögen.
Glauben Sie an böse Geister?
Auf jeden Fall, ich glaube an Geister. Ich bin sehr spirituell. Und ich glaube daran, dass wir nicht allein auf dieser Welt sind. Einige dieser Geister werden wohl nicht die besten Absichten haben. Aber ich habe keine Angst vor ihnen. Ich habe nicht das Gefühl, dass sie im wirklichen Leben irgendwelche Macht haben.
Ihre Rolle sieht aus, als hätte sie Ihnen viel abverlangt.
Jede Rolle verlangt einem viel ab – zumindest, wenn man sich wirklich darauf einlässt und alles gibt, was man hat. Ich liebe Rollen wie diese, in denen ich mich in eine Figur versenken und mich wirklich darin verlieren kann. Ich liebe das.
Wie war es, nach einem Tag voller Angst und Schrecken, am Abend nach einem Drehtag, nachhause zu kommen?
Gar kein Problem. Im Gegenteil, ich habe mich darauf gefreut wie immer. Ich übe meinen Beruf jetzt seit 30 Jahren aus. Da habe ich über die Jahre gelernt, die Arbeit Arbeit sein zu lassen – und die Charaktere, die ich spiele, am Set zu belassen. Außerdem ist es für mich als Mutter nicht gerade gesund, diese Figuren mit heim zu nehmen, weder für mich noch für meine Familie. Meine Rollen bleiben genauso am Set zurück wie mein Outfit und mein Make-up. Ich komme immer gerne nach Hause. Und genieße dann ein schönes Dinner.
Eine Mutter beschützt ihre Kinder. War dieser Aspekt der größte Anreiz für Sie, in dem Film mitzuspielen?
Ich würde nicht sagen, dass es mein größter Ansporn war. Ich habe schon früher starke Mütter gespielt, die ihre Kinder beschützen. Der Anreiz für mich hier war, dass dies eine Welt und eine Familie ist, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich war interessiert zu verstehen, wie das Leben mit zwei Kindern ist, wenn man nie das Haus verlässt, wenn man darin zerbricht, wenn man niemanden hat, mit dem man reden kann, außer diesen Kindern, und wenn diese niemanden haben, mit dem sie reden oder von dem sie lernen können. Wie wäre das in der Realität? Dieser psychologische Aspekt hat mich wirklich gereizt. Ich kenne keinen Film mit dieser Prämisse.
Kein Posten im Internet. Keine Videospiele an Schulabenden. Und zu essen, was sie wirklich brauchen. Das sind einige Regeln in unserem Haus.
Der Film hat mehrere tiefer liegende psychologische Ebenen. Es geht eigentlich auch um Traumata, die eine Generation an die nächste weitergibt.
Absolut. Jede Familie hat ihre Traumata. Sie werden von den Eltern an die Kinder weitergegeben – bis schließlich endlich jemand mutig genug ist, sich ihnen zu stellen und sich Hilfe zu holen, um diese Wunden zu heilen. Nur wenn man Hilfe in Anspruch nimmt, werden wir aufhören, unsere Verletzungen an unsere Kinder weiterzugeben.
Für Ihre Söhne im Film gelten Gebote, um zu überleben. Welche Regeln müssen Ihre eigenen Kinder befolgen?
Es gibt kein Posten im Internet, das dürfen sie nicht. Keine Videospiele an Abenden, wenn am nächsten Tag Schule ist. Und sie bekommen das zu essen, was sie wirklich brauchen. Jeder Körper ist anders, jeder kann nach seinem Geschmack essen, nur eben ganz nachdem, was die persönlichen Bedürfnisse sind. Das sind so einige Regeln, die es gibt, in unserem Haus.
Gesundheit liegt Ihnen am Herzen und ist ein Thema, das Sie sehr beschäftigt, richtig?
Ja. Ohne unsere Gesundheit ist alles nichts. Ich hoffe, sie steht im Zentrum jedermanns Universums, denn ohne sie weiß ich nicht, was uns noch bliebe. Gesundheit ist die Grundlage von allem. Nur wird sie manchmal übersehen oder nicht so gepflegt, wie es eigentlich der Fall sein sollte.
Ihre einzigen Partner in "Never Let Go" sind zwei Kinder. Wie war es, mit Ihnen zu spielen?
Diese Kinder sind unglaublich, absolut unglaublich. Ehrlich gesagt sind es zwei der besten Schauspieler, mit denen ich je gearbeitet habe. Denn sie waren immer bereit, sie waren vorbereitet, sie haben sich nicht beschwert – und sie waren großartige Partner in den Szenen, die wir gemeinsam hatten. Die Zusammenarbeit mit ihnen war toll, weil sie sich so sehr für ihre Charaktere engagiert haben. Sie waren jeden Tag zu hundert Prozent darauf eingestellt, sich den Herausforderungen des Tages zu stellen.
Sie haben schon lange nicht mehr in einem Horrorfilm mitgespielt. Mögen Sie das Genre grundsätzlich?
Ja, ich liebe einen guten Psychothriller oder Horrorfilm. Wie gesagt, es braucht eine Menge, um mich zu erschrecken. Deswegen genieße ich es umso mehr, wenn es dann doch gelingt. Ich bin mit Horrorfilmen aufgewachsen, Stanley Kubricks "The Shining" war der erste Film dieser Art, den ich gesehen habe. Das bildete die Grundlage für meine Liebe zu dieser Art von Filmen.
Das Böse trägt viele Masken, heißt es im Film. Könnte man diesen Gedanken auch auf die Wirklichkeit umlegen?
Ich schätze schon, dass sich das auf unser tägliches Leben umlegen lässt. Wir wissen nicht immer, was die Intentionen unserer Mitmenschen sind. Manchmal findet man das dann auf die harte Tour heraus. Die Leute präsentieren sich auf eine bestimmte Art und Weise, und dann findet man heraus, dass sie in Wirklichkeit jemand anderes sind, oder ihre Absichten sind nicht so altruistisch, wie man dachte.
Werden Ihre Kinder sich den Film über das Böse in der Welt eigentlich anschauen dürfen?
Mein Sohn ist erst elf Jahre alt, er darf den Film auf keinen Fall sehen. Er würde Albträume bekommen! Meiner Tochter, sie ist 16, habe ich ihn allerdings gezeigt. Ich dachte, sie könne damit umgehen, aber das war dann doch nicht der Fall und es war zu viel für sie. Da habe ich meine Lektion gelernt.
Sie haben das Drehbuch schon früh gemocht, da war der Film noch in der Entwicklungsphase.
Ja, als ich das Skript das erste Mal gelesen habe, habe ich es sofort geliebt. Ich war regelrecht fasziniert davon. Es war eine völlig unbekannte Welt, die sich mir da präsentiert hat. Ich war aufgeregt, diese sehr komplizierten, dunklen Charaktere zum Leben zu erwecken. Und ich liebte die Idee, mit Regisseur Alexandre Aja zusammenzuarbeiten. Er war schon dabei, als mir das Drehbuch vorgelegt wurde. Ich mag ihn sehr, habe großen Respekt vor seiner Arbeit.
Nicht loslassen ist das Motto des Films, das kann man auch in Hinsicht auf Trauerarbeit deuten. Wie gehen Sie am besten mit Trauer um?
Ich glaube, das ist etwas, das jeder für sich selbst herausfinden muss, wie er mit Leid am besten umgeht. Ich kann darauf keine richtige Antwort geben, ich weiß sie nicht. Jeder muss mit Trauer – aber auch mit Freude – auf seine eigene Art und Weise umgehen. Es gibt keine Einheitsgröße, die für alle passt, um mit so etwas Tiefgreifendem umzugehen.
Ich bin ein sehr spiritueller Mensch, aber ich bin überhaupt nicht abergläubisch. Ich denke, dass wir zu viel von unserer eigenen Kraft verschenken, wenn wir uns von Aberglauben abhängig machen.
Wie gehen Sie eine Rolle wie diese an?
Ich habe eine Hintergrundstory für die Figur der Momma, die ich spiele, entwickelt. Das war meine größte Herausforderung, als ich die Rolle angegangen bin: Wer ist sie? Wie ist ihre Vergangenheit? Wie sah ihr Leben mit ihren Eltern aus? Was ist ihr Traum? Wie ist die Beziehung zu ihren Kindern? Im Film findet man immer wieder Hinweise darauf, dass sie eine unheilvolle Vergangenheit durchlebt hat. Wir lassen sie immer wieder durchsickern, wir platzieren sie im Film wie andere sonst Ostereier verstecken.
Ihre Filmfamilie versorgt sich selbst, isst Eichhörnchen und Frösche. Wären Sie auch eine gute Jägerin, um das zu schaffen?
Ich glaube, dass ich eine gute Jägerin wäre. Aber wenn man gezwungen ist, ein Eichhörnchen zu jagen, es zu häuten und zu essen, wenn das die Realität wäre, in der man lebt, dann würden wohl die meisten von uns diese Herausforderung annehmen und mit der Aufgabe wachsen. Zu überleben ist uns in die Wiege gelegt. Wir stellen uns darauf ein, wenn wir unbedingt müssen.
Haben Sie einen ausgeprägten Überlebensinstinkt?
Ich glaube schon. Ich hoffe es. Aber ich hoffe auch, das wird nie auf die Probe gestellt.
Wie ist das mit dem Durchkommen in Hollywood mit all seinen Mechanismen?
In Hollywood braucht es einen guten Überlebensinstinkt. Das ist wohl in jedem Business ähnlich. Es ist nicht immer leicht, den Gipfel seiner Karriere zu erklimmen, den man sich für sich gewünscht hat, oder eine Karriere zu haben, die sich über 20 oder gar 30 Jahre erstreckt – und dass man gleichzeitig relevant bleibt und inspiriert von dem, was man tut.
Rituale spielen im Film eine große Rolle. Sind Sie selbst abergläubisch?
Nein. Ich bin ein sehr spiritueller Mensch, aber ich bin überhaupt nicht abergläubisch. Ich denke, dass wir zu viel von unserer eigenen Kraft verschenken, wenn wir uns von Aberglauben abhängig machen. Ich besitze auch keine Glücksbringer.
In den Medien gab es ein bisschen Aufruhr um das Thema, ob Sie für den Film ein echtes Eichhörnchen gehäutet haben.
Es war kein echtes Eichhörnchen, aber eine Eichhörnchenattrappe, die einem echten Eichhörnchen sehr ähnlich war. Wirklich täuschend echt, da haben die Spezialisten sich große Mühe gegeben, damit es so wirkt. Man hat mir auch lange und gut erklärt, wie es wirklich wäre, einem Eichhörnchen die Haut abzuziehen.
Was ist der größte Anreiz, Ihren neuen Film zu sehen?
Dass man nicht weiß – ist der Horror real oder nur eingebildet? Das ist die Frage des Films und die Antwort, die man darauf gibt, hängt wahrscheinlich auch davon ab, wie man erzogen wurde oder ob man religiös oder spirituell ist. Aber diese Antwort zu finden ist das Schöne an dem Film.
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