Seinfeld ist Kult, doch warum findet die Gen Z ihn nicht lustig?
500 Millionen Dollar hat Netflix für den 90er-Serienhit hingeblättert. Doch Begeisterung der Jungen hält sich in Grenzen. Das ist schade.
Von Bernhard Praschl und Daniel Voglhuber
Längst muss es in einer Sitcom um alles gehen. Um Männer, um Frauen, um Jugendliche und Kinder, um "Star Wars"-Fans, um Heimwerker, um Tierfreunde, um Sportsfreunde. So gesehen war es ein Knaller, als "Seinfeld" 1989 antrat, eine "show about nothing" sein zu wollen.
Eine Serie über nichts. Wow! Das wird ja dann wohl nicht lange dauern, dachten beim Start vielleicht einige. Doch dann hielt sich "Seinfeld" immerhin neun ganze Jahre im US-Fernsehen, auf NBC.
500 Millionen Dollar hat Netflix für Seinfeld hingeblättert, das dort seit Oktober abzurufen ist. Nicht schlecht, dafür könnte man jede Menge neuer Serien drehen. Und vermutlich wünscht das Publikum das auch. Denn so wie es bis jetzt aussieht, ist das Interesse am vertrackten New York-Lifestyle von Seinfeld & Co. total geschwunden. An einer Serie, die die Writers Guild of America auf Platz 2 der "101 Best Written TV Series" gewählt hat. Geschlagen nur von den Sopranos.
Während sich alte Fans, die Seinfeld für ein Meisterwerk aus den 90ern halten, vor Freude über die bitterbösen oder einfach nur dadaistischen Schmähs überschlagen und sich vor lauter Kudern nicht mehr einkriegen können, sitzen viele der Gen Z fassungslos und entgeistert davor. Was soll daran lustig sein?, fragen sie sich und die Seinfeld-Fans.
Weil "eine Serie über nichts" doch zu wenig ist? Weil der Schmäh über das ständige Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Typen rund um ein Wohnzimmersofa nicht mehr zieht? Weil die Protagonisten allesamt nicht unbedingt die größten Sympathieträger sind? Weil vier Erwachsene, die sich aufführen wie Kinder, einfach nicht lustig sind?
Politisch inkorrekt
Oder vielleicht finden einige es doch lustig, würden sie sich das nicht zugeben trauen. Zu politisch inkorrekt ist das ehemalige TV-Spektakel womöglich für die woke Generation. Andererseits, die jungen Menschen tragen doch auch mit Vorliebe T-Shirts mit "Friends"-Schriftzug und sehen offenbar sehr wohl über homophobe Witzchen in der Serie über Rachel und Ross, Monica und Chandler, Joe und Phoebe hinweg.
Tatsächlich hat Seinfeld einige Gags, die würden man im Jahr 2021 nicht mehr so drehen. Etwa die Folge "The Implant", in der Protagonist Jerry Seinfeld herausfinden will, ob die Brüste seiner neuen Flamme (Teri Hatcher alias Lois Lane - oder umgekehrt) echt sind. Weil er nicht mehr mit ihr ausgehen würde, wären sie falsch. Jerrys Freundin Elaine, die das unbedingt auch wissen will, fällt in der Sauna auf besagte Dame. Mehrere Artikel kreideten zuletzt an, dass hier einerseits sexuelle Belästigung im Spiel sei, andererseits eine Frau mit ihrem Körper machen kann, was sie will. Auch dass ein Pakistani wegen Schusseligkeit der Freunde abgeschoben wird, muss man nicht unbedingt lustig finden.
Das hat schon seine Richtigkeit. Auf der anderen Seite hat Seinfeld genau das vorweg genommen, das später die Farrelly Brothers in "Verrückt nach Mary" oder "Ich, beide und sie" perfektioniert haben: Sich über alle lustig machen, niemanden aufgrund von Ethnien oder Beeinträchtigungen auszusparen, in Köpfen keine Unterschiede auszumachen und alle Menschen gleich zu finden, das ist doch Humanismus in Reinform. Bei Seinfeld halt in einem bösartig daherkommenden Gewand.
Drei Männer und eine Frau
Kommen wir zum Personal. Natürlich dreht sich alles um Jerry Seinfeld, den Namensgeber und neben Larry David Co-Autor dieser vormals bahnbrechenden Sitcom. In echt ist der Fan von Frühstücksflocken und von Superman genau jener Stand-up-Comedian, der jeweils das Thema einer jeden Episode vorgibt. Seine solo vor Publikum eingespielten Jokes mutieren stets zu einem raffinierten Dramolett über Sein oder Nichtsein auf Manhattans Upper West Side.
Jerry Seinfeld ist auch der Einzige der Sitcom, der seinen echten Namen behält. Ganz im Gegenteil zu Lady Elaine, der Ex-Geliebten Jerrys. Attraktiv, angestellt und ambitioniert sticht Elaine Benes tatsächlich aus dem hier präsentierten Großstadtkomsos der "Lucky Loser" heraus. Man sieht ihr an: Sie hätte etwas Besseres verdient.
Dargestellt wird sie von Julia Louis-Dreyfus, der als "Veep - Die Vizepräsidentin" mehrfach mit Emmys ausgezeichneten Schauspielerin. Die Enkelin des französischen Widerstandskämpfers Pierre Louis-Dreyfus war das jüngste Ensemblemitglied der Comedy-Show "Saturday Night Live". Warum ausgerechnet sie neun Staffeln lang mit diesem bizarren Trio abhängt, blieb so bis zum Finale auch ihr ein Rätsel.
Cosmo Kramer alias The Kramer alias The K-Man ist der Nachbar, der einem leicht zu viel werden kann: laut, durchgeknallt und ohne Rücksicht auf sensible Befindlichkeiten. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so wirkt, steckt hinter seinem Lifestyle-Konzept. Wenn er seinen kaputten Kühlschrank nicht ersetzt, dann, weil es gesünder ist, nur frische Lebensmittel zu verzehren. Wenn er schon ein Sakko anzieht, dann eines, bei dem Frauen weiche Knie kriegen. Er ist Jahrzehnte nach Marlon Brando "the wild one", in dem allerdings kein Rebell, sondern ein Mix aus Loser und Lebemann steckt, der ständig über neue Geschäfstideen brütet.
Elaine bezeichnet ihn einmal als "hipster doofus". Andere sehen ihn ihm eine Kreuzung aus Eraserhead und Herman Munster. Originell: In einer Episode der TV-Serie "Verrückt nach dir" wohnt Kramer in der Junggesellenwohnung von Schauspieler und Comedian Paul Reiser.
Apropos Wohnung: Jerry Seinfeld wohnt in Apartment 5A. Den Gang hinunter auf 5E wohnt ein Postbeamter namens Newman. Superman-Fan Jerry bezeichnet ihn einmal als Lex Luthor und tatsächlich ist die personifizierte NYC-Version des Herrn Karl der einzige Feind von Seinfeld. Blöd für Kramer: Er ist der einzige Freund von Newman. Der Postbote, der einmal gerne eine Postbezirk auf Hawaii bearbeiten will, ist außerdem so herrlich cholerisch und läuft stets rot an, wenn er sich ärgert.
Lustig ist auch George Costanza, ein kleiner, glatzköpfiger und eigentlich fast immer arbeitsloser Mann, der mit seiner Glatzköpfigkeit und hauptsächlich mit sich selbst zu kämpfen hat. Obwohl er eigentlich ein bemitleidenswerter Mensch ist, ist er eine Allegorie der Boshaftigkeit und immer nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Und cholerisch ist er obendrauf. Und in Kombination mit seinen nicht minder cholerischen Eltern - der Vater ist übrigens der großartige Jerry Stiller - ist er unschlagbar. Hier muss eigentlich jeder liegen vor lachen. Auch die Gen-Zler.
Wir haben im Schnelldurchlauf noch ein paar Gründe gefunden, warum "Seinfeld" ein paar Lacher wert ist:
Aus "Der Spitzname": Staffel 9, Episode. 19
Im Restaurant
George: "Weißt du, Jerry, ich habe nachgedacht. Ich habe so lange ich konnte, mit George Costanzo gelebt.
Jerry: Geht es jetzt um Selbstmord oder um Spitznamen.
George: Um Spitznamen. George? Was ist das schon, das ist doch nichts. Da ist doch gar kein Funke, der überspringt. Ich brauche einen Spitznamen, der die Leute zum Grinsen bringt.
J: Du meinst, wie LIZA?
G: Ich dachte mehr an ... T-Bone.
J: Aber es gibt doch gar kein T in deinem Namen. Wie wärs mit. G-Bone.
G: Aber es gibt keinen G-Bone.
J: Aber es gibt einen G-Punkt.
G: Der ist ein Mythos.
Jerry: T-BONE, die LADIES werden dich LIEBEN.
Oder dieser Auszug aus einem ganz normalen Alltag:
Finale:
Jerry zu George: Wollen wir ins Kino gehen?
G: Ich war schon zigmal im Kino
J: Dieser Film ist neu.
G: Es ist immer dasselbe, du setzt dich hin, isst Popcorn. Ich steh' da nicht mehr drauf.
J: Hast du heute geduscht?
G: Ja, wieso?
J: Wenn ich nicht geduscht habe, bin ich so drauf wie du jetzt.
G: Wann bin ICH endlich dran, Jerry? Ich will meine 15 Minuten. Wann kann ich meine 15 Minuten haben??
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