Als David Bowies Kunstfigur Ziggy Stardust zu Sternenstaub zerfiel

Der Song „Rebel Rebel“ gilt als Bowies Abkehr vom Außerirdischen Ziggy Stardust. Im Februar jährt sich das Erscheinen zum 50. Mal. Wieso das Lied als Meilenstein gilt und wie ein Rebell der Tenniswelt Bowie damit zur Weißglut trieb.

Das Enfant terrible der Tennisszene, John McEnroe, brüskierte in den 1980er-Jahren nicht nur das gediegene Publikum, sondern auch eine Legende der Popwelt.

„Das kann nicht dein Ernst sein“, mag sich David Bowie gedacht haben, als er 1982 in einem Londoner Hotel auf McEnroe traf. Ein Jahr zuvor hatte der US-amerikanische Sportler während seines Erstrundenmatches in Wimbledon gegen Tom Gullikson in Richtung des Schiedsrichters gebrüllt: „You cannot be serious!“ Der Unparteiische hatte einen Aufschlag als „out“ gewertet, sehr zum Missfallen McEnroes. Der anschließende Tumult ließ ihn dann wohl nicht ganz kalt. Um sich abzulenken, begann er Gitarre zu spielen.

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So auch an diesem denkwürdigen Abend. Er stimmte Bowies „Suffragette City“ und „Rebel Rebel“ an – und wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. „Es war David Bowie. ‚Komm, lass uns etwas trinken‘, sagte er. ‚Bring nur nicht deine Gitarre‘“, schrieb McEnroe in seiner Autobiografie.

Bowie bestätigte das auf wenig schmeichelhafte Weise. „Es war ziemlich spät, so um 11 oder 12 Uhr in der Nacht, und ich hatte am nächsten Tag irgendeine große Sache vor. Und ich hörte von oben dieses Riff, das ganz schlecht gespielt wurde.“ Das Entsetzen sollte noch größer werden. „Ich dachte: Wer zur Hölle macht das um diese Zeit in der Nacht? Auf einer E-Gitarre, immer und immer wieder. Also ging ich nach oben, um der Person zu zeigen, wie man das Ding spielt.“

Er klopfte an. „Die Tür geht auf, und ich sage: ‚Hör mal, wenn du spielen willst.' Und es war John McEnroe! Ich mache keine Witze. Es war McEnroe, der sich damals als eine Art Rockgitarrist sah. Das kann nur in einem Film passieren.“

„Rebel Rebel“ brachte aber nicht nur zwei Legenden zusammen, sondern läutete auch den Beginn einer neuen Ära ein. Im Jahr 1972 stieg ein Wesen mit roten Haaren, die zu einer Urform des Vokuhila getrimmt waren, und Plateauschuhen von den Sternen herab. Es brachte Musik auf die Erde, die für viele bis heute noch himmlisch ist. David Bowies Kunstfigur Ziggy Stardust begeisterte die Rockwelt und sprengte dabei auch noch gleich die Geschlechtergrenzen.

Höhepunkt und Abschied

Inmitten der Lichter, der glitzernden Kostüme, die sich an den spindeldürren Körper schmiegten und der intergalaktischen Erzählungen begann aber bald ein Abschied, verpackt in den subversiven Klängen von „Rebel Rebel“. Der Song, der wie eine Ode an die Individualität und den unangepassten Lebensstil klingt, markiert nicht nur den Höhepunkt von Bowies Glam-Rock-Ära, sondern auch das Verschwinden von Ziggy Stardust, den er bereits im Sommer 1973 in Bühnenpension schickte. Nicht nur deshalb gilt der Song als Meilenstein. Die Gitarrenriffs gehen ins Ohr. Kaum verwunderlich, dass es eines seiner meist gecoverten Lieder ist. Im Februar jährt sich die Veröffentlichung des Stücks zum 50. Mal.

Unstet wie das Pop-Chamäleon Bowie eben war, ermüdete ihn Ziggy nach nicht einmal zwei Jahren. Das war die eine Seite. Auf der anderen Seite konnte er nicht mehr zwischen sich und dem Alien unterscheiden. Der exzessive Kokainkonsum hatte seine Spuren hinterlassen. „Ziggy hat mich jahrelang nicht in Ruhe gelassen“, sagte Bowie einmal. „Das war der Punkt, ab dem alles schief ging. Meine ganze Persönlichkeit war betroffen. Es wurde gefährlich und ich habe an meinem Verstand gezweifelt.“

Trotzdem wirkt „Rebel Rebel“ anfangs wie eine Hymne auf Ziggy. Schon in der zweiten Textzeile verzweifelt die Mutter an der Geschlechtsidentität ihres Kindes: „She’s not sure if you’re a boy or a girl.“ Doch später heißt es: „Rebel Rebel, you've torn your dress“. Das könnte metaphorisch für den Abschied und das Verlassen der alten Identität stehen. Immerhin werden Kleider zerrissen. Auf dem Cover des Albums „Diamond Dogs“, auf dem sich der Hit befindet, verwandelt sich Bowie mit rotem Vokuhila in ein hundeähnliches Wesen.

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Es lässt sich trefflich darüber streiten, wie weit sich Bowie später von dem außerirdischen Wesen lösen konnte. Denn die nächste Kunstfigur, Halloween Jack aus der fiktiven Stadt Hunger City mit einer Augenklappe, sieht Ziggy ziemlich ähnlich. Vor allem die Frisur. Allerdings ist die Kleidung dezenter. Und insgesamt wirkt Captain Jack düsterer. Damit eignet er sich perfekt, „Diamond Dogs“ zu repräsentieren.

Bowie selbst sah es als Protest-Album. Er machte sich Sorgen um die Menschen und beschwor eine apokalyptische Stimmung herauf. Ursprünglich wollte er ein Gesamtkunstwerk aus Album, Film und Musical produzieren, das auf dem Buch 1984 von George Orwell basiert. Doch dessen Erben verweigerten die Genehmigung. Da spielte es auch keine Rolle mehr, dass „Rebel Rebel“ darauf erschien. Schließlich war es für ein nie aufgeführtes Ziggy-Stardust-Musical vorgesehen.

Phänomen wie Elvis

So ein Singspiel hätte auch mächtig einschlagen können. Die jungen Menschen waren ganz hin und weg vom Alien. „Das ganze Ziggy-Stardust-Phänomen – als Album, als Tournee, als subkulturelle Massenbewegung – ist wie eine Aktualisierung der Furore, die den legendären Rockkritiker Lester Bangs veranlasste, über Elvis Presleys ‚Heartbreak Hotel‘ (1956) zu schreiben, es sei nicht eine Platte, sondern ein ‚Psychodrama‘“, konstatiert Michael Bracewell im Vorwort zu Mick Rocks Bildband „The Rise of David Bowie“, der kürzlich beim Taschen-Verlag erschienen ist.

Die Teenager hätten eine neue musikalische Form entdeckt, die gleichzeitig ein Lebensstil wäre: „Ein berauschendes, erotisches, kathartisches Musiktheater, das etwas tief in ihrem Inneren stimulierte. Es hatte mit Sehnsucht, Frustration, Jugend, Wut, Entfremdung, Sex, Langeweile, Melodram und Aufregung zu tun, die sie bis dahin nicht artikulieren konnten.“

Buchtipp: Bowies Aufstieg

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Mick Rock: The Rise of David Bowie. 1972–1973
Hardcover, 14.0 x 19.5 cm, 0.41 kg, 
192 Seiten, 15 Euro,
Taschen Verlag, taschen.com  

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember 2020 über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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