Oscar Isaac als Marvel-Held: „Habe die Rolle für meinen Sohn gespielt“

Oscar Isaac im Interview über seine Rolle in der neuen Marvel-Serie "Moon Knight" - und warum ihm über seinen Beruf zu reden öfter peinlich ist.

Sein großes Atout ist sein Blick. Diese großen, stets etwas glasigen Augen. Hier ist jemand sehr, wirklich sehr müde, möchte man denken, aber das ist es ja gerade: Dieser Blick lässt einen auch stets den Verdacht haben, darunter könnte noch etwas anderes lauern als bloß dröge Mattigkeit. Laszives Verlangen etwa oder ein gerade noch schlummernder Vulkan an Gefahr und Gewalt kurz vor dem Ausbrechen; ein Geheimnis aber auf jeden Fall, mindestens.

Ein Charaktergesicht. Und ein Charakterschauspieler. In Hollywood wird Oscar Isaac längst als der neue Al Pacino gehandelt. Noch dazu hat er jetzt in einer echten Erfolgsproduktion mitgespielt: „Dune“, die epische Verfilmung des Science-Fiction-Klassikers, war dieses Jahr nicht nur ein unfassbarer Publikumserfolg. Der Film ist auch zehnfach für den Oscar nominiert.

Ein Schauspieler zu sein, noch dazu ein guter, Isaac könnte das stolz wie einen Bauchladen vor sich hertragen. Macht er aber nicht. Wenn er darüber sinniert, was man dafür leisten muss, gut zu sein, gerät er ins Grübeln. Es kommt einem vor wie eine Mischung aus Bescheidenheit und Unsicherheit darüber, ob sein berufliches Wirken nicht eigentlich völlig wirkungslos sei. Vor allem im Vergleich zu anderen, sagen wir: systemrelevanteren Metiers.

„Es ist schwierig, ja manchmal peinlich, über meinen Beruf zu sprechen“, sagt Oscar Isaac uns im Online-Interview aus New York. „Wenn man einen Arzt aufsucht, möchte man einen Profi, jemand, der weiß, was er tut, der sein Leben damit verbracht hat, sein Handwerk zu lernen. Und bei Filmen, das ist das Lustige: Man kann jemanden von der Straße nehmen, jemand, der noch nie zuvor in seinem Leben einen Film gedreht hat, und dieser Jemand kann erstaunlich gut sein.“

Klingt ganz danach, als hätte der Mann früher auf Partys, nach seinem Beruf befragt, zahlreiche Rechtfertigungsversuche hinter sich.

„Und doch bin ich immer noch einer von der alten Schule“, erklärt Isaac. „Ich habe diese lieb gewonnene Vorstellung von diesem sehr prätentiösen Begriff: Kunst. Das Erzählen und Erleben von Geschichten und wie lohnend das sein kann, und dass es den Menschen hilft, mit den Problemen des Lebens umzugehen.“

Von der alten Schule 

Isaac trägt ein weißes T-Shirt, unter dem ein Goldkettchen hervorblitzt, als wir mit ihm reden, darüber eine schwarze Weste. Der Vollbart des 42-Jährigen ist mittlerweile fast vollständig ergraut. Er spricht von der „alten Schule“, und das passt zu ihm: Ohne Zweifel hätte er in den Filmen des New Hollywood der 1970er-Jahre eine gute Figur gemacht. Rafelson, Friedkin, Lumet hätten ihn besetzt, in einer Zeit, in der Leute wie Nicholson, Pacino, De Niro die Leinwände eroberten. Auch Isaac, der die Juilliard, eine berühmte Künstlerschule in New York, besuchte, haftet dieser Stallgeruch an.

Dass er jetzt in einer neuen Serie einen Marvel-Superhelden spielt, ist deshalb nicht zwingend unlogisch: Seine Figur weist ausreichend Brüche auf, ein strahlender Supermann ist sie nicht. „Moon Knight“ (ab 30.3. auf Disney+) lässt sich packend an. Isaac spielt darin Steven, einen gutmütigen Verkäufer, den fürchterliche Blackouts plagen: Er entdeckt, dass er an einer dissoziativen Identitätsstörung leidet und sich seinen Körper mit dem Söldner Marc teilt. Und als solcher verwandelt er sich in einen Fighter in weißer Kampfkutte mit besonderen Kräften. Sein Gegenspieler: ein mysteriöser Sektenführer (Ethan Hawke). Eine düstere Angelegenheit. Und nach „Hawkeye“ & Co. eine weitere serielle Erweiterung des an Helden schier unerschöpflichen Marvel-Universums.

Wenngleich, bei allen Abgründen: Sicher war Isaac sich nicht, ob er hier richtig aufgehoben sei. Nicht nur, weil er – der als Kind selbst Comics sammelte – von „Moon Knight“ noch nie etwas gehört hatte. „Ich dachte erst nicht, dass ich das machen will“, so Isaac. „Ich fragte mich, ob ich in dieser Art Genre etwas für mich finden würde.“

Der Sieger bleibt stehen: Isaac in „Moon Knight“, der neuen Marvel-Serie auf Disney+ (ab 30.3.)

©Photo courtesy of Marvel Studios

Rolle für Sohn gespielt

Marvel, das ist Hollywood im Superlativ, Action auf Anschlag, und immer ist irgendwo gerade Weltuntergang.

„In Hinblick auf meine Karriere war es, als würde ich eine Münze werfen. Es fühlte sich sehr riskant an. Als könnte es wirklich peinlich werden“, fügt Isaac lachend hinzu. Immerhin war er gerade dabei, sich wieder verstärkt dem Charakterfach zu widmen. „Dinge, die mir wirklich etwas bedeuten.“

Schließlich entwickelte er den Part jedoch in eine Richtung, die ihm gefiel. Und nicht nur ihm. „Mein vier Jahre alter Sohn fand es lustig, wie ich die Figur spielte, und bat mich immer wieder weiterzumachen. Im Grunde habe ich sie für ihn gespielt.“

Zögern ließ Isaac aber auch die durchwachsene Zeit, als er in „X-Men: Apocalypse“ mitspielte, mit Ewigkeiten in der Maske und Ideen, aus denen nichts wurde. Auf keinen Fall wollte er so etwas noch mal erleben. „Die Idee damals hatte Spaß gemacht, aber die Umsetzung war eine Qual. Man ist der Gnade einer Sache ausgeliefert, die viel größer ist als man selbst.“

Irgendwann legte sich jedoch ein Schalter um – Isaac wurde Moon Knight. Und all seine Identitäten. „Als ich die Chance sah, eine echte Charakterstudie zu machen, eine ungewöhnliche Figur, und gleich eine Reihe davon, sagte ich zu“, verrät er. „Ich konnte meine Sensibilität einbringen und dachte mir: Egal, ob es nun gut oder schlecht ausgeht, ich mache es! Und selbst wenn alle es hassen – dann geht das halt auf mich.“

Er liebt Außenseiter

Letztlich passt die Rolle wohl ins Schema von Oscar Isaac: „Ich mag Geschichten über Außenseiter“, erklärt er. „Diese Verletzlichkeit. Das macht einen Menschen sympathisch.“ Dass er aktuell im Kino die Hauptrolle in einem Film von Paul Schrader spielt, der schon Robert De Niro die Rolle als einsamer Nachtfalke in „Taxi Driver“ auf den Leib schrieb und als großer Porträtist gesellschaftlicher Outsider gilt, macht Sinn: In „The Card Counter“ wirkt Isaac wie eine Sphinx am Spieltisch. Bis der Zuseher das Trauma in ihm entdeckt – und ihm auf seinen Rachefeldzug folgt.

Er versprüht dabei jene unaufdringliche Virilität und Präsenz, die man von ihm kennt: In „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ durfte der Sohn eines Kubaners und einer Guatemaltekin verwegen sein, in „Ex Machina“ beängstigend als Konzernchef, in „A Most Violent Year“ halb Geschäftsmann, halb Gangster. Seine Antwort auf die Frage, für welchen Schauspieler er als Kind einst ins Kino rannte, überrascht.

Zur Person

Zur Person

Oscar Isaac ist der amerikanische Sohn eines kubanischen Vaters und einer Mutter aus Guatemala. Er wurde 1979 geboren. Als Jugendlicher sang er in einer Band, besuchte später die Künstlerschule Juilliard. Er ist seit 2017 mit der dänischen Regisseurin Elvira Lind verheiratet, sie haben gemeinsam zwei Söhne. 

Erst Tim Curry, der ihn im Fantasy-Spektakel „Legend“ umhaute und von dem er von da an versuchte, sich alles anzusehen, etwa seinen durchgeknallten Transvestiten-Vamp im Kultfilm „The Rocky Horror Picture Show“. „Er war der Erste, von dem ich nicht glauben konnte, dass ein und dieselbe Person zu diesen völlig verschiedenen Darstellungen imstande ist.“ Später war es Pacino. „Im ersten Teil meiner Karriere versuchte ich im Grunde, seine Performance in ‚Dog Day Afternoon‘ zu kopieren.“

Und dazwischen? „Als ich älter wurde“, lacht Isaac, „hatte ich eine Jean-Claude-Van Damme-Phase. Ich stand auf seine Filme und Martial Arts generell. Ich mochte diesen seltsamen Widerspruch dabei: Sein unschuldiges Gesicht und gleichzeitig die Brutalität, mit der er Leute verprügelte“.

Vor kurzem sorgte Isaac in der Comedyshow „Saturday Night Live“ für Lacher, als er Ausschnitte aus einem Film präsentierte, den er als Kind gedreht hatte. Die Clips zeigen ihn als martialischen Kung-Fu-Kämpfer, der ein Holzbrett entzweischlägt, seinen Erzfeind mit dem Schwert erledigt. Heldenhaft. Was ja gut zu Marvel passt. Nun gönnt sich Isaac aber erstmal ein Jahr Auszeit. Was ihn antreibt? „Ich weiß nicht, was ich sonst tun sollte“, erklärt er. „Und ich befürchte, ich wäre auch nicht besonders gut darin.“

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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