Schauspieler Ulrich Tukur: "In Wien kann man untergehen“

Ulrich Tukur gastiert im Theater Akzent, wo der Schauspieler vorab über seinen Absturz in Wien, einen Koran-Film und die hässlich gewordene Welt plauderte

Die Stippvisite in Wien weckt bei Ulrich Tukur Erinnerungen an den Musical-Flop „Freudiana“ 1990: „Das ging nicht gut damals, weil man sich dem Thema Sexualität nicht gestellt hat. Trotzdem war es eine charmante Zeit für mich: Meine Ehe ging kaputt. Ich hatte mich verliebt in eine langbeinige, französische Tänzerin. Wien hat mir wirklich den Teppich unter den Füßen weggezogen.“

Wien ist für den Schauspieler „eine sehr sinnliche Stadt. Hier kann man noch richtig untergehen. Und ich ging unter. Aber ich hatte eine schöne Zeit in Wien.“

Im Theater Akzent sind Ulrich Tukur und die Rhythmus Boys am 26. und 27. 3. mit dem Programm „Rhythmus in Dosen“ und Songs von anno dazumal, u. a. „Sie will nicht Blumen und nicht Schokolade“, „In The Mood“, „Anything Goes“, „Tuxedo Junction“, „Goody Goody“ ...

Heimweh nach Italien

Seine Grenzen kennt Tukur: „Wenn zu hoch und zu tief gesungen wird. Kurt Weill ist für uns zu komplex. Aber Cole Porter, genial als Komponist und Texter, liegt uns sehr. Den könnte ich rauf und runter spielen. Wir versuchen, anders als Max Raabe, die Songs zu dekonstruieren und sie überraschend neu zu interpretieren. Dass die Leute das Gefühl haben, das so noch nicht gehört zu haben.“

„Vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht, wieder einmal Melodien zu hören, die man nachsingen kann“, sagt Tukur im KURIER-Gespräch. „Das geht in der zeitgenössischen Populärmusik nicht. Was singst du unter der Dusche? Was pfeifst du noch?“

©Theater Akzent/Elena Zaucke

Vor zwei Jahren ist er nach 20 Jahren Wohnsitz in Venedig nach Berlin gezogen: „Ich dachte, da geht jetzt die Post ab. Und dann war Lockdown. Es gibt ja nichts Deprimierenderes als eine Pandemie in einer Großstadt, wo man sieht, was man verpasst. Dann schon lieber in einem Dorf, da verpasst man nichts.“

Der 64-Jährige kommt immer mehr drauf, dass er die Großstadt nicht mehr braucht. Er hat „wirklich Heimweh nach Italien und vermisst die Liebenswürdigkeit und Höflichkeit der Italiener, die wir Deutschen überhaupt nicht haben“.

Überhaupt ärgert ihn der respektlose Umgang mit den Dingen: „Früher war Ins-Ausland-Fahren ein Abenteuer. Heute ist zwar alles einfacher, aber auch geheimnisloser und beliebiger.“

„Jetzt haben sie sogar den Lidl in Venedig. Und alles wird immer hässlicher. Unsere Landschaften werden zerstört, ökonomisiert, zersiedelt und die Menschen eingekistet in hässliche Häuser. Grauenvoll.“

"Das beste Drehbuch"

Elf „Tatort“-Folgen hat Tukur gedreht. Zwei fertige Drehbücher gibt es noch: „Dann muss ich überlegen, ob ich es nicht lasse. Es reicht auch irgendwann.“ Ein „riskantes Unternehmen, ein Experiment und Neuland“ ist für ihn aktuell Jurij Saules Film „Martin liest den Koran“, ein Zwei-Personen-Kammerspiel: „Das Drehbuch war das beste, das ich seit Jahrzehnten gelesen habe.“

Es geht um einen jungen Muslim, der einen Bombenanschlag plant und einen Islamwissenschafter fragt, in welchen Suren des Korans steht, dass er das machen darf. In einer spannenden Diskussion merkt der Professor, dass es der junge Familienvater ernst meint, dass er kein Verrückter, Spinner oder Drogenabhängiger ist. Und dass er den Anschlag verhindern muss. „Die Geschichte schlägt viele Haken und wird absolut gespenstisch“, so Tukur. „Der Koran ist ja ein Riesenmärchenbuch, aus dem man dies und das herausnehmen und das man so oder anders lesen kann. Da berühren sich Judentum, Christentum und Islam.“

Nach rund 110 Filmen sind Tukurs Rollenangebote heute vor allem Klosteräbte, Päpste, Großväter und alte Generäle: „Das ist nicht mehr so üppig. Aber nach 40 guten Jahren habe ich immer noch die Musik. Und auf gut gemachte Musik reagieren die Wiener ganz anders als die Deutschen, die vor allem auf den Halligalli gucken.“

Live

Mambo bis Foxtrott
Die Rhythmus Boys sind nach eigener Aussage die „älteste Boygroup der Welt“. Schauspieler  und „Tatort“-Kommissar Ulrich Tukur gründete die Formation 1995 und setzte damit den Grundstein für ein außergewöhnliches  Projekt: Die Wiederentdeckung des internationalen und deutschen Chansons

 

Programm
„Rhythmus in Dosen“ bringt einen Mix aus Entertainment und Musik,  Eigenkompositionen und Evergreens auf die Bühne


Wann & Wo
Am 26.  und 27. 3. im Theater Akzent, Wien
Hotline:  01/501 65/13306
akzent.at; außerdem am 29. 3. im Theater der Komödie, Graz; und am 30. 3. in Leoben

Werner Rosenberger

Über Werner Rosenberger

Seit 1994 beim KURIER im Kultur-Ressort und Autor zahlreicher Reise-Reportagen für den FREIZEIT-KURIER. Davor hat der gebürtige Steirer zehn Jahre lang bei verschiedenen Medizin- und Wissenschaftsmedien gearbeitet, war Mitgründer und Chefredakteur einer Wochenzeitung für Ärzte, außerdem Werbetexter und Autor u. a. für GEO, Profil, Trend und Diner's Club Magazin.

Kommentare