Ode an das Leben: Brauchen wir mehr Eleganz im Alltag?

Ein neues Buch plädiert dafür, wieder mehr Gefallen aneinander zu finden und uns gegenseitig mit Heiterkeit, Charme und Esprit zu bereichern. Das Schöne ist, das kostet nicht die Welt. Auch wenn der Dandyismus eine Rolle spielt.

Ein Glück, wer in seinem Alltag Menschen begegnet, die einen noch erfreuen wollen. Sie begegnen einem mit Großzügigkeit, laden zum Essen in ihr Zuhause ein und verlangen nicht, dass man sich sofort die Schuhe auszieht, wenn man zur Tür hereinkommt.

Außerdem stehen sie nicht schwitzend und fluchend am Herd, weil das Menü des Abends zur Leistungsshow geraten ist. Sterne holt man für seine Gäste anders vom Himmel: "Die lässigsten Gastgeberinnen findet man oft in der kleinsten Studentenbude, notorisch unterm Dach, unter den hart arbeitenden Frauen", schreibt Barbara Vinken, "die glamouröseste Professorin Deutschlands" (© Der Spiegel), in ihrem neuen Buch "Eleganz: Über eine Haltung, die unser Miteinander bereichert".

Was es bei diesen "lässigsten Gastgeberinnen" zu essen gibt? Gerne eine Schüssel Spaghetti. Umgekehrt kommen wir natürlich auf feinen Sohlen zur Einladung und mascherln uns mit entspannter Heiterkeit für die Gastgeberin auf, damit sie Freude an uns hat.

"Statt so schnell und so viel wie möglich zu arbeiten und unaufhaltsam im Hamsterrad zu laufen, erinnert Eleganz daran, innezuhalten, sich ziellos, offen für Überraschungen, dem Moment hinzugeben", so die Autorin. Die Angst, den anderen und den eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden, gilt es dabei hinter sich zu lassen, damit das Besondere wieder mehr Raum bekommt. Ein altmodisches Ansinnen? Die Literaturwissenschaftlerin und Modetheoretikerin zeigt, dass es sich lohnen könnte, die Städte dieser Welt als Bühne zu nutzen, um einander wieder mehr "zu Gefallen zu sein". Wie das am besten gehen kann, erläutert sie im freizeit-Interview.

Bei Anruf Vivaldi

Als wir Barbara Vinken telefonisch erreichen, ertönt eine fröhliche Stimme und gefällige klassische Musik im Hintergrund. Was für eine charmante Begrüßung! „Ja, wir befinden uns hier in der Vivaldi-Stadt Venedig.“

Der ideale Ort für das Thema Eleganz? "Genau, Venedig ist sehr elegant", sagt Vinken, "aber auch zu touristisch". Sie hat derzeit eine Gastprofessur in Venedig und beobachtet täglich, dass gerade auch hier viele Menschen die Welt nur noch über ihr Handy wahrnehmen. "Wenn man etwa über die Akademiebrücke geht, sitzt auf jeder Stufe ein Paar oder ein Mensch mit ausgestrecktem Handy-Arm und macht ein Selfie. Das ist kein besonders elegantes Bild."

Die Welt nur über das Smartphone zu betrachten sorge unter anderem dafür, dass das Miteinander in den Städten ärmer geworden sei. Oft verhalten Menschen sich, als seien sie im Dschungel unterwegs und alle anderen Hindernisse. "Dabei ist es doch so: Man wird gesehen und man sieht und man sollte sich wieder mehr ins Gedächtnis rufen, dass die Stadt eine Bühne ist, besonders Venedig."

Einfaches Miteinander

Vielleicht einfach mit der Nonchalance einer Sophia Loren oder dem Esprit Audrey Hepburns durchs Leben gehen? "Besser nicht, Stilikonen sind zu einschüchternd. Wer ist schon so umwerfend wie Audrey. Das muss auch gar nicht sein. Eleganz ist eine Frage des städtisch-alltäglichen, vielleicht sogar einfachen Umgangs miteinander." Eigenart sei wichtiger für diese Haltung, als Stars nachzuahmen, wer könne dem schon gerecht werden. "Die Frage ist, wie kann man mit sich und nicht gegen sich leben. Ein Zeichen von Eleganz ist auch, mit seinen Schwächen zu leben, sie nicht übertünchen zu wollen", so die Professorin.

Gerade Perfektionismus passt nicht zum Wesen des aparten Auftritts: Kim Kardashian etwa stellte bei der Met Gala 2022 einen selbstoptimierten, perfekt inszenierten Körper zur Schau; sie versuchte Marilyn Monroe in dem legendären "Happy Birthday, Mister Präsident"-Kleid zu überbieten. Vinkens Einschätzung: "Stolz ist Kardashian auf diese Hochleistung — und macht die Wirkung damit zunichte. Marilyn Monroe verzaubert und rührt zu Tränen, Kim Kardashian lässt einen kühl bis ins Herz hinein."

Und weiter: "Obwohl Marilyn Monroe auch kein Inbegriff von Eleganz war, war ihr die flüchtige Aura des Eleganten nicht fremd, die von Kim Kardashian ausgelöscht und in eine Medien-Effizienz verwandelt wird."

Schwächen leben

Für Vinken geht es für ein bereicherndes Leben darum, Zeit für Muße, freudvolle Momente, Selbstironie, den eigenen Lifestyle zu finden, die Haltung ist dem Leben und den Menschen mit Heiterkeit zugewandt, auch in Krisenzeiten. Schon Madame de Pompadour sagte: "Seien Sie immer heiter, wenn Sie immer schön sein möchten."

Eleganz kommt vom Lateinischen electus, dem Erlesenen, Ausgesuchten. "Als man anfing, über Eleganz nachzudenken, über sie zu schreiben und zu diskutieren, um sie schließlich zu dem Nonplusultra eines geglückten Umgangs mit der Welt zu erklären, ging es nicht um Kleidung, sondern um die Eleganz der Sprache, um den nicht nur angemessenen, sondern schönen Stil im Schreiben und in der geglückten Rede", erklärt Vinken in ihrem Buch.

Das liebste Accessoire der leider vor kurzem verstorbenen Mode-Ikone Vivienne Westwood war übrigens ein Buch. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes erlesen. Kommt aber doch die Mode ins Spiel, kann Eleganz die Abwendung von "Fast Fashion" sein, so Vinken. "Man nimmt sich die Zeit, zu wählen, was auserlesen ist." Also den tollen Lippenstift, die glamouröse Tasche, die coole Sonnenbrille? Stimmt schon, Accessoires seien Platzhalter für erlesenen Stil geworden. Aber: "Sich einfach nur mit Luxusmarken einzudecken, ist Protzerei. Da hat man die Sache nicht im Kern verstanden, sondern äfft nur etwas nach."

Champagner und Zeit

Der wohl erste berühmte Dandy, Beau Brummell (1778-1840), behandelte seine Stiefel angeblich mit Champagner. Nicht nur für Professorin Vinken gilt er bis heute als Ikone der Eleganz. Aber ist nicht gerade er, der fünf Stunden Zeit verwendete, um sich anzuziehen, dekadent und narzisstisch? "Da muss man schon mal sagen: Er verwendet die Zeit ja nicht für sich selbst, sondern für den Betrachter. Das ist nicht narzisstisch, sondern auf den Effekt gerichtet, den er damit im Auge des Betrachters zu erzielen hofft."

Vor allen Dingen in einer Epoche, in der der Mann dazu da sei, seine Zeit als Leistungsträger zu verbringen, habe das etwas "fürchterlich Ironisches", untergrabe spielerisch den Mainstream. Dandyismus funktioniert hier wie Punk als Protest der Ästhetik gegen eine auf Effizienz getrimmte Gesellschaft.

Wo finden wir den Dandy in unserer Zeit heute, ist Harry Styles einer? "Vielleicht ja", sagt Barbara Vinken. „Und ich denke, dass die Mode überhaupt ganz stark in Richtung Dandyisierung gegangen ist. Da muss ich an den Herrn denken, den ich einmal in Wien gesehen habe, wie er in seinem irre gut geschnittenen Anzug Müll entsorgte. Gerade in Wien gibt es eine Menge Dandys. Gucken Sie sich mal um!" Die weibliche Entsprechung eines modernen Dandys wäre laut Vinken die Frau, "die offensichtlich Wert auf ihren Stil legt, der es nicht darum geht, das Stigma der Weiblichkeit abzulegen". Die Prise Selbstironie und Mut, den Mainstream zu unterlaufen, gilt natürlich auch hier.

Wiens Eleganz

In ihrem Buch schreibt die Professorin, dass sie Städte danach beurteile, ob sie besser oder schlechter gelaunt sei, wenn sie vom Brot- oder Gemüsekaufen nach Hause gehe. Ob heiterer oder griesgrämiger, wenn sie im Café war oder mit jemandem im Aufzug gefahren sei. Wir wollen wissen, in welcher Stadt das am ehesten gelingt, und welche Stadt außer Venedig Eleganz ausstrahlt.

"Ich finde eigentlich Wien in vielen Bezirken elegant und natürlich finde ich nach wie vor, dass Paris die eleganteste Großstadt geblieben ist, gerade, was den Charme des Umgangs miteinander angeht." Zudem findet die Autorin es "ganz nett", wenn man in öffentlichem Raum unterwegs ist, wo die meisten Menschen Eleganz nicht anstößig, sondern heiter finden. In Berlin etwa gelte es eher als anstößig, sich elegant zu kleiden.

Barbara Vinken ist Bestsellerautorin, Kulturhistorikerin, Literaturwissenschaftlerin und Modetheoretikerin. Sie ist Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie in München, hat derzeit eine Gastprofessur in Venedig inne und forschte 2022 auch in Wien. 

©Juergen Bauer/Verlag

Und was könnte ihrer Meinung nach jeder tun, um die Welt charmanter zu machen? "Ein bisschen Heiterkeit im Umgang mit den anderen ist vielleicht mal ein einfacher Anfang." Oder: Immer vorbereitet sein, zunächst auf das Leben mit den anderen. Denn so schreibt die Professorin: "Wer elegant ist, ist es in jeder Lage; wer es nur gelegentlich ist, sollte üben. Auch wenn niemand einen sieht, auch wenn niemand zu Besuch kommt, ist es eleganter, sich mit sich selbst und der Welt so ins Benehmen zu setzen, dass immer jemand reinschneien kann."

"Eleganz. Über eine Haltung, die unser Miteinander bereichert",

"Eleganz. Über eine Haltung, die unser Miteinander bereichert", Barbara Vinken, Saskia Blatakes (Mitautorin)

Brandstätter Verlag, 28 €

"Eleganz. Über eine Haltung, die unser Miteinander bereichert"

©Brandstätter Verlag
Annemarie Josef

Über Annemarie Josef

stv Chefredakteurin KURIER freizeit. Lebt und arbeitet seit 1996 in Wien. Gewinnerin des Hauptpreises/Print bei "Top Journalist Award Zlatna Penkala (Goldene Feder)" in Kroatien. Studium der Neueren Deutschen Literatur in München. Mein Motto: Das Leben bietet jede Woche neue Überraschungen.

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