Marie-Luise Stockinger: „Gerüchte finde ich sehr schick“
Marie-Luise Stockinger hat schon mit 22 Jahren am Burgtheater gespielt. Gerade ist sie dort in „Kasimir und Karoline“ zu sehen. Ein Gespräch über Komik beim Straucheln, wovor sie Angst hat und ob sie die Buhlschaft reizt.
In Ödon von Horváths „Kasimir und Karoline“ gibt Marie-Luise Stockinger an der Burg die Karoline, die von höheren Ambitionen nicht lassen mag. Im Interview spricht die Schauspielerin über das Lächerliche in ernsten Stoffen über die oberösterreichische Mentalität und warum sie bei Horváth Parallelen zu Elizabeth T. Spiras „Alltagsgeschichten“ sieht.
„Kasimir und Karoline“ ist kein nettes Stück. Generell spielen Sie eher wenig in Komödien. Warum?
Marie-Luise Stockinger: Komödien sind aber auch keine netten Stücke. Da tun sich die Abgründe etwas schneller auf. Die Charaktere sind alles andere als nett, die Handlung bleibt dann aber meistens in der Zone des Harmlosen. Für mich ist eine radikale Regiehandschrift der ausschlaggebende Punkt, nicht der Stoff. Die Menschen, mit denen ich oft arbeite, sind per se nicht so interessiert an der Harmlosigkeit. Die suchen eher das Lächerliche in den ernsten Stoffen oder Abgründen. Dort, wo einen dann das Lachen kurz befreit oder im Halse stecken bleibt.
Was ist schwieriger zu spielen?
Komödie ist viel schwieriger. Es gibt so viele Verabredungen, es ist eine Präzisionsarbeit, die aber wie eine Fingerübung daherkommen soll. Und wirkungsintelligent muss man als Spielerin sein, immer schneller als das Publikum.
Es war Ihr Wunsch, einmal in einem Ödön-von-Horváth-Stück zu spielen. Warum?
Für mich ist das die Meisterklasse. Er hat einen dokumentarischen Blick auf die Menschen und auf das, was und wie sie sprechen. Sich beim Spielen nicht unter oder über die Figur zu stellen, sondern sie zu „begreifen“, ohne zu werten, das kickt. Ehrlich gesagt, was für mich Horváth am nächsten kommt, sind „Alltagsgeschichten“ von Elizabeth T. Spira.
Aber es ist eigentlich stets trist.
Gar nicht. Menschen entwickeln beim Straucheln und im Kampf um ihr Überleben eine eigene Komik, wenn sie fest überzeugt sind, dass es für sie besser werden kann. Der Voyeur ahnt ja: gleich wird er noch tiefer fallen. Aber natürlich: fehlende Solidarität ist ein Thema von Horváth. Wir werden ganz schnell egoistisch, wenn es um den eigenen Raum und die eigene Existenz geht. Wenn Leid 100 Meter entfernt ist, ist es einfacher, solidarisch zu sein.
Sie wollten ursprünglich Juristin werden. Sie sind als junge Frau sofort am Reinhardt Seminar aufgenommen worden, Sie waren mit 22 die jüngste Schauspielerin an der Burg. Fällt Ihnen alles so leicht?
Ich würde nie sagen, dass ich ein Mensch bin, der in etwas hineinrutscht. Es war eine mutige Ausnahme. Das muss ich mir auch immer selber sagen, dass ich die Aufnahmeprüfung am Seminar gemacht habe. Ein zweites Mal hätte ich mich nicht beworben, ich wäre zu eingeschüchtert gewesen. Juristin war immer wieder ein Notfallplan, weil mich die Branche und ihr Wesen immer wieder verängstigt hat. Ich dachte, ich brauche etwas Handfestes, wo nur die Leistung zählt und nicht das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
Das Burgtheater gilt ja als Olymp schlechthin. Den haben Sie in jungen Jahren erreicht. Was kommt eigentlich danach? Eine neue Station? Hamburg? Berlin?
Am Anfang ist er der Olymp, dann beginnen aber schnell die harten Lernjahre. Und dann wird es ja eigentlich erst interessant für die eigene Entwicklung. Für mich ist es das Um und Auf, dass ich gefordert werde. Ich fühle mich Aufgaben oft nicht gewachsen. Und das ist immer aufregend. So lange mir das hier geboten wird, ist das Burgtheater ein Geschenk.
Sie machen viel Theater und eher wenig Film und Fernsehen. Weil es Sie nicht reizt, oder weil das Angebot fehlt?
Teils, teils. Und oft überschneidet sich einfach beides und dann hat die Festanstellung am Theater Vorrang. Vergangenes Jahr habe ich einen Kinofilm, „Full House“, gedreht – und mit „Schnee“ eine Mystery-Serie, die auf der Diagonale Premiere hatte. Bald drehe ich die neue Kafka-Miniserie von David Schalko.
Sie spielen in „Schnee“ eine Umweltaktivistin. Treibt Sie das Thema um?
Ich bin absolut klimapanisch. Ich bekomme Gänsehaut, wenn sich jemand über 21 Grad im März freut. Mir macht das Angst – auch, wie wenig Bewusstsein es für Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft, Klimagerechtigkeit in den Breiten der Bevölkerung gibt. Und wie kompromissbereit und wenig radikal die Politik agiert, weil sie deren Unmut fürchtet. So lange die Katastrophen woanders passieren, muss man nicht handeln? Soll das die Devise sein? Worauf wird gewartet? Der vergangene Sommer war ja auch hierzulande schon gruselig.
Worum geht es im Kinofilm?
Es ist ein Mehrgenerationendrama von Ulrike Kofler, mit Gerti Drassl und Ursula Strauss. Es geht um Sozialisierung und die Frage, ob man sein eigenes Schicksal in der Hand hat. Ich spiele eine junge, alkoholkranke Mutter.
Sie sind selbst in behüteten Verhältnissen, in der Einschicht aufgewachsen. Wie sehr prägt das?
Das ist eine Mentalitätsfrage. Ich nehme gewisse Sachen nicht so ernst und habe eine gute Wurschtigkeit. Ich finde, wenn es Kontakt mit Erde, Boden, Wasser gibt, dann macht das etwas mit einem. Da bin ich fast schon esoterisch.
Sie kommen aus dem Großraum Linz – wie Sophie Rois, Birgit Minichmayr ...
... Maria Hofstätter, Valerie Pachner ...
Gerade Rois und Minichmayr sind, so wie Sie, eng mit der Burg verbunden. Gibt es da einen kleinsten gemeinsamen Nenner?
An den beiden bewundere ich ihre Kratzbürstigkeit, ihren Widerstand. Mir gefällt, dass sie es sich nicht einfach machen. Ich mag das Griffige. Das hat etwas mit der Mentalität in Oberösterreich zu tun. Das Bundesland ist von der Landwirtschaft, aber auch von der Voest geprägt. Alles ist irgendwie vererdet.
Es gab in der Vergangenheit Gerüchte, die Sie mit der Buhlschaft in Verbindung brachten. Interessiert Sie das? Die Gerüchte und die Rolle?
Gerüchte finde ich spannend und auch schick, wenn man da involviert ist. Vor allem, wenn man weiß, dass das nicht so ist. Ich habe Respekt vor diesem Jedermann-Kosmos. Mein Lebenspartner (Michael Maertens, Anm.) macht das jetzt, und ich bin sehr stolz auf ihn. Aber ich sehe mir das lieber von der Seite an. Ich habe im Vorjahr auf der Pernerinsel gespielt. Man ist bei den Festspielen dabei, macht seine Arbeit, erfreut oder erzürnt, doch man wird medial außen vor gelassen.
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