Rapper Mike Skinner: "Das wäre zu viel für ein Leben"
Als 20-Jähriger revolutionierte Mike Skinner den britischen Hip-Hop.
Mit der selbst produzierten CD "Original Pirate Material" gelang dem Londoner Mike Skinner in den frühen 2000ern ein musikalischer Sensationserfolg. Schon davor hat er jahrelang in Clubs seinen ungewöhnlichen Stil aus Storytelling im tiefsten Cockney-Dialekt, gepaart mit UK Garage, Grime und Hip-Hop, perfektioniert. Mit der sprach er über seinen ersten Film, wie er auf seine Storys kommt – und was er mit den Rock-Klassikern von The Who gemeinsam hat.
Gratulation zum Film. Die guten Kritiken müssen Sie umso mehr freuen, als er Ihnen ja eine echte Herzensangelegenheit war?
Mike Skinner: Ja, ich habe tatsächlich jahrelang daran gearbeitet. Und einiges dafür zurückgesteckt. Es gab viel vorzubereiten, ich musste viel lernen – und auch die Dreharbeiten waren eine langwierige Angelegenheit ...
Der Film überzeugt auch visuell. Viele Bilder und Einstellungen sind beeindruckend. Waren Sie selbst für die Kamera verantwortlich? Sie spielen ja auch die Hauptrolle ...
Doch, einiges hab ich selbst gedreht. Aber ganz ehrlich? Prinzipiell hat immer gerade der Kamera gemacht, der in der Szene nicht zu sehen war.
Und diese Einstellung im Taxi in der Gasse vor dem Club im frühen Morgengrauen, wenn die Kamera abhebt und wir die Länge dieser Straße erkennen und schließlich auch die Skyline von London? Sie sind selbst im Bild, also wohl nicht?(lacht)
Aber es war meine Drohne, mit der wir das gedreht haben. Und ja, ich liebe diese Einstellung auch. Bilder einzufangen, liegt mir. Und ich habe gefühlt Millionen von Musikvideos gedreht, für meine Band, aber auch immer wieder für andere. Das war schon auch eine gute Schule.
Um sich auf den Film vorzubereiten, haben Sie aber einiges mehr gemacht, als Musikvideos zu drehen.
Ja natürlich. Musikvideos leben von kurzen, intensiven Visuals. Auch wenn du im Song eine Geschichte erzählst, lässt sich das nicht mit einem Film in Spielfilmlänge vergleichen. Da kannst du nicht locker Szenen zusammenschneiden, weil's so schicker aussieht.
Und so haben Sie Kampagnen-Filme für durchaus schicke Brands gedreht, Alexa Chung zum Beispiel, oder Doc Martens. Alles ausschließlich, um zu lernen?
Ja, wie gesagt, ich habe dem Filmprojekt alles untergeordnet. Und diese Erfahrungen waren wichtig, du arbeitest plötzlich nicht mehr nur mit einer Band, sondern einem vollen Team, du hast ein Script, das genau eingehalten werden muss, ein Budget ...
Und dann waren da auch einige von der Kritik gelobte Dokus. Darunter auch „Don't Call It Road Rap“ über die aktuelle britische Hip-Hop-Szene. Wie sehen Sie die derzeit – zumindest in den letzten Jahren hatten Sie ja doch einigen Abstand.
Na ja, ich bin fast 45, von der jungen britischen Szene hab ich ohnehin Abstand, auch wenn ich jedes Jahr eine CD veröffentliche ... (lacht). Aber hey, die Szene ist ein Wahnsinn, unglaublich kreativ, wie man hoffentlich im Film gesehen hat.
Sie selbst haben die Szene als 20-Jähriger um die Jahrtausendwende aufgemischt. Abgesehen von Ihrem ganz eigenen Stil war vor allem Ihr ausgeprägter Cockney-Dialekt auffällig. Wie war das damals, verglichen mit heute?
Dass ich durch die Tatsache aufgefallen bin, meinen Londoner Dialekt genau so aufzunehmen, wie meine Kumpels und ich und Millionen andere ihn täglich sprechen, sagt schon einiges über diese Zeit aus. Damals war Hip-Hop praktisch nicht von diversen US-Dialekten zu trennen. Sogar britische Acts rappten damals auf Amerikanisch! Und der Erfolg war eher überschaubar. Während heute Acts aus England weltweit die Szene und die Charts dominieren, denken Sie nur mal an Stormzy vor fünf Jahren, oder Skepta, die Section Boys, und Headie One, Dave, AJ Tracey, dazu Kano und Little Simz, die international auch als Schauspieler gefeiert werden, seit sie Hauptrollen in der Netflix-Serie gespielt haben.
Weil Sie gerade Top Boy erwähnen: Die Serie lief ja unglaublich erfolgreich, Drake, der kanadische Weltstar-Rapper ist ein Riesen-Fan, neben Kano und Little Simz ist Ashley Walters noch ein erfolgreicher Rapper an Bord. Auch der Soundtrack war ein Riesen-Hit – spiegelt der die angesagte Musikszene Londons gut wieder?
Auf jeden Fall, genau das läuft in den Clubs, in den Parks, an den Straßenecken.
Was auffällt, dass Sie mit Ihrem Cockney wieder ein Außenseiter sind. Die Szene scheint geprägt von einem Idiom, das aus der Karibik nach London gekommen ist.
(nickt) Wagwan, say less bruv (Anm.: Hallo, ich verstehe, was du meinst, Bruder.) Während „Wagwan“ aus dem jamaikanischen Englisch kommt und eine Verkürzung der Frage „What's going on?“ darstellt, ist „say less“ gebräuchlicher britischer Slang für Zustimmung. Sprache verändert sich. Das heißt aber nicht, dass nicht für alle Platz ist. Es wäre merkwürdig, wenn ich plötzlich jamaikanisch Rappen würde, aber hey, viele Einflüsse werden heute einfach so auf der Straße gesprochen, egal welche Hautfarbe. Ich finde es gut, wenn Sprachen dynamisch bleiben, einen vitalen Spiegel des Lebens, wie es wirklich ist, darstellen.
Wie viel von Ihnen selbst ist in dem Film?
Die Erlebnisse, wirklich alles, was im Film passiert, stammen aus dem echten Leben. Nicht alles habe ich selbst erlebt, wie etwa Ärger mit richtig fiesen Jungs zu bekommen (lacht) – aber ich kenne diese Situationen natürlich. Ich habe nichts erfunden. Auch mit den The Streets hab ich ja immer Geschichten erzählt, meistens aus der Ich-Perspektive, ohne dass ich notwendigerweise dieses „Ich“ war. Irgendwie wäre das auch zu viel für EIN Leben. Es setzte sich aus meinen Beobachtungen zusammen – und natürlich auch persönlichen Erfahrungen, die kann und will man da ja nicht ausklammern.
Sie haben ja auch ein gleichnamiges Album herausgebracht – die Songs darauf sind auch alle im Film zu hören ...
Ja, ja, genau. Das war eigentlich gar nicht so geplant. Ursprünglich wollte ich mit Voiceover, also einer Erzählstimme aus dem Off arbeiten. Das lief dann nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe, und schließlich hab ich auf diesen „Erzähler“ verzichtet und setze dafür die Songs ein.
Und das ist perfekt gelungen! Im Grunde ist „The Darker ...“ ein Konzeptalbum im klassischen Sinn. Beinahe wie in den 70s Pink Floyd oder The Who.
Vollkommen richtig! „Quadrophenia“ von den Who, Mann, ich liebe diesen Film, ich weiß gar nicht, wie oft ich den gesehen habe. Das war natürlich ein großer Einfluss für mich, für meinen Film. Ich freue mich ehrlich, dass Sie diese Band im Zusammenhang mit mir erwähnt haben.
Kommentare