Schlechtes Timing in der Beziehung: Renate Reinsve und Anders Danielsen Lie in "Der schlimmste Mensch der Welt“ von Joachim Trier
Film

Interview mit Filmregisseur Joachim Trier: Das Leben in den Griff bekommen

Der norwegische Regisseur Joachim Trier erzählt in „Der schlimmste Mensch der Welt“ von einer jungen Frau und ihren vielen Möglichkeiten

„Der schlimmste Mensch der Welt“ heißt der neue Film des norwegischen Regisseurs Joachim Trier (ab Donnerstag im Kino). Schwebend erzählt er vom Selbstfindungstrip einer jungen Frau namens Julie (Renate Reinsve), die auf der Schwelle zu ihrem 30. Geburtstag steht und sich nicht entscheiden kann: Soll sie Medizin studieren? Psychologie? Oder lieber Fotografin werden?

Julie lebt mit einem berühmten Comic-Zeichner namens Aksel (Anders Danielsen Lie) zusammen, der etwas älter ist als sie und genau weiß, was er will. Das gefällt ihr an ihm – aber genau das engt sie auch wieder ein.

Ist Julie der „schlimmste Mensch der Welt“ in diesem Film? Oder jener Mann, mit dem sie eine Affäre beginnt?

„Die Antwort überlasse ich dem Publikum“, grinst Joachim Trier im KURIER-Gespräch: „Es handelt sich um eine Liebesgeschichte. Da kennt man das Gefühl, sich selbst wie der schlechteste Mensch der Welt zu fühlen. Oder zu finden, dass es die andere Person ist.“

Gleichzeitig verweise sein Filmtitel aber auch auf eine Art norwegisches Sprichwort, fügt Trier hinzu: „Wir in Norwegen wissen, dass wir aus einem sehr privilegierten Land kommen, in dem die Ausbildung gratis ist und wir unglaublich viele Möglichkeiten haben. Wenn wir uns dann aber trotzdem verloren fühlen, denken wir: ,Wenn ich es in Norwegen nicht schaffe, mein Leben auf die Reihe zu kriegen, bin ich der schlimmste Mensch der Welt.’ Leider teilen viele Leute dieses Gefühl der Selbstabwertung. Unsere Kultur ist von Scham und Schuld durchtränkt. Warum das so ist, kann ich nicht erklären. Aber ich kann von Menschen erzählen, die diese Erfahrung kennen.“

Oscarnominiert: Der norwegische Regisseur Joachim Trier

©APA/AFP/LOIC VENANCE

Abschied

Joachim Trier gehört zu den herausragenden Vertretern des zeitgenössischen skandinavischen Kinos. Geboren 1974 in Kopenhagen, aber aufgewachsen in Oslo, stammt er aus einer kinoaffinen Familie. Sein Vater arbeitete als Tontechniker, seine Mutter drehte Kurzfilme und sein Großvater zeigte sein Filmdebüt „Jakten“ 1959 in Cannes. Väterlicherseits ist Joachim Trier entfernt mit dem dänischen Regisseur Lars von Trier verwandt.

Mit „Der schlimmste Mensch der Welt“ – übrigens oscarnominiert sowohl für bester internationaler Film als auch für bestes Originaldrehbuch – beendet Trier nun seine sogenannte Oslo-Trilogie, die über eine längere Zeitspanne von einer jungen Generation mit (zu) vielen Möglichkeiten erzählt: „Auf Anfang“ erschien 2006, die lose Fortsetzung „Oslo, 31. August“ folgte 2011.

In „Der schlimmste Mensch der Welt“ nimmt Trier die Perspektive der jungen Frau ein, doch spürt man, wie stark seine Sympathien auch bei ihrem älteren Freund Aksel liegen: „Ich bin jetzt ebenfalls in meinen Vierzigern und nehme wahr, wie sich mein Verhältnis zur Sterblichkeit ändert. Ich sympathisiere stark mit Julie und ihrer Sehnsucht nach Träumen und Romantik. Gleichzeitig merke ich, wie sich Türen schließen.“

In einem berührenden Monolog bekennt Aksel, dass er sich in der Gegenwart nicht mehr wohl fühlt; er nimmt Abschied von einer analogen Kultur der Gegenstände, der Platten und Comic-Hefte, mit der er aufgewachsen ist und die nun vom Internet abgelöst wird: „Als ich jung war, habe ich mein halbes Leben mit Platten verbracht und meine Freunde danach ausgesucht, welche Musik sie hören“, erinnert sich Joachim Trier: „Irgendwann merkt man aber, dass diese Informationen an Wert verlieren. Jede Generation macht diese Erfahrung: Dass ihre Zeit nicht ewig andauert. Ich liebe die Idee, dass man als Person die Zeit, und wie sie sich verändert, fühlen kann. Das ist für mich Kino.“

Verliebt: Herbert Nordrum und Renate Reinsve in "Der schlimmste Mensch der Welt“

©FILMladen
Alexandra Seibel

Über Alexandra Seibel

Alexandra Seibel schreibt über Film, wenn sie nicht gerade im Kino sitzt.

Kommentare