Jean-Michel Jarre: „3-D-Sound wird die Musikwelt verändern“

Der französische Elektronik-Musiker hat sein neues Album „Oxymore“ den Pionieren seines Genres und der Binaural-3-D-Soundtechnik gewidmet

Musik, die auf Geräuschen anstatt auf Tönen basiert und nicht in Noten aufgeschrieben werden kann: In den 1940er-Jahren experimentierten der Musiker Pierre Henry und der Ingenieur Pierre Schaeffer in Paris damit. Der junge Jean-Michel Jarre war fasziniert davon.

Heute, mit 74 Jahren, ist er das immer noch. Mit seinem eben erschienen neuen Album „Oxymore“ will Jarre dieser Zeit, die die elektronische Musik begründet hat, Tribut zollen.

„Die Idee entstand, weil mir Pierre Henry, der 2017 verstorben ist, ein paar Sounds hinlassen hatte“, erzählt Jarre im KURIER-Interview. „Seine Witwe gab sie mir, damit ich etwas daraus mache.“

Obwohl das „absolut bewegend“ gewesen sei‚ sind im Album „Oxymore“ nur fünf Prozent der Sounds von Henry. Der Rest sind Jarre-typische Kompositionen, die sich zwischen düster und feierlich tanzbar, aber auch zwischen brutal und zart bewegen. Henry und seine Arbeitsweise waren für Jarre aber die Inspiration, „ohne die es dieses Album nicht geben würde“.

Denn immer noch kriegt der Franzose leuchtende Augen, wenn er sich an diese Zeit der ersten Experimente mit elektroakustischer Musik zurückerinnert.

„Henry kannte ich damals gar nicht so gut. Ich habe aber bei seinem Freund Pierre Schaeffer studiert. Wir stahlen Oszillatoren und Frequenzmessgeräte vom Rundfunk, um damit Musik zu machen. Die waren dafür gar nicht gedacht, die dienten dazu, die Antennen und die Sender-Anlagen einzustellen. Wir nahmen mit Mikrofonen auch Geräusche in der Natur auf und machten damit Musik – es war großartig. Die Leute dachten zwar, wir seien komplett verrückt. Aber ich war absolut überzeugt davon, dass das die Musikwelt auf den Kopf stellen wird.“

Nach dem Erfolg mit „Oxygene“ haftete Jarre lange das Image des kommerziell erfolgreichen Schönlings an. Jetzt, im Alter, schließt er wieder an die Zeit von damals an und wird zum Innovator. „Oxymore“ ist nämlich das erste große Album, das binaural aufgenommen wurde und auch bei der Wiedergabe mit normalem Kopfhörer ein 3-D-Raumgefühl erzeugt, bei dem man denkt, die Sounds kommen zum Beispiel von hinten unten und bewegen sich nach rechts oben.

„Stereo existiert in der Natur nicht“, sagt Jarre. „Unser normales Hörerlebnis ist 360 Grad und 3-D. Jetzt gibt es erstmals die Technik, die uns erlaubt, das wiederzugeben. Sie steckt noch in den Kinderschuhen, aber ich bin überzeugt davon, dass sie die Musikwelt komplett verändern wird. Denn der Hörsinn ist unser wichtigster Sinn. Während sich das Sehen auf 140 Grad um uns herum beschränkt, ist das Hören allumfassend.“

Um dieser neuen Technik wirklich gerecht zu werden, schrieb Jarre Stücke wie „Neon Lips“, „Brutalism“ oder „Agora“ direkt für die 3-D-Aufnahme: „Ich hatte einen Computer-Screen mit einer Kugel rund um einen Punkt, der meinen Kopf darstellte, und konnte eingeben, von wo wohin, aber auch wie schnell und laut sich ein bestimmter Sound in dieser Kugel bewegen soll.“

Natürlich fand Jarre beim Experimentieren auch schon die ersten „Regeln“ für das Komponieren für 3-D-Sounds: „Bässe und Rhythmen sollten sich zum Beispiel eher unten bewegen. Ich habe ausprobiert, sie auch in die Höhe zu legen, das klingt aber nicht gut, da verliert man die Basis. Denn man kann stundenlang über diese Technik reden, aber am Ende muss nur das Gefühl stimmen, das ich den Zuhörern vermitteln will. Das Schöne war, dass ich schnell total intuitiv mit dieser Technik umgehen konnte und an nichts anderes mehr als an das Feeling der Tracks gedacht habe.“

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