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Star-Sopranistin Ildikó Raimondi: "Ich höre auch gerne Rap-Musik"

Am 25. Mai eröffnen die Schubertiaden auf Schloss Atzenbrugg. Leiterin Ildikó Raimondi über Genies, Diven und Schubert.

Auf Schloss Atzenbrugg (Bezirk Tulln, Niederösterreich) verbrachte Franz Schubert einst mit Freunden seine Sommer. Die Schubertiaden knüpfen daran an, auch heuer hat Ildikó Raimondi in ihrer zweiten Saison als künstlerische Leiterin ein schönes Programm zusammengestellt. 

Auftreten werden etwa Günter Haumer und die Philharmonia Schrammeln, Günther Groissböck, Robert Holl und Stephan Matthias Lademann, sowie Franz Schuh – und natürlich Raimondi selbst. 

Der Fokus liegt auf Schuberts Beziehung zur Volksmusik und dem prägenden Jahr 1825. Eröffnen werden am 25. Mai „Junge Schubert-Stimmen“ und damit Studierende des Mozarteum Salzburg und der Musikuniversität Wien.

Schubert in drei Worten – was kommt Ihnen da in den Sinn? 

Herzensgüte. Musikalisches Genie. Und Traurigkeit – Schubert, das ist immer auch Weltschmerz.

Wie denken Sie an ihn?

Schubert war ein bescheidener Mensch. Seine Anfänge haben ihn geprägt. Er kam nicht als Genie nach Wien, wie Mozart. Er war nicht von Beginn an ein Gigant wie Beethoven. Er musste im Leben lange darum kämpfen, ernst genommen zu werden. Seine Zeit war die von Mozart, Haydn, Salieri.

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Leitet die Schubertiaden: Ildikó Raimondi und das Schubert-Schloss Atzenbrugg

©Richard Marschik

Er starb mit nur 31 Jahren und hat dennoch ein unglaublich großes und reichhaltiges Werk hinterlassen. 

700 Lieder, unzählige Instrumentalwerke, Opern, Sinfonien und Messen hat er komponiert, und das in der Altersspanne zwischen 19 und 31 Jahren. Ein unbeschreiblicher Fleiß. Und dennoch fand er Zeit für seine Freunde, hat mit ihnen im Schloss Atzenbrugg die Sommer verbracht. Trotz allem Schöpfungsdrang hat er das Leben genossen, das macht ihn mir sehr sympathisch.

Auch für Schubert hatte der Tag nicht mehr als 24 Stunden. Dennoch überlastet uns der Alltag manchmal, allerdings sind wir auch keine Genies. 

Ich liebe die deutsche Sprache, sie kennt fantastische Worte: etwa die Leidenschaft, die eben auch Leiden schafft. Wenn man etwas mit leidenschaftlicher Liebe ausübt, gibt einem das unglaubliche Energie und Lust. Bei so viel Liebe für etwas leidet man auch ein bisschen darunter. Aber wenn der innere Antrieb groß genug ist, findet man auch Zeit dafür.

Die Schubertiade befasst sich heuer mit Schuberts Beziehung zur Volksmusik. 

Lieder wie „Am Brunnen vor dem Tore“ oder das „Heidenröslein“ spiegeln Schuberts Nähe zum Volk wider. Er hat auch hunderte Tänze komponiert. Der Kongress tanzt: Am Wiener Kongress wurde Walzer getanzt, der Walzer ist ein Tanz des Volkes, der die höfischen Tänze verdrängte. Wenn man will, war das auch ein Schritt Richtung Demokratie. Auch unsere Konzertabende sind nahe am Publikum. Bühne und Zuschauer sind nicht strikt getrennt, mit einer unsichtbaren Wand dazwischen. Stattdessen gibt es direkten Kontakt und der Rahmen ist klein und intim. Es findet ein Dialog statt.

Ich hätte Fußball üben können, solange ich wollte, ich wäre trotzdem nie ein Alaba geworden.

Ildikó Raimondi

Der Essayist Franz Schuh macht einen Abend mit dem Titel „Bekenntnisse eines Unmusikalischen“, bei dem er auch über Wolfgang Ambros und Peter Kraus spricht. Letzteren bezeichnet er als „deutschen Herold der Counter-Culture“. Wie halten Sie es mit allem, was nicht Klassik ist? 

Gute Musik ist gute Musik. Wie jede Branche hat sie verschiedene Arten, der Mensch kategorisiert gerne. Doch egal ob Klassik oder Unterhaltungsmusik, die Wurzeln sind dieselben. Ich höre auch U-Musik.

Wen hören Sie da?

Ich bin zum Beispiel ein großer Fan von Nino aus Wien. Natürlich mag ich nicht alles im Unterhaltungsbereich, aber mir gefällt auch in der Klassik nicht alles. Es gibt viele wertvolle Texte. Ich höre auch gern Rap-Musik und bin beeindruckt, welche Tagesrealität darin bearbeitet wird. Ich verstehe, warum Pop die Jungen anzieht, es spricht ihre Alltagssorgen an und die Melodien sind leicht verständlich. Aber Schubert ist nicht weit davon entfernt. Da entsteht stets große Begeisterung, wenn ich etwas vorsinge.

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Schubert-Verehrerin Raimondi: „Ein Sänger, der seine Gefühle einsperrt, kann nichts mitteilen“

©Richard_Marschik

Mit 17 haben Sie Rockmusik gemacht und in einer Schulband gespielt. Träumten Sie damals noch nicht von der Oper?

Ich habe Schlager gesungen und mir so auf Hochzeiten oder bei Hotelveranstaltungen ein bisschen Geld dazu verdient. Das war eine schöne Erfahrung. Ich sehe Unterhaltungsmusik nie abwertend, sondern immer positiv. Wir alle wollen unterhalten werden. Auch wenn man mit lieben Menschen zusammensitzt, unterhält man sich.

Kann man Musikalität lernen oder ist sie angeboren? Oder, anders gefragt: Kann jeder, wirklich jeder, singen lernen?

Musikalität ist bis zu einem gewissen Grad angeboren, das ist wie bei einem Sportler: Auch der kann die Grenzen menschlichen Könnens nur überschreiten, wenn er gewisse Voraussetzungen mitbringt. Ich hätte Fußball üben können, solange ich wollte, ich wäre trotzdem nie ein David Alaba geworden. Aber es gibt Dinge, die helfen.

Zum Beispiel?

Je früher man mit der Musik anfängt, umso leichter fällt sie einem. Ein Gehör gehört geschult, es verfeinert sich, ebenso muss die Stimme geübt werden. Wer früher anfängt, singt Tonfolgen später sauberer. Das ist auch physisch bedingt. Natürlich kann jeder singen, mal besser, mal schlechter. Aber der Traum, ein professioneller Sänger zu werden, kann nicht ewig bestehen. Die Stimme ist wie ein Muskel. Ich kann auch nicht mit 50 beginnen Tennis zu spielen und erwarten, der Weltbeste zu werden. Auch die Stimme altert, davon können wir Sänger ein Lied singen. Dieser Abschied von einer körperlichen Fähigkeit tut auch weh. Aber das ist der Lauf der Welt. Dennoch würde ich jedem empfehlen zu singen, es muss ja nicht auf der Bühne sein. Es tut einfach gut.

Es gibt viele talentierte Sänger, die dennoch nicht die große Karriere machen. Woran liegt das? 

Um Sänger zu werden, muss man vielen komplexen Anforderungen entsprechen. Man sollte in mindestens vier Sprachen – Italienisch, Französisch, Deutsch, Englisch – zuhause sein. Noch besser wäre, auch Russisch und Spanisch zu beherrschen. Man sollte gut Noten lesen können, auf mittlerem Niveau Klavier spielen. Es braucht Gesundheit und natürlich eine schöne Stimme. Manchmal scheitert es auch am Nervenkostüm, wenn jemand zu empfindlich ist, um auf der Bühne zu bestehen. Man muss mit offenem Herzen auf die Bühne gehen, sonst funktioniert es nicht. Ein Sänger, der seine Gefühle einsperrt, kann nichts mitteilen. Das macht verletzlich, das muss man auch aushalten können.

Ildikó Raimondi

Ildikó Raimondi

Ildikó Raimondi wurde 1962 in Arad, Rumänien, geboren und hat ungarische Wurzeln. Seit 1991 gehört sie zum Ensemble der Wiener Staatsoper, sang mehr als 50 Opernpartien. Sie ist Kammersängerin, Leiterin der Schubertiaden auf Schloss Atzenbrugg und Professorin am Mozarteum in Salzburg. Zwei Söhne. schubertschloss.at 

Was können Sie mit dem Begriff „Diva“ anfangen?

Ich liebe den Begriff! Diva, das bedeutet wörtlich „Göttliche“. Etwas Besonderes. Ich verbinde mit Diva etwas Positives, eine große, strahlende Persönlichkeit. Ist eine Diva launenhaft und zickig, gefällt mir das nicht so sehr. Die Medien lieben Diven natürlich. Nur ist die Zuteilung etwas ungerecht, es gibt ja auch männliche Diven. Bei ihnen gilt jemand, der launenhaft ist, allerdings oft als „starke Persönlichkeit“.

Haben Sie Verständnis für Launen?

Man muss die Diva auch ein bisschen in Schutz nehmen. Es wird bei jedem Auftritt eine perfekte Leistung erwartet, das erzeugt Druck. Da schmeißt mancher dann die Nerven weg, wenn der Kaffee zu heiß ist.

Sie sind Mutter zweier Söhne. Hatten die ebenfalls den Drang hin zur Musik?

Luciano, der Ältere, betreibt den Eissalon „Schelato“ auf der Wiener Lerchenfelder Straße. Er spielt Klavier und komponiert auch Unterhaltungsmusik. Leider kann ich ihn nicht motivieren, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Julius, der Jüngere, aus meiner zweiten Ehe, ist Dirigent am Opernhaus Saarbrücken. Bei ihm wurde die Musik zum Mittelpunkt und er macht seinen Weg.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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