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Vespa und Lambretta: Amore oder Coolness, was darf es sein?

Zweimal Zweirad, aber auch zweimal Sehnsucht nach unterschiedlichen Lebenswelten. Kult sind beide italienischen Rivalen.

Für Dolce Vita stehen sie beide. Das können sie, die Italiener, und nirgendwo auf der Welt sehnt man sich so sehr danach wie in Österreich. Wer hierzulande Rom vermisst oder mindestens Jesolo, und wem Gelato und Cocobello nicht mehr ausreichen, um die Entzugserscheinungen zu lindern, der rollt mit der schicken Vespa an – vorzugsweise mit der italienischen Landesflagge am Jethelm. Nirgendwo auf dem Erdenrund hat der Kultroller einen so hohen Marktanteil wie in Österreich – wir sind Vespa-Weltmeister. 

Lambrettas (wie am Artikelbild) sieht man dagegen nicht mehr so häufig auf den Straßen, es scheint, als wären sie einer weit kleineren Gruppe zugänglich, die mit dem historischen Coolness-Flair der Marke etwas anzufangen weiß. Nur noch selten flitzt ein Mod mit spitzen Schuhen im Anzug auf dem Kult-Roller vorbei.

Zweimal Italien, zweimal Scooter – und trotzdem verkörpern die flotten Flitzer in Sachen Style, Design, Popkultur ziemlich unterschiedliche Philosophien. Amore oder Subkultur – was darf es sein?

Gefährte mit Geschichte 

Entstanden sind die Vespa von der Firma Piaggio und die Lambretta aus dem Hause Innocenti knapp hintereinander. Corradino D'Ascanio ersann Erstere 1946, dabei konstruierte er sonst eigentlich Kampfflugzeuge. Sein Auftraggeber: Der Flugzeugbauer Enrico Piaggio aus Pontedera in der Toskana, dem es nach einem tüchtigen Motorrad simplen, sparsamen, erschwinglichen Zuschnitts verlangte. Im Zweiten Weltkrieg wurden seine Fabriken zerbombt, nun musste man auf Zweiräder umsatteln.

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Vespa: Hersteller: Piaggio. Entstehungsjahr: 1946. Name: bedeutet „Wespe“. Merkmale: schmale Taille, kurviges Hinterteil, schick. 
 

©Vespa

„Das sieht ja aus wie eine Wespe“, soll Piaggio bei der Präsentation in seiner ersten Reaktion geäußert haben – und schon hatte man einen Namen. So schlicht wie genial war das erste Modell. Der Motor bestand ursprünglich sogar aus einem angepassten Anlassermotor für Flugzeuge. 

So entstand aus der Not heraus ein Klassiker. Die Vespa verkaufte sich millionenfach. Und auch wenn der Erfolg zwischenzeitlich zurückging, brummt das Geschäft heute wieder, nicht zuletzt wegen des Retro-Charmes – die Vespa ist italienisches Lebensgefühl pur.

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©Vespa

Maskuliner als die Vespa

Die Lambretta erblickte nur ein Jahr später, 1947, das Licht der Motorenwelt. Sie kommt aus dem Norden Italiens, aus Mailand, benannt wurde sie nach dem Stadtteil Lambrate bzw. dem Fluss Lambro. Ferdinando Innocenti hatte dasselbe Ziel wie die Kollegen von Piaggio im Blick: ein Zweirad fürs Volk. 

Im Gegensatz zur Vespa, die einen geschlossenen Rahmen vorwies (D’Ascanio wollte unbedingt, dass man sich an den Motorteilen nicht schmutzig machen konnte), setzte die Lambretta aber auf einen offenen Stahlrohrrahmen und sichtbaren Motor. Wo die Vespa kurvig und feminin rüberkam, war der Konkurrent aus Mailand deutlich kantiger angelegt – sportlich, minimalistisch und maskulin, eigentlich ein halbes Motorrad. 

Die technische Facette wurde wichtiger genommen, was sich auch in einem rasanteren Fahrgefühl spürbar machte. Und dennoch: Trotz laufender Verbesserungen wurde die Fertigung 1972 eingestellt. Die Lambretta wurde fortan als Lizenzprodukt weiterproduziert, in Spanien, Deutschland und vor allem Indien. 1997 machte auch das indische Unternehmen SIL Schluss. 

Nach allerlei Gerichtsstreitigkeiten rollt der kultige Roller heute wieder – und die Österreicher setzten dieses Rollen in Gang: 2017 hat die KSU Group aus Gedersdorf bei Krems, die in Europa und Asien operiert, die Marke wiederbelebt. Die Roller sind modern, aber klassisch designt; hergestellt werden sie in Kooperation mit der taiwanesischen Firma SYM Sanyang. Ein gelungenes Comeback. Ihren Marken-Spirit verdanken die flotten Flitzer jedoch der Popkultur – Lambretta war der Roller der Rebellion.

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Style mit Tradition: Lambretta heute

©Lambretta

Und der Mods: Was eine ordentliche Jugendbewegung sein will, die braucht ihre eigene Panier, ihre Stil-Codes, Verhaltensregeln, Musik – und im Falle der Mods aus Großbritannien auch ein ansprechendes Gefährt. Cool Britannia kurvte mit italienischen Rollern durch die Welt: der Lambretta.

Mods lieben Lambretta

Die Mods kamen in den frühen 1960er-Jahren auf. Zum Auftreten gehörten feiner Anzugzwirn, gerne Fred-Perry-Polos, natürlich ein Militärparka und vor allem die Musik der Radaubrüder von The Who. Stil war Pflicht, und die Scooter der Subkultur wurden aufwendig umgebaut. Stichwort: Cutdown-Style, bei dem Teile der Karosserie entfernt wurden. 

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In der Rockoper „Quadrophenia“ fahren die Mods vorzugsweise Lambretta, aber auch Vespa. Im Bild: der junge Sting.

©mauritius images / Alamy Stock Photos / kpa Publicity Stills/Alamy Stock Photos / kpa Publicity Stills/mauritius images

Aufgetunt mit jeder Menge Spiegeln und Scheinwerfern ergab das ein fahrendes Gesamtkunstwerk, dem der Film „Quadrophenia“ 1979 basierend auf dem The Who-Album ein Denkmal setzte. Der junge Held Jimmy fährt darin eine Lambretta Li 150 Serie 3, auch bei der Massenschlägerei mit den Rockern in Brighton. Das Moped spielt in dem Generationenporträt eine zentrale Rolle – auch als Symbol für verlorene Illusionen. Das Gefährt seines Idols Ace (gespielt von Sting!), das Jimmy im Showdown über die Klippen fährt, ist allerdings eine Vespa.

Ansonsten ist ihre Rolle in der Popkultur allerdings deutlich weniger tragisch angelegt. Die Vespa steht für die Leichtigkeit des Seins und für Romantik. Unvergessen, wie Audrey Hepburn in „Ein Herz und eine Krone“ 1953 durch Rom düst – plötzlich war die Vespa weltberühmt. 

Dieser Frohsinn hat sich bis heute gehalten. Die Fahrer nennen sich „Vespisti“, es gibt organisierte Clubs, und sogar zur Kunst erhoben wurde die Vespa, ein Modell ist etwa im New Yorker Museum of Modern Art als Paradebeispiel für funktionales Design ausgestellt. Ob Vespa oder Lambretta: In welchen Sattel man sitzt, ist nicht nur eine Frage des Fahrgefühls – sondern auch der Lebensphilosophie.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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