Filmkritik zu "The Whale“: Schwergewichtig und gefühlvoll
Brendan Fraser spielt in seiner mutigen Comeback-Rolle zutiefst berührend einen adipösen Englischlehrer
Brendan Fraser blieb einer ganzen Publikumsgeneration als jugendlicher Liebhaber in Erinnerung. Mit seinem muskulösen, meist nackten Oberkörper in „George – Der aus dem Dschungel kam“ oder als romantischer Abenteurer in der Horror-Filmreihe "Die Mumie" boomte der Blockbuster-Liebling gewaltig an den Kinokassen.
Seine Erfolge kulminierten in den späten 90er- und frühen Nullerjahren, ehe ihn die Unterhaltungsindustrie ausspuckte. Nach langer Karrierestille verblüfft Brendan Fraser nun mit einer mutigen Comeback-Rolle – und erhielt einen Oscar.
In „The Whale“ von Regisseur Darren Aronofsky, der mit „The Wrestler“ schon Mickey Rourke eine triumphale Rückkehr-Rutsche nach Hollywood legte, spielt Fraser einen knapp dreihundert Kilo schweren Englischlehrer namens Charlie. Charlie sitzt irgendwo in Idaho in einer trüben Kleinwohnung und gibt Online-Kurse für Kreatives Schreiben. Seine Kamera lässt er lieber ausgeschaltet, um der Jugend seinen adipösen Anblick zu ersparen.
Mit Schweißperlen auf der Stirn und pfeifendem Atem verbringt er die meiste Zeit auf der Couch, denn Aufstehen ist kaum möglich; auch gehen kann Charlie nur mit Rollator. Aus Unglück über den Tod seines Lebenspartners isst er sich zu Tode. Riesige Pizza-Räder werden dick mit Mayonnaise beschmiert und in großen Happen hinuntergewürgt.
Charlie hat nur noch ein einziges Ziel in seinem Leben: Frieden mit seiner entfremdeten 17-jährigen Tochter Ellie („Stranger Things“-Star Sadie Sink) zu schließen.
Körperkostüm
Vier Stunden täglich musste sich Fraser in sein schwergewichtiges Körperkostüm wuchten. Die Kritik an Schauspielern im sogenannten „Fatsuit“ („Fettanzug“) ließ auch nicht lange auf sich warten.
Doch so spektakulär sein Anblick als menschlicher Fleischberg auch sein mag, so souverän kontert Fraser einer potenziellen Freakshow mit der Tiefe des Gefühls. Mit weicher Stimme und weit geöffneten, blauen Augen offenbart er nuanciert einen feinfühligen, verletzten Menschen, der innere Qualen mit Essen betäubt. Sein sensibles Spiel ist absolut berührend.
Auch der Rest des Ensembles – Charlies Pflegerin, seine Tochter, ein Missionar, die Ex-Frau – bewegt sich am Leistungsgipfel. Zudem übersetzt Aronofsky das autobiografisch eingefärbte Bühnenspiel von Samuel D. Hunter elegant in ein intensives, anschauliches Zwei-Raum-Stück. Die grellen Kanten von Hunters Drehbuch vermag er allerdings nicht abzuschleifen.
Eine allzu geballte Ladung tragischer Umstände produziert an manchen Stellen schrillen Emotionsüberschuss mit Hang zur Seifenoper. Besonders Tochter Ellie wirft extrem grausame Sätze Richtung Vater. Wie spitze Messer bohren sie sich in den Ballon der großen Gefühle und bedrohen ihn mit Sinkflug.
INFO: USA 2022. 117 Min. Von Darren Aronofsky. Mit Brendan Fraser, Hong Chau, Sadie Sink.
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