Schauspielstar Eva Mattes im Interview: "Machos sind wie Babys“

Für einen Theaterabend liest Eva Mattes aus Marlenes Dietrichs Tagebüchern. Wie es war, mit ihr zu telefonieren. Und warum sie drei weiße Haare der legendären Diva besaß.

Der Zylinder, der Hosenanzug, der Zigarettenspitz. Die rauchige Stimme, der freche Humor, der Sex-Appeal. Marlene Dietrich evoziert schnell ein bestimmtes Bild. Eva Mattes lässt nun den Menschen hinter der Diva lebendig werden. Im Chanson- und Leseabend "Wiedersehen mit Marlene“ am 28.2. im Theater Akzent liest sie aus ihren Nachtgedanken, schlaflos notiert in ihrer Pariser Wohnung, und ihrer Autobiografie. 

Mattes ist selbst eine Große ihrer Zunft. Mit 12 Jahren fing sie an, wurde zu einer Heldin des Neuen Deutschen Films, spielte großes Theater, arbeitete mit Regisseuren wie Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog (mit dem sie eine Tochter hat) oder Peter Zadek, brillierte im TV als "Tatort“-Kommissarin. An der Bar des Theater Akzent bitten wir Eva Mattes zum Gespräch.

Frau Mattes, was haben Sie über Marlene Dietrich herausgefunden, als Sie in ihren Tagebüchern gelesen haben? 

Mir wurde klar, welch empathischer Mensch sie war. Es war ihr wichtig, sich mütterlich um andere zu kümmern. Das war mir vorher in diesem Ausmaß nicht bewusst. Vor allem ihr Engagement während des Zweiten Weltkriegs.

Zum Beispiel?

Sie sang nicht nur für die alliierten Soldaten. Sie saß auch selbst im Jeep, betreute die Verletzten im Lazarett, war lange im Krieg. Mit Ernst Lubitsch und Billy Wilder gründete sie in Hollywood ein Komitee, um Juden aus Deutschland rauszuholen. Die wurden teils als Nonnen und Mönche verkleidet über die Schweiz in die USA geleitet. Sie hat extra noch drei Filme gedreht, um all dies zu finanzieren, hat gekocht für sie, ihnen Wohnungen besorgt. Über ihren Kampf gegen Hitler sagte sie selbst, das sei das Wichtigste gewesen, das sie gemacht hat im Leben. Kein Film.

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Was fasziniert Sie noch an Marlene Dietrich?

Gar nicht so sehr der Mythos und das Kunstprodukt, das man aus den Filmen kennt. Da habe ich Marilyn Monroe stets bevorzugt. Was ich anhand Marlenes Tagebücher kennenlernen durfte, war der Mensch hinter der großen Diva. Ihr großes Herz, wie fröhlich und helfend Marlene war.

Als Diva fanden Sie sie weniger spannend?

Selbstverständlich fand ich sie äußerst stylish. Ihre Hosenanzüge, wie sie raucht oder eine Frau küsst, in einer Zeit, in der das alles andere als ein gewohntes Bild war. Sie hat sehr gespielt mit ihrem Image. Auch mit ihrer scheinbaren Kühle, die ja nie kühl war. Und stets kam ihr großartiger Humor durch.

Sie wollte das Bild, das sich die Öffentlichkeit von ihr gemacht hat und das sie auch bedient hat, nicht durch den Zerfall ihres Körpers und Gesichts zerstören.

Stimmt es, dass Sie ein langes weißes Haar von Marlene Dietrich besitzen? 

Ja, ich hatte drei Haare von Marlene Dietrich. Heute aber leider nicht mehr. Das kam so: Ich schickte ihr einmal eine Schallplatte mit der Post, um sie für ein Friedenskonzert zu gewinnen. Sie hat das abgelehnt und mir die Platte im selben Päckchen wieder zurückgesendet. Unter dem Adresskleber klebten drei ihrer langen weißen Haare, die sich da verfangen hatten. Dummerweise habe ich die bei einem Umzug von München nach Hamburg nicht mitgenommen und vernichtet. Aus heutiger Sicht blöd. Aber damals hätte ich nicht gedacht, dass mir diese Haare einmal mehr bedeuten würden.

Sie haben mit der ikonischen Schauspielerin auch telefoniert. Wie war das?

Ich war sehr aufgeregt! Als sie dann den Hörer abhob, hat sie sich als ihr Dienstmädchen vorgestellt. "Hier ist das Dienstmädchen von Marlene Dietrich“, flötete sie ins Telefon. Ich wusste natürlich gleich, dass sie es selbst ist. Es war ja bekannt, dass sie gern zu solchen Späßchen aufgelegt ist. Also ging ich gar nicht darauf ein, wollte sie zur Teilnahme an besagtem Friedenskonzert bewegen. Doch sie sagte, nein, nein, ich trete nicht mehr auf.

Wie ging es dann weiter?

Irgendwann im Laufe des Gesprächs fing sie an, französisch zu reden. Da konnte ich nicht mehr mithalten. Ich habe den Hörer dann an einen Freund weitergegeben, einen Maler, der sehr gut der französischen Sprache mächtig war. Mit dem hat sie dann noch ein Weilchen weiter geplaudert.

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Warum denken Sie, hat die Dietrich sich mit 75 aus der Öffentlichkeit und in sich selbst zurückgezogen, allein in ihrem Appartement, geplagt von schlaflosen Nächten – war das Eitelkeit?

Sie wollte das Bild, das sich die Öffentlichkeit von ihr gemacht hat und das sie ja auch bedient hat, nicht durch den Zerfall ihres Körpers und ihres Gesichts zerstören. Man kann das Eitelkeit nennen. Aber es war noch etwas anderes, eben ein Teil von ihr.

Passte dieses Verhalten denn zu dem Bild von der unerschrockenen Frau, das sie so lange geprägt hat?

Ich kann das nicht wirklich beantworten. Aber ich finde, dass es auch große Kraft und Selbstdisziplin braucht, 15 Jahre lang im Bett zu bleiben. Sie ging ja nicht mehr raus. Dazu gehört viel Stärke. Und der große Wille, ein großes Kunstwerk nicht zu zerstören. Dennoch blieb sie mit der Welt in Kontakt. Offenbar hat sie Tag und Nacht telefoniert und Briefe geschrieben, viel gelesen und sich über das Weltgeschehen informiert. Sie befand sich stets in regem Gespräch. Auch mit sich selbst, wie man in ihren "Nachtgedanken“ liest, den Gedichten und Texten, die sie in wachen Nächten verfasst hat.

Hinter den Kulissen: KURIER Freizeit-Redakteur Alexander Kern beim Interview mit Eva Mattes

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Einsam mit sich selbst, der Ruhm hat ihr letztlich nichts Gutes getan.

Er hat ihr geschadet, gleichzeitig wusste sie ihre Berühmtheit aber auch schlau zu nutzen. Sie hat ihren Namen etwa wie gesagt gegen Nazi-Deutschland eingesetzt. Einer Marlene Dietrich öffnen sich alle Türen und sie hat etwas Gutes daraus gemacht.

Sie hatte viel Bezug zu Männern, oft sehr männlichen und berühmten Männern, etwa General Patton, Josef von Sternberg oder Ernest Hemingway. 

Sie hatte viele Liebhaber. Aber viel wichtiger als das waren ihr die Freundschaften zu diesen Männern. Mit Hemingway, so sagte sie, pflegte sie eine große, platonische Liebe. Ich kann das gut nachvollziehen. Platonische Liebe ist ganz schön heiß.

War sie eine Männerfrau?

In all diesen Kerlen steckte natürlich ein sehr weicher Kern. Ich sage immer, Machos sind wie Babys. Abhängig von der Mutter und machen auf großer Macker, weil sie das gerade noch so aufrecht hält. Das wusste sie bestimmt. Diese Männer haben Marlene mit ihrer durchaus mütterlichen Art sicher ganz schön gebraucht.

Ist Ihnen ein Eintrag in Marlenes Tagebuch besonders in Erinnerung geblieben?

In ihren "Nachtgedanken“ hat sie auch ein Gedicht über Jean Gabin verfasst, das sehr schön und tiefgehend und liebevoll ist. Gabin zog ja wie sie in den Krieg, als Soldat. Tatsächlich haben sie sich auf dem Feld sogar einmal getroffen. Sie sahen sich und konnten es gar nicht fassen, dass sie einander gefunden haben und sie beide leben. Sie umarmten sich und dann musste er schon wieder zurück, auf den Panzer. Bewegend.

Welche Verantwortung haben Künstler, wenn Krieg ist und Krise?

Ich finde schon, dass wir Künstler eine Verantwortung tragen. Es ist gut, Haltung zu zeigen. Natürlich, jeder wie er kann und will. Aber ich finde es gut. Marlene sah es genauso.

Kraft schöpfen für die Kunst ist der Schauspielerin wichtig: „Ich muss viel allein und für mich sein, um wieder kreativ sein zu können“

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Zu Beginn Ihrer Karriere waren Sie 1970 Teil eines Skandals, mit einem Film, der Haltung zeigt, dem Antikriegsfilm „o.k.“ über ein berüchtigtes Verbrechen, bei dem US-Soldaten ein Mädchen in Vietnam vergewaltigten und ermordeten. 

Der Vietnamkrieg war damals in vollem Gange und der Film hat die Leute schockiert. Ich war hingegen glücklich über diesen Skandal bei der Berlinale. Erstens, weil es ein großartiger Film war und Michael Verhoeven ein großartiger Regisseur. Und zweitens, weil der Film meine Karriere maßgeblich befördert hat. All das führte mir deutlich vor Augen, wo ich hin will. Ich wollte nicht nur in der Bussi-Bussi-Gesellschaft auftauchen, sondern wertvolle Filme drehen.

Die Schauspielerei war Ihnen in die Wiege gelegt, Ihre Mutter war ein UFA-Star ... 

... und davor schon ein Varieté-Star, sie ist mit ihrem Bruder durch ganz Europa getingelt, hat auf der Bühne Tango getanzt. Sie war eine fantastische Tänzerin.

Wie erinnern Sie sich an sie?

Sie war eine wunderbare, tolerante Mutter. Wir durften viel, das andere Kinder nicht durften. Abends haben wir bis zehn Uhr draußen Federball mit ihr gespielt. Sie hat Beethoven und Rachmaninow für uns aufgelegt, uns früh klassische Musik nahegebracht, wie auch andere Künstler, die ihr wichtig waren, von Charlie Chaplin bis Marlene Dietrich. Und sie war tapfer, als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und mit wenig Geld in den Fünfzigern. Mit 14 gab sie mir viel Freiraum, ich habe da die Familie miternährt, aber auch die Nächte in der Disco durchgetanzt. Dieser Grat zwischen Verantwortung zu haben und Freiheit zu lassen war für sie bestimmt nicht einfach.

Hat sich diese Situation später für Sie in ähnlicher Weise wiederholt, als Sie selbst eine schwere Zeit durchlebten, alleinerziehend und als junge Mutter einer Tochter?

Man kann das schwer vergleichen, weil es eine andere Zeit war. Eine alleinerziehende Mutter zu sein war Anfang der Achtziger zwar nicht unbedingt üblich, aber man war es durchaus gewohnt. Ich hatte die Situation so nicht beabsichtigt, sie aber angenommen und meine Schwester half mir dabei. Sie wohnte in derselben Straße und war zur gleichen Zeit schwanger, mit dem zweiten Kind. Ich wusste von ihr, was auf einen als Mutter zukommt und dass ein Baby im ersten Jahr eine große Herausforderung sein kann, selbst wenn man zu zweit ist als Eltern. Ich wusste, was auf mich zukommt.

Eva Mattes

Eva Mattes

Eva Mattes wurde 1954 in Tegernsee geboren. Mutter war Schauspielerin Margit Symo, Vater Filmkomponist Willy Mattes. Sie synchronisierte "Pippi Langstrumpf“. Mit 14 im Skandalfilm "o.k.“, danach u. a. in Werner Herzogs "Woyzeck“, Kommissarin im "Tatort“ und "Rehragout-Rendezvous“. Zwei Kinder.

Hat Ihnen das Angst eingejagt? 

Nein, mich hat das nicht geschreckt. Schon als meine Tochter zwei Monate alt war, habe ich den ersten Film gedreht und sie war bei den Dreharbeiten dabei. Ein Mädchen hielt sie im Tuch, wenn die Kamera lief, und wenn sie schrie, stoppte der ganze Dreh und sie bekam ihre Muttermilch. Die haben sich nach mir gerichtet, das war meine Bedingung gewesen. Nachts hielt sie mich dafür dann wach. Das hat mir alles nichts ausgemacht. Ich war 25 und hatte alle Kräfte.

Wie war es damals, in so jungen Jahren mit Kapazundern wie Fassbinder und Herzog und Zadek zusammenzuarbeiten?

Großartig! Das war alles, was ich mir je gewünscht hatte. Ich dachte damals quasi jeden Tag an Fassbinder und hypnotisierte das Telefon, auf dass er endlich anruft. Bis er dann tatsächlich angerufen hat. Ich war einfach der richtige Typ zur richtigen Zeit mit den richtigen Leuten. Alles hat sich gut gefügt und begabt war ich ja auch durchaus.

Fassbinder hatte das erkannt.

Durch "o.k.“ war er auf mich aufmerksam geworden. Gleichzeitig aber auch böse auf mich. Unser Film hatte durch den Skandal, den er verursachte, die Berlinale gesprengt, es wurden keine Preise vergeben. Fassbinder hätte gute Chancen auf den Hauptpreis gehabt. Du hast mir den Goldenen Bären weggeschnappt!, beklagte er sich bei mir halb im Scherz. Wir mochten uns sehr. Ich war jung, 16 Jahre alt, als wir drehten, und er immer sehr fürsorglich mit mir. Und beeindruckt von meiner Disziplin in diesem Alter. Habe ich wohl von meiner Mutter.

Es fehle Ihnen an Allüren und Eitelkeit, sagt Ulrich Tukur über Sie. Schwer zu glauben bei einer Schauspielerin, oder? 

Es gibt solche und solche, immer noch. In meinen Anfängen war es vielleicht ungewöhnlich. Aber heute gibt es viele, die nicht eitel sind. Sandra Hüller etwa, die gerade eine Riesenkarriere hinlegt.

Wie sehr rechnen Sie eigentlich damit, in jedem Interview stets darauf angesprochen zu werden, dass Sie als Kind Pippi Langstrumpf synchronisiert haben?

Das ist fester Bestandteil jedes Interviews. Aber das ist in Ordnung, weil es schön war. Ich singe auch das berühmte Lied. Tantiemen gibt es allerdings keine dafür.

Sozusagen Ihre eigene Villa Kunterbunt befindet sich heute in Brandenburg. Ein Rückzugsort für Sie?

Ich muss viel allein und für mich sein, um wieder kreativ sein zu können. Und um Kraft zu schöpfen, um das Leben zu stemmen. Das Haus ist toll, selbst ohne Heizung. Es ist denkmalgeschützt und die Bauarbeiten dauern noch an. Wir können dennoch schon da sein, wir haben einen Tischtennistisch und spielen uns warm. Ich liebe das Haus, schon jetzt, wenn es noch unfertig ist, als Idee davon, wie es einmal wird.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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