Van Gogh bis Alain Delons Ferrari: Verschollene Schätze, die wieder auftauchen

Teils sind sie bis zu 100 Millionen wert. Verloren geglaubte Kostbarkeiten wie ein Gemälde von Botticelli oder die Liebesbriefe von Marlene Dietrich. Dann sind sie plötzlich da – manche wurden gestohlen, andere hingen im Wohnzimmer.

Ein schnittiger Italiener, versteckt bei einem reichen Franzosen. Von einem „Fund des Jahrhunderts“ sprachen da die Amerikaner. Und ihr ungläubiges Staunen bestand mit Fug und Recht.

Dieser Ferrari stellte eine ganz besondere Preziose dar. Schwarz, schneidig, ein Cabrio war dieser 250 GT SWB California Spyder. Wie bei einem Panther im Sprung biegt sich bei diesem Modell die Motorhaube kraftvoll nach oben, hält mit Müh’ und Not die darunter beherbergten Pferdestärken zusammen. Erst ganz vorne senkt sie sich, scheinbar zur Vernunft gekommen, gen Fahrbahn. Dort lauern schnittige Lichter. Gelb und gefährlich.

Alain Delons Handschuhe?

Bloß 37 Mal wurde dieser Flitzer gebaut. Und besagtes Exemplar nannte noch dazu einen besonderen Vorbesitzer sein Eigen. Alain Delon fuhr ihn einst, als er in den Sechzigern für Visconti „Der Leopard“ drehte. Im Handschuhfach, rechts vom Holzlenkrad: zwei Zündschlüssel, dazu Lederhandschuhe. Ob er sie einst getragen hat? Als er dahinbrauste (Delon fuhr wie ein Irrer), eine Zigarette zwischen den Fingern, Ehefrau Nathalie (mit Kopftuch, Sonnenbrille) am Sozius? Tatsache war, dass dem Ferrari seit Ewigkeiten kein Vollgas mehr vergönnt war. Stattdessen: Parksperre.

Zerschundener Schatz: der Ferrari von Alain Delon (li.), aufgetaucht in einer Scheune mit 60 Oldtimern 

©Artcurial / Action Press / picturedesk.com

Als der legendäre Schlitten vor zehn Jahren wieder auftauchte – in der Scheune eines Schlossparks, zugemüllt, ramponiert, zerschunden – galt er bis dahin als verschollen. Begraben unter Zeitschriften war er Teil eines Fundes von 60 Oldtimern seltenster Herkunft. Ein luxuriöser Talbot-Lago. Ein rostiger Rolls-Royce. Bugatti, Hispano-Suiza, Delahaye und Maserati: Legenden auf Rädern, in heruntergekommenen Garagen, gesammelt vom Unternehmer Roger Baillon, der seinen Traum eines Automuseums, weil in monetäre Engpässe geraten, nie verwirklichen konnte. 

Verrostende Millionen

Auch sein Sohn wollte sich von den Edelkarossen nicht trennen. Erst die Erben schrieben die verwahrloste Flotte, befallen von Rost und Moos, zur Auktion aus. Die einen rasanten Wert aufwies: Allein der Ferrari von Alain Delon wurde um 14,2 Millionen versteigert. Eigentlich könnte man ja annehmen, dass der letzte Schatz, der auf dieser Welt einmal vergessen, versteckt oder verschollen war, inzwischen gefunden ist. Doch dann geschieht immer doch noch ein Wunder. Und in Garagen oder auf Dachböden taucht eine neue sagenumwobene Kostbarkeit auf. Oder auch beim Nachbarn, im Wohnzimmer. So geschehen vor Kurzem in Italien.

Der Botticelli des Bauernsohns: Die „Madonna mit dem Kind“ hing in einem Wohnzimmer nahe Neapel  und ist 100 Millionen Euro wert  „

©IMAGO/Cover-Images

Botticelli im Wohnzimmer

50 Jahre lang galt es als unauffindbar. Und dann war das Gemälde „Madonna mit dem Kind“ plötzlich wieder da, im Dorf Gragnano in der Nähe von Neapel wurde es im Beisein der Carabinieri stolz präsentiert. Sein Schöpfer: der Renaissancemaler Botticelli. Sein Wert: 100 Millionen Euro.

Schweren Herzens hatte der Konditormeister Michele Somma das Bild hergegeben, das 1470 gemalt wurde, einst ein Geschenk an Papst Sixtus IV. war (und später an die Familie Medici) und Botticellis Muse und Geliebte zeigt. Beim Bauernsohn Somma hing es im Haus der Familie, jeder im Dorf wusste davon. Weil die Kirche, in der das Werk ursprünglich prangte, abbrannte, landete es danach in einem anderen Gotteshaus. 

Als dieses durch ein Erdbeben beschädigt wurde, übergab man den Botticelli schließlich einem Bauern, zur sicheren Verwahrung. Von Generation zu Generation wurde das Gemälde weitergegeben, als Somma es dem Bürgermeister überreichte, flossen Tränen. Strafrechtliche Verfolgung droht ihm keine: ein offizielles Dekret, das ihn des Besitzes ermächtigte, dürfte ihn davor schützen.

Van Gogh im Ikea-Sackerl

Dass auf so viel Ehrlichkeit (wenn auch verspätet) nicht immer gezählt werden darf, liegt in der Natur der Sache. Teure Kunstwerke sind das Begehr trickreicher Diebe. Und wer einen Van Gogh besitzt, dürfte ausgesorgt haben. Was bewog jemanden also, das Gemälde „Der Pfarrgarten von Nuenen im Frühjahr“ rauszurücken? Schlechtes Gewissen? Kein Abnehmer? 

Der echte Dieb des Sechs-Millionen-Bildes, das 2020 aus dem Singer-Laren-Museum bei Amsterdam gestohlen worden war, war der Rückgeber aber ohnehin nicht, bloß der letzte Besitzer. Ersterer wurde dank DNA-Spuren bereits 2021 zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Der Van Gogh blieb verschwunden. Bis zum Vorjahr. Da wurde das Ölbild dem Detektiv Arthur Brand, bekannt als „Indiana Jones der Kunstwelt“, übergeben – in einem blauen Ikea-Sackerl. „Was für ein Tag“, kommentierte der das Kunstwunder.

Der Grund dürfte dieser gewesen sein: Gangster verwenden gestohlene Kunst gern als Druckmittel, um Komplizen freizupressen oder zur Strafmilderung. Doch das Van-Gogh-Bild war im Milieu zu heiß geworden. Keiner wollte mehr damit zu tun haben – und nun dürfen wir Kunstfreunde uns wieder daran erfreuen.

Detektiv Arthur Brand, bekannt als „Indiana Jones der Kunstwelt“, präsentiert stolz das wiederaufgetauchte Gemälde „Der Pfarrgarten von Nuenen im Frühjahr“  von Vincent van Gogh

©APA/AFP/ARTHUR BRAND/HANDOUT

Wenn ein als unwiederbringlich geltendes Unikat wieder zugänglich ist, ist das Anlass zur Freude. Was für noch mehr Jubel sorgt? 1.500 solcher Kunstwerke. Picasso, Chagall, Dürer – Werke für eine Milliarde Euro entdeckten Behörden 2013 in einer zugemüllten Wohnung in München. Ein Schatz zwischen schimmeligen Essensresten und Konservendosen. Der Besitzer war ein 80-jähriger Mann, dessen Vater ein berühmter Kunsthändler. Raubkunst: Er dürfte sie jüdischen Sammlern zu stark vergünstigten Preisen während des NS-Regimes abgekauft haben.

Ein verliebter Hemingway

 Aber auch Literatur verschwindet. Mehr als 60 Jahre nach seinem Tod tauchte der unveröffentlichte Roman „Krieg“ von Louis-Ferdinand Céline vergangenen September wieder auf und brach alle Verkaufsrekorde. Der Nazi-Freund und Antisemit verlor sie auf seiner Flucht aus Frankreich. Der Besitzer des Manuskripts, ein Journalist, musste bis zum Tod der 107-jährigen Witwe Célines mit der Veröffentlichung warten.

Ernest Hemingway vor seinem Haus auf Kuba, von wo aus der Nobelpreisträger für Literatur wiederentdeckte Briefe an einen engen Freund in Venedig schrieb – und sich weniger als Macho zeigte, als weithin bekannt

©john fitzgerald kennedy library

Wobei es nicht immer für Publikum bestimmte Texte sein müssen, die literarische Schätze darstellen. Auch entdeckte private Briefe eignen sich vortrefflich. Für die Fans von Ernest Hemingway mögen jene, die er seinem Freund Gianfranco Ivancich schrieb (in dessen Schwester er schwer verliebt war), erhellend gewesen sein. Der als Raubein bekannte Schriftsteller zeigt sich darin von einer unbekannten Seite: sensibel, wenn er etwa wegen dem Tod seines Katers trauert oder sich nach Ivancichs Schwester verzehrt. An anderer Stelle berichtet er aber auch einfach nur über seine Leberwerte.

Marlenes Liebesbriefe

Einblicke in die Geheimnisse einer Diva gab die Korrespondenz von Marlene Dietrich, die 2001 publik wurde. Bevor sie zur Filmlegende wurde und John Wayne oder Jean Gabin zu ihren Geliebten machte, war ein junger Bäcker aus Hannover namens Willy Michel ihre erste Liebe, acht unbekannte Briefe an ihn wurden auf einem Dachboden entdeckt. Interessant: Die beiden siezten sich, in aller Zärtlichkeit. „Vergessen Sie mich nur nicht, hören Sie ...“

Rembrandts „Christus im Sturm auf dem See Genezareth“, gestohlen beim größten Kunstraub der Geschichte in Boston. Für Hinweise auf die gestohlenen Werke ist eine Belohnung von zehn Millionen Dollar ausgesetzt 

©Wikimedia commons/Rembrandt/Public domain

Doch gleich, ob geheime Briefe oder versteckte Ferraris, nicht alle vermissten Schätze tauchen wieder auf. Rembrandts „Christus im Sturm auf dem See Genezareth“ sowie Werke von Vermeer, Degas und Manet gelten als unauffindbar. Dazu kam es, als 1990 in Boston Nachtwächter zwei als Polizisten verkleidete Männer zur Hintertür des Gardner Museums hereinließen. 13 Bilder im Wert einer halben Milliarde Dollar ließen die Diebe mitgehen – und landeten damit den größten Kunstraub der Geschichte. Verschollen. Auf ewig?

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

Kommentare