David Schalko im Interview: "Das radikalisiert auf allen Seiten"
Der Filmemacher und Autor über sein neues Buch „Was der Tag bringt“ über Kafka, Kommunismus, Eigentum und Arbeit (Von Gabriele Flossmann).
Wäre er nicht viel beschäftigter Autor und Filmemacher, dann hätte David Schalko vielleicht Grund für eine Midlife-Crisis. Denn seit Anfang dieses Jahres ist er 50.
Die Hauptfigur Felix in seinem neuen Roman „Was der Tag bringt“ hat noch etwa zehn Jahre bis zu seinem 50er. Bis dahin möchte er es mit einem Start-up für ein Bio-Catering zum umweltbewussten und wenn möglich auch finanziell erfolgreichen Muster-Unternehmer geschafft haben. Dann aber kommt Corona, die Aufträge bleiben aus, die Bank sperrt weitere Kredite.
Um über die Runden zu kommen, ist Felix gezwungen, bis auf Weiteres seine Wohnung monatlich für acht Tage zu vermieten. Er selbst wird in diesen Tagen zum Nomaden – von Gästecouch zu Gästecouch. Der neue Lebenswandel bringt für Felix neue Bekanntschaften, bittersüße Erlebnisse, Freund- und Feindschaften – und vor allem viele Gründe dafür, die eigene Existenz zu hinterfragen.
Schreiben statt drehen
Für David Schalko ist der Roman ein Resultat der Pandemie, die seine Film-Projekte – wie die TV-Serie über „Kafka“ – zum Stillstand brachte. Man konnte also hoffen, dass sich im erzwungenen Lockdown Schalkos schräger Humor mit der artifiziellen Bosheit eines Thomas Bernhard mischen würde. Letzterem stand Schalkos Mitgefühl mit seiner Hauptfigur entgegen. Obwohl er auch seinen Felix erbarmungslos psychologisch auslotet. Zu einem Sittenbild der heutigen Arbeitswelt. In einer Drehpause zu seiner "Kafka"-Serie stellte sich David Schalko dem Interview mit uns.
David Schalko: Die Auseinandersetzung mit Kafka hat bestimmt Spuren in dem Buch hinterlassen. Es gibt Analogien zum Schloss, zum Prozess oder zum Brief an den Vater. Aber der Roman ist eigentlich ein existenzialistischer Roman für das digitale Zeitalter. Ich hätte mich im Fall der Serie niemals alleine an Kafka herangewagt. Ich bin sehr froh, dass ich Daniel Kehlmann und Reiner Stach an meiner Seite habe.
Felix selbst ist eine Erfindung. Er ist ein moderner Mann ohne Eigenschaften. Aber die Idee hat eine reelle Entsprechung. Ein Freund erzählte mir, dass er acht Tage im Monat seine Wohnung vermietet und sich immer überlegen muss, wohin er geht. Man kann ja nicht immer auf dem Sofa eines Freundes schlafen. Das stand für mich metaphorisch für das, was gerade passiert. Auch was es mit dem Konzept eines Lebensraums macht, der ja der wichtigste Zufluchtsort ist – der sich aber durch das Vermieten zunehmend entpersonalisiert. All das wirkt sich auf die eigene Identität aus.
Es ist eine Gesellschaft, die zunehmend den Boden unter den Füßen verliert. Auf vielen Ebenen. Eigentum zum Beispiel ist ja nicht nur etwas, das uns als Menschen erweitert, mittels dessen wir seelisch expandieren und das uns die Illusion von Dauerhaftigkeit gibt, sondern auch etwas, das uns schützt. Das gehört mir. Da dringt keiner ein. Wenn das durchlässig wird, dann macht es etwas mit uns. Die Dinge werden unbeständiger und virtueller. Wir werden unseren Begriff von Eigentum und dauerhafter Beschäftigung bestimmt neu definieren müssen.
Der Kommunismus der Sowjetunion war nicht nur eine Diktatur, sondern auch ein staatlich organisierter Kapitalismus. Da waren ja nicht alle gleich. Im Gegenteil. Die Gleichheit im Sinne, dass jeder Mensch die gleichen Chancen haben sollte, der Staat, ergo das Gemeinwesen, der dafür sorgt, dass alle einen existenziellen Sockel haben, egal, was sie arbeiten, und dass Arbeit nicht Ausbeutung heißen muss und dass man in größerem Stile Vermögen umverteilt, sind ja Ideen, die hochaktuell sind. Staat ist das, was wir gemeinsam sind. Als solidarische Gesellschaft. So wie es wichtig ist, dass gewisse Dinge uns allen gehören und nicht privatisiert werden. Wie Wasser zum Beispiel. Oder dass ein staatliches Gesundheitssystem dafür sorgt, dass jeder gleich behandelt wird, wovon wir uns zunehmend entfernen. Ein Staat bietet Schutz. Und sollte nicht die Hure der Reichen sein.
Viele Menschen haben berechtigt das Gefühl, dass Arbeit oft nichts Sinnstiftendes mehr ist, sondern dass sie dort ausgebeutet werden. Uns ist das Grundverständnis abhandengekommen, dass Wirtschaft in erster Linie dazu da ist, unser Leben zu verbessern und nicht ausschließlich dazu, möglichst reich zu werden. Viele haben sich durch Corona eine Veränderung erwartet. Das System tut aber so weiter, als wäre nichts passiert. Als gäbe es die globalen Krisen nicht. Das hinterlässt ein Gefühl der Ohnmacht. Und radikalisiert auf allen Seiten.
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