Jazz-Star Rebekka Bakken im Interview: "Ich bin gern die Fremde"

Die fantastische Sängerin Rebekka Bakken meldet sich mit einem neuen Album zurück. Mit der freizeit sprach sie über den richtigen Ton, die Angst vor Klassikern – und ihre Liebe zu Ludwig Hirsch.

An der Seite von Ausnahme-Gitarrist Wolfgang Muthspiel wurde die junge Norwegerin Anfang der 00er-Jahre von Wien aus zu einer der gefeiertsten Nu-Jazz-Diven Europas. Dass sie auch Pop kann, bewies sie gleich darauf mit bejubelten Solo-Alben wie „The Art of How to Fall“ und „I Keep My Cool“.

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Nun hat sie sich einen persönlichen Traum erfüllt, und einige ihrer Lieblingssongs gecovert. Auf Always On My Mind begegnen wir Song-Perlen wie Nick Caves „Red Right Hand“ und Peter Gabriels „Here Comes The Flood“ und Klassikern wie „Yesterday“ oder „Love Hurts“. Intensiv, ungewöhnlich, schön

 Wie haben Sie die Songs ausgewählt, die Sie auf Ihrer neuen CD covern? Das sind sehr unterschiedliche Stücke ...
Zwei Fragen waren bei der Auswahl ausschlaggebend: Liebe ich den Song? Und: Kann ich ihn zu „meinem“ Song machen?
Aber ist das nicht eine große Herausforderung, sich einen Klassiker wie „Yesterday“ zu eigen zu machen?
Nein, das ist leicht. Die Herausforderung ist, das auch gut zu machen. Denn diese Songs sind ja bereits gut und hatten schon ein Leben, bevor ich sie singe. Also darf ich nicht an der Oberfläche bleiben – ich muss ins Herz des Songs vordringen. Man arbeitet beim Covern ja mit den Gefühlen, Sehnsüchten und Schmerzen  anderer Menschen.
Gibt es eigentlich Songs, die so legendär sind, dass man sich nicht an sie heranwagt?
Das dachte ich, ja ... Aber dann HABE ich sie eben doch gespielt. (lacht) Aber es stimmt natürlich. An „Yesterday“ oder „I do it for you“ von Bryan Adams ranzugehen ist schon ein wenig furchteinflößend. Doch dann erwies es sich als wundervolle Erfahrung, weil die Songs eben so fantastisch sind, es ist wie fliegen, wenn man sie singt.
„Love Hurts“ ist ein weiteres  Highlight auf Ihrer neuen CD. Tut Liebe weh?
Nein. Wobei wir erst definieren müssen, was Liebe ist. Denn die tiefe Liebe, die zwei Menschen dazu bringt, das Leben miteinander zu teilen, und die tatsächlich mit jedem Tag stärker wird, die tut nicht weh. Wenn Sie aber die romantische Verliebtheit meinen, von der jeder spricht, die man in Filmen sieht und der wir so unentwegt nachlaufen –   ja, die tut oft verdammt weh.
Es sind durchwegs alte Songs, die sie derzeit singen. Hören Sie auch zeitgenössische Musik?
Oh ja, sehr viel sogar. Ich habe einen neunjährigen Sohn – da kann ich dem gar nicht entkommen! Und ich muss sagen, mir gefällt auch sehr vieles davon. Nicht unbedingt diese Schablonensongs, die er auch mag, mit so viel Autotune, dass die Stimmen der Sänger klingen, als würden Frösche quaken. Aber „Flowers“ von Miley Cyrus mag ich wirklich gerne, die hat einfach eine Wahnsinnsstimme. Und weil das Auswahlverfahren von Kids heutzutage so wunderbar eklektisch und unberechenbar ist, komme ich auch dazu, sehr viel von Queen zu hören. Und die liebe ich wirklich mehr und mehr, je öfter ich sie höre!
Sie sind in Norwegen auf dem Land aufgewachsen, haben in New York und Wien gelebt, dann wieder in den schwedischen Wäldern – sind Sie nun ein City-Girl oder eine Country-Queen?
Ich kann in jedem Umfeld sehr gut leben. Ich identifiziere mich nicht mit einer Stadt oder einem Land, bin nicht gerne Teil einer Gruppe. Sich über Nationalität oder Religion oder irgendwelche Clubs zu definieren ist nichts, was mich in irgendeiner Form anzieht. Ich bin gern Ausländerin, die Fremde.
Wie hyggelig ist ihr derzeitiges Leben in Norwegen?
Total! Man muss es sich hier einfach hyggelig machen, es ist so lange dunkel und kalt. Also macht man es sich richtig gemütlich, unabhängig vom Wetter oder von äußeren Einflüssen. Ein gutes System, wie ich finde. Von außen kommt eh schon so viel auf uns zu, Arbeit, Verpflichtungen ... Also warum nicht sein Zuhause richtig genießen?
Ich stelle Sie mir gerade in einem dieser hübschen, bunten norwegischen Häusern vor, wie sie in einer gemütlichen Küche norwegische Spezialitäten kochen ...
Bis auf die norwegischen Spezialitäten stimmt das auch. Aber ich koche doch lieber österreichisch. Ich hab in Wien die Küche mit ihren Knödeln und Schnitzeln und vor allem auch dem vielen, wunderbaren Gemüse wirklich lieben gelernt. In Norwegen essen wir normalerweise nicht sehr viel Gemüse. Mir kommt überhaupt vor: In Skandinavien essen wir in erster Linie, um satt zu werden. In Österreich, um zu genießen.
Dafür macht man in Skandinavien mehr Musik, wie es scheint. Es ist erstaunlich, wie viele Musiker von dort international erfolgreich sind, egal ob Pop, Jazz oder Rock.
Stimmt. Vielleicht ist ja Musik unser Genuss, nachdem das Essen schon kein Grund zur Freude ist (lacht). Aber wie schon gesagt, es ist oft kalt und dunkel, und wenn man nicht in einer der größeren Städte wohnt, ist man viel alleine zuhause, die nächsten Nachbarn sind weit weg. Da ist selbst Musik zu machen wirklich eine Quelle der Freude. So war es bei mir auch als kleines Mädchen. Niemand hat mich dazu gedrängt, Musik zu machen …
Sie haben ursprünglich Geige gelernt?
Ja, richtig. Aber obwohl ich noch eine habe, spiele ich eigentlich gar nicht mehr. Das ist ziemlich eingerostet. Ich setze mich lieber ans Klavier, das hab ich mir selbst beigebracht ...
Stimmt es, dass Sie auch nie Gesangsstunden genommen haben?
Ja, ich fühlte mich mit meiner Stimme einfach immer schon wohl. Da war nie Angst, es ist für mich die natürlichste Art, mich auszudrücken. Das wollte ich mir durch Gesangsstunden auch nicht verderben.
Aber dieser immense Stimmumfang, drei oder knapp vier Oktaven – ohne Training?
Wenn du deinen Körper kennst, weißt du auch, was er kann, wo du mit ihm hinkommst. Für mich ist singen so natürlich wie zu gehen. Also ja, ich hab das Glück, dass meine Stimme einfach immer macht, was ich von ihr will.
Wie arbeiten Sie an Songs, als Songwriterin? Sie sagten in einem Interview, dass Sie eigentlich dazu tendieren, faul zu sein.
Oh ja, und wie! Ich hab eigentlich kein Problem damit, gar nichts zu tun. Und wenn ich dann doch ein schlechtes Gewissen bekomme, weil ich ja eigentlich schreiben müsste, putze ich lieber das Haus oder so einen Blödsinn ... (lacht) Es ist dieser Kampf, dieses Sich-Quälen, das mich davon abhält, mich hinzusetzen und zu schreiben. Weil was dabei rauskommt, ist oft auch nur Müll. Also warte ich lieber. Ich kann das sehr gut und lange, auf die Muse warten. Denn wenn sie endlich da ist, dann geht alles schnell und beinahe mühelos. Aber ich brauche immer einen ersten Funken, manchmal passiert es in der Schlange im Supermarkt, zuhause auf der Couch, beim Autofahren. Ich kann das nicht wirklich steuern.
Als Songwriter entblößt man sich ja zu einem gewissen Grad vor seinem Publikum. Wie gehen Sie damit um?
Zuallererst darf man sich selbst nicht so wahnsinnig wichtig nehmen. So besonders. Die Menschen im Publikum haben dieselben Ängste und Hoffnungen wie man selbst. Jeder ist zu intensiven Gefühlen fähig. Das muss einem klar sein. Man sollte auch niemanden spielen, der man nicht ist. Du bist, wer du bist – sonst hast du nichts. Aber DAS ist schon sehr viel. Und: Nur wer sich selbst kennt, kann auch über andere Menschen schreiben.
©Sony music

Rebekka Bakken: „Allways On My Mind“ (Sony Music), mit Songs von Nick Cave, den Beatles, Annie Lennox, Peter Gabriel u.v.a. 

Ich habe gehört, dass Sie Ihre alten Lieder gar nicht so gerne live spielen?
Ja, das hat aber nichts damit zu tun, dass ich sie nicht mehr mag. Es ist nur so, dass sie eigentlich für mich „abgeschlossen“ sind. Deshalb habe ich ja neue Songs. Aber das Publikum mag einige der alten Sachen, ich auch, also spiele ich sie schon. So wie ein Lied, das gar nicht von mir ist: Ludwig Hirschs „Der Schnee draußen schmilzt“!
Das ist irgendwie erstaunlich. Woher kommt Ihre Affinität zu Ludwig Hirsch?
Ach, als Frau DIESE Stimme zu hören, seine Texte – das ist eine beinahe magische Anziehungskraft. Ludwig wirkte auf uns, da gab es keinen Ausweg, man musste sich ergeben. Wissen Sie, sogar wenn ich seinen Song singe, und das tue ich in ganz Europa, sehe ich, wie die Augen der Frauen in den ersten Reihen leuchten ... 
Dabei war er ja nicht unbedingt ein klassisches Sex-Symbol. Dünn, schütteres Haar ...
Ein Mann ist doch so viel mehr als seine Größe und sein Haar! Es sind seine Worte, sein Geist, seine Seele, die unsere Herzen treffen. Und für Ludwig Hirsch galt: Man konnte ihn nicht NICHT lieben. 
Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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