Daheim bei Johnny Cash und Elvis Presley
Der eine ging an seiner Sucht zugrunde, der andere schuf aus ihr Großes, den dritten, so hieß es, würde sein Leben früh umbringen. Er ist nun als Letzter der drei gestorben.
Sie waren der King, der Man in Black und der Killer und gelten bis heute als die Urväter des Rock ’n’ Roll, als Ausnahmemusiker, die die Tür zu einer neuen kulturellen Welt aufgestoßen hatten. Aber alle waren sie auch gottesfürchtige Männer: Elvis Presley, Johnny Cash und Jerry Lee Lewis. Letzterer, der Killer, hat am offensten über die Angst gesprochen, die aus dieser Gottesfurcht erwuchs. Die Angst, dass ihn dieser Gott in der Hölle würde schmoren lassen, weil er das spielte, was viele in der Pfingstgemeinde, der er sich zugehörig fühlte, „die Musik des Teufels“ nannten. Jerry Lee Lewis habe darüber auch mit Elvis zu sprechen versucht. Der, so erzählt die Familie, wollte aber nicht darüber reden – und ließ den Killer durch seinen Tod 1977 allein zurück mit seiner Angst.
Am 28. Oktober teilte das Management von Jerry Lee Lewis mit, dass auch der Killer vor seinen Schöpfer getreten ist. Der Mann, der gleichzeitig Honky Tonk und Blues auf derselben Tastatur spielen, der Rockabilly regelrecht aus einem Klavier rausprügeln konnte, bevor er wusste, dass es für das, was er da tat, einen Namen gibt, hat in seinem Haus im Bundesstaat Mississippi den Klavierdeckel für immer zugeklappt. Auch rund 400 Kilometer entfernt klappt ein müder, alter Mann am Ende den Deckel des Klaviers zu.
„Everyone I know goes away in the end“ hat er gerade mit brüchiger Stimme gesungen. „Alle, die ich kenne, gehen am Ende fort.“ Ein Jahr später wird der Tod ihm selbst die Hand auf die Schulter legen. Sein leerer Sessel und darüber ein Bildschirm, auf dem das Video mit dem Klavier in Endlosschleife läuft – mit diesen leisen Tönen entlässt das Johnny Cash Museum seine Besucherinnen und Besucher hinaus auf die lauten Straßen in Nashvilles Zentrum. „Hurt“, den traurigen Song, den der Man in Black in diesem Video singt, hat er nicht selbst geschrieben. Er stammt von Trent Reznor, dem Frontmann der Band „Nine Inch Nails“. Die Coverversion von Johnny Cash aus dem Jahr 2002 war allerdings wesentlich erfolgreicher als das Original aus dem Jahr 1994. Das Video dazu wurde eines der erfolgreichsten in der amerikanischen Musikgeschichte.
Cash sollte erst mal sündigen Dem Museum, das in einer Seitenstraße des Nashville Broadway liegt, gelingt es, mit Möbeln und Geschirr aus dem ehemaligen Haus des Sängers, mit Fotos, Plakaten, Videos und Tonaufnahmen einen bewegenden Einblick in das Leben eines Mannes zu geben, der rund 500 Songs geschrieben, zahlreiche Preise dafür bekommen, legendäre Konzerte in Gefängnissen gegeben und in vielen Filmen und Fernsehserien mitgespielt hat. Das Leben eines Mannes, der eine eigene Fernsehshow hatte, der mit 48 Jahren als jüngster lebende Künstler in die Country Music Hall of Fame aufgenommen wurde, aber durch seine Tablettensucht auch ganz unten war. Das Leben eines Mannes, der seine große Liebe fand: June Carter. Am 12. September 2003, vier Monate nach dem Tod der Frau, mit der er 35 Jahre verheiratet war, starb Johnny Cash im Alter von 71 Jahren in Nashville. Begonnen hat seine Karriere in der anderen großen Musik-Stadt Tennessees: im Sun Studio in Memphis. Dort erzählt man sich, dass Studio-Gründer Sam Phillips den frommen Gospelsänger erst mal weggeschickt hat. Er solle sündigen und daraus einen guten Song machen. Und Cash brachte viele gute Songs. 1954 nahm er „Hey, Porter“, 1955 den „Folsom Prison Blues“ auf, ein Jahr später schaffte er es mit „I Walk the Line“ erstmals auf Platz eins der US-Country-Charts.
Das „Million Dollar Quartet“ Das ehemalige Sun Studio ist ein unscheinbarer Backsteinbau. 1969 hat Sam Phillips es verkauft. Darauf, dass dieses Gebäude an einer Straßenecke knapp zwei Kilometer vom Ufer des Mississippi entfernt einer der wichtigsten Orte der Musikgeschichte ist, weist ein riesiges Foto im Vorraum über der Bar mit der Kaffeemaschine hin. Elvis Presley ist darauf am Piano zu sehen, hinter ihm stehen Johnny Cash, Carl Perkins und Jerry Lee Lewis. Das Foto, das auch im Museum in Nashville hängt, wurde bei einer Jamsession am 4. Dezember 1956, die als „Million Dollar Quartet“ bekannt wurde, gemacht. Elvis betrat das Sun Studio erstmals im August 1953. Bis zu seiner ersten vermarktbaren Aufnahme sollte es da aber noch ein knappes Jahr dauern.
Die ersten Versuche seien recht schmalzig gewesen und nicht sehr erfolgreich, erzählt man heute im Studio, das nur noch Touristenattraktion ist. Sam Phillips habe mehr gewollt, etwas Neues, Rock ’n’ Roll. Den hat Elvis dann geliefert und wurde zum Weltstar. Einem Star, dessen Ruhm auch 45 Jahre nach seinem Tod kaum verblasst.
Graceland, das Anwesen von Elvis am Rand von Memphis, ist das nach dem Weißen Haus in Washington von Touristen am meisten besuchte Gebäude der USA, sagt Jalyn Souchek vom Tourismusbüro der Stadt. Entsprechend groß ist der dem Wohnhaus vorgelagerte Komplex: ein riesiger Parkplatz, eine gewaltige Empfangshalle, einige Museumshallen, in denen die Autos, die Bühnenkostüme, die Gitarren, die Armeeuniformen, die Platten, unzählige Fotos und Videos von Elvis zu sehen sind. Neben den Hallen stehen die beiden Flugzeuge, die dem King of Rock gehört haben, zur Besichtigung bereit, bevor die Besucher mit Bussen zum Wohnhaus gebracht werden.
Elvis Presley, der am 16. August 1977 im Alter von 42 an Herzversagen infolge von Medikamentenmissbrauch gestorben ist, wurde auf dem bewachten Gelände auch bestattet, nachdem versucht worden war, seinen Leichnam auf dem Forrest Hill Friedhof zu stehlen.
„City of Music“ In den Souvenirläden in der Beale Street, der Partymeile, ist Elvis allgegenwärtig. Hier ist Memphis immer noch die Stadt des Kings. Vor Elvis, da sei nichts gewesen, wird John Lennon in einer der Graceland-Hallen zitiert. Hier scheint es, als sei auch danach nichts mehr gewesen.
In Nashville, der Hauptstadt von Tennessee, die sich „City of Music“ nennt, spielt der King nur eine Nebenrolle. Die Stadt lebt nicht nur im Gestern. In Nashville wird nach wie vor Country Music produziert. Auf dem Broadway steht zwar ein Kunststoff-Elvis, aber in den Honky-Tonk-Kneipen spielen sie vorwiegend Country Music in klassischer und etwas härterer Form.
Die Musikerinnen und Musiker, die hier spielen, werden dafür nicht bezahlt. Sie hoffen darauf, entdeckt zu werden oder zumindest etwas Bekanntheit zu erlangen. Und auf Spenden der Kneipenbesucher. In der „Nashville Crossroads Bar“ geht der Sänger einer Rock and Blues Band deshalb mit dem Plastikeimer rum.
Wer ein paar Dollar reinwirft, den fragt er auch nach Musikwünschen. Kriegen die jungen Kerle da auf der kleinen Bühne auch etwas vom großen Johnny Cash hin, wird gefragt. Der Sänger nickt. Bevor er und seine beiden Kumpels die Bühne für eine Frauenband räumen, spielen sie einen Song des Man in Black. Dann klappt der junge Mann den Gitarrenkoffer zu und ruft etwas ins Publikum, das klingt wie: „Es geht hier gleich weiter.“ Es klingt auch, als wolle er sagen: Selbst wenn jetzt der letzte der drei Großen des Rock ’n’ Roll zu Grabe getragen ist, bleibt ihre Musik doch unsterblich.
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