Wer das beliebte Brettspiel Monopoly wirklich erfunden hat
Das kapitalistische Spiel wird 89. Oder doch eher 100? Vielleicht sogar 120.
Es klingt plausibel. Monopoly, so stand es noch 1973 in der Spielanleitung der US-Version, wurde von Charles Darrow aus Germantown, Pennsylvania, während der Großen Depression erfunden.
Charles Darrow hatte zuvor seinen Job als Heizungsvertreter verloren und hätte die Regeln des Spiels in dieser Zeit ausgearbeitet, um sich zu unterhalten. Vor der Wirtschaftskrise war er regelmäßig mit seiner Frau in ein Resort nach Atlanta City auf Urlaub gefahren. Und so trugen die Grundstücke anfangs – auch in der 1973er-Version – Namen aus seinem Lieblingsurlaubsort. Am 31. August 1935 hatte er sein Patent eingereicht, am 31. Dezember desselben Jahres die Bestätigung erhalten und im darauffolgenden Jahr 20.000 Stück verkauft.
Klingt glaubwürdig, klingt sogar ein bisschen wunderbar. Vom arbeitslosen Heizungsvertreter zum ersten Spielerfinder-Millionär der Geschichte. Der sich und die amerikanischen Spielemacher, die Gebrüder Parker, rettete. Mit einem Spiel, das es mittlerweile in Hunderten Varianten gibt und von dem 275 Millionen Stück verkauft wurden. Es ist ein Lehrbeispiel des Amerikanischen Traums. Quasi: Rücke vor bis auf Los, ziehe 200,–. Bloß stimmt es so nicht ganz.
Im Freundeskreis
Die Spielregeln kamen Heizungsvertreter Charles Darrow nämlich nicht als Eingebung an arbeitsfreien Tagen. Vielmehr wurde ihm das Spiel von seinen Freunden, den Todds, präsentiert. Charles fand derartigen Gefallen daran und sah vielleicht auch das Potenzial, sodass er die Regeln und die Grundstücksnamen von Atlanta City – einschließlich der falschen Schreibweise von "Marvin Gardens" anstelle von "Marven Gardens" – kopierte. Das wurde Jahrzehnte später in einem Gerichtsverfahren bestätigt.
Die Todds hatten das Spiel von ihren Freunden, den Raifords. Die Raifords lernten es von Jesse. Jesse hatte es von der Quäkerin Ruth Hopkins (Urheberin der falschen "Marvin Gardens"-Schreibweise). Zu Ruth war es über mehrere Ecken vom Wirtschaftsprofessor Scott Nearing gekommen. Und dieser hatte es von der Erfinderin selbst: von Elizabeth Magie Philipps, kurz: Lizzie.
Die Quäkerin und Ökonomin hatte am 5. Jänner 1904 – und damit an jenem Tag, an dem die Wright Brüder ihr Flugzeug-Patent bekamen – das erste Patent ihres „Landlord’s Game“, des Vermieterspiels erhalten.
Mit Kämpfergeist
Das war ungewöhnlich, waren in dieser Zeit doch nicht einmal ein Prozent der Patentanmelder Frauen.
Doch Lizzie war 1866 in Illinois in eine politische Familie geboren worden. Ihr Vater war Zeitungsvertreter, Sklavereigegner und begleitete Abraham Lincoln auf Reisen. Ihr lag die gesellschaftliche Ungleichheit am Herzen und sie fand Inspiration beim Ökonomen Henry George. Dessen Überzeugung war es, dass Armut und Ungleichheit trotz Technologie und Fortschritt bestehen bleiben, solange der Großteil des Gewinns von Landbesitzern abgeschöpft wird.
Diese Überlegungen wollte Lizzie Magie jenen näherbringen, die mit Wirtschaft und Politik wenig am Hut hatten. Am besten, dachte sie, geht das spielerisch.
Auf einem quadratischen Spielbrett zeichnete Lizzie also neun rechteckige Felder an jeder Brettseite ein, auf denen Spieler Aktionen tätigen konnten oder mussten. Die Spieler konnten Immobilien kaufen oder verkaufen, mussten Steuern zahlen oder ins Armenhaus, wenn sie kein Geld hatten. Und wenn sie Grundstücke unerlaubterweise betraten, erhielten sie jene Aufforderung, die als einzige unverändert blieb: Gehe ins Gefängnis. Wenn auch noch ohne den Zusatz: Gehe nicht über Los. Ziehe nicht 200,– ein.
"Ich hoffe", sagte sie einmal in einem Interview, "dass Männer und Frauen sehr schnell begreifen, dass ihre Armut daher kommt, dass Carnegie und Rockefeller, mehr Geld haben, als sie ausgeben können." Sie bezog sich auf Stahl-Tycoon Andrew Carnegie und Öl-Magnaten John D. Rockefeller.
Der Spielerfleiß
1924, nachdem das erste Patent abgelaufen war, reichte Lizzie eine überarbeitete Version ein. Mit zwei Regelwerken. In der ersten Version (Monopoly) ging es darum, sich so viel Eigentum wie möglich anzueignen und die Mitspieler in den Bankrott zu treiben. Im zweiten Regelwerk (Prosperity), dt. Vermögen) wurden alle Spieler belohnt, wenn Gewinn ausgeschüttet wurde.
Doch schnell erfreute sich bloß eine Variante großer Beliebtheit. Dabei wurde die Spielfreude so groß, dass Menschen – trotz Patent – ihre eigenen Versionen kreierten. Vor allem die Grundstücke benannten sie gerne nach Orten aus ihrer Heimat. Wie jene Version aus Atlanta City, die eines Abends im Jahr 1932 Charles Darrows von den Todds vorgestellt wurde.
Zu Hause zeichnete Charles das Spiel auf runden Wachstuchscheiben händisch auf. Seine Frau und sein Sohn füllten die Spielfelder mit Farbe aus und designten die Gemeinschafts- und Ereigniskarten. Zwei Jahre später verkaufte Charles Darrow die ersten Versionen. Im März 1935 gelang ihm ein Deal mit den Spielemachern Parker.
Die traten im November 1935 an die 70-jährige Maggie Lizzie heran. Sie wollten das Patent ihres "Landlord’s Games" kaufen. Lizzie Magie wusste wohl nicht, dass die Gebrüder bereits begonnen hatten, Darrows Monopoly zu verkaufen und mit dem Kauf von Magies Patent eine Konkurrenz ausschalten würden. Sie akzeptierte den Deal um 500 Dollar (450 Euro).
Doch ohne Marketing wurde "The Landlord’s Game" zum Ladenhüter.
Monopoly, hingegen, eroberte die Welt.
Hilfsmittel der Revolution
Getipptes Wort. Die Ideen von Lizzie Magie veränderten nicht nur die Spielewelt, sondern erleichterten auch die Arbeit an der Schreibmaschine. Lizzie Magie war nämlich nicht nur leidenschaftliche Ökonomin, sie war auch Schriftstellerin, Reporterin und Stenografin. Die Schreibmaschine hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ja die Arbeitswelt für Frauen revolutioniert. 1870, vor der Einführung, waren 2,5 Prozent der Büroangestellten in den USA Frauen.
In den folgenden 60 Jahren stieg der Frauenanteil auf 52 Prozent. Und um dabei mehr Wörter aufs Papier zu bringen, erfand Lizzie Magie ein Gerät, das die Größe der Seitenränder bei Hammond-Schreibmaschinen verringerte. Patentnummer 498.129 wurde im Jahr 1893 ausgestellt. Vier Jahre später verfasste sie – wohl auf einer Hammond-Schreibmaschine – eine Kurzgeschichte mit surrealem Weitblick in der Frauenzeitschrift Godey's. "The Theft of a Brain" (Der Diebstahl eines Gehirns) handelt von einer Schriftstellerin, die unter Hypnose ihr Potenzial entfaltet. Dann entdeckt sie, dass ihr Hypnotiseur ihren Roman plagiiert hatte.
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