Bäume, Brokkoli und irgendwas mit Kunst: Warum Museen auf Themen setzen

Wo der künstlerische Geniekult Pause macht, gedeiht die „Themenschau“. Mit durchwachsenen Ergebnissen.

Kommende Woche eröffnet in London eine große Ausstellung zu Paul Cézanne. Niemand käme auf die Idee, sie im Untertitel „Äpfel in der Kunst“ zu nennen – auch wenn die Leistung des Künstlers, das Volumen von Körpern auf innovative Weise in Malerei zu übersetzen, sich maßgeblich darin offenbarte, wie er Äpfel malte.

Warum also meint man in vielen Museen, man könne der Kunst auf die Schliche kommen, indem man sich in erster Linie bestimmte Bildmotive ansieht? Das Format der Themenausstellungen – in Wien sind gerade drei solcher Präsentationen zu sehen – hat Hochkonjunktur: Wohl auch, weil Sammlungen in der Pandemiezeit auf der Suche nach „neuen Zugängen“ nach allen möglichen Kriterien durchforstet wurden.

Doch der Themen-Fokus zeugt auch von einem grundsätzlicheren Wandel im Verständnis davon, wie Kunst entsteht: Anstelle der Auseinandersetzung eines kreativen Individuums mit der Welt tritt ein diffuser Prozess, bei dem viele mitmachen und bei dem am Ende „irgendwas mit Kunst“ herauskommt. Das passt zu einem Zeitgeist, in dem das Individuum wenig zählt und der Prozess viel – die documenta in Kassel trieb dies heuer auf die Spitze.

Holzfällen

Nun gibt es also im Unteren Belvedere in Wien eine neue Ausstellung: Sie heißt „Grow – der Baum in der Kunst“. Dass die Einsicht, wonach die Holzgewächse im Lauf der Geschichte oft gemalt wurden und allerhand bedeuten können, noch keine These ergibt, war dem Kurator Miroslav Halak wohl bewusst.

Sein Ordnungskonzept wirkt auf den ersten Blick übersichtlich: Da soll es in einem ersten Teil um den Baum als Symbol gehen, in weiterer Folge um den Baum als formales Element – und schließlich, in einer Art Synthese, um den Baum in ökologischen Kontexten.

Die Breite Föhre nächst der Brühl bei Mödling von Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld

©Belvedere

Der Parcours erschöpft sich dann aber doch in der ästhetisch unbefriedigenden Illustration von nicht ausformulierten Thesen. Da knallt im ersten Saal eine Reihe von Adam-und-Eva-Darstellungen (Der Baum der Erkenntnis!) auf eine „Wurzel Jesse“-Darstellung von Anselm Kiefer, daneben leidet ein Heiliger Sebastian aus Lindenholz.

In der die ganzen Schau bewegen sich die Exponate auf derart unterschiedlichen Umlaufbahnen, dass der Registerwechsel mehr Energie benötigt als die Auseinandersetzung mit der Frage, was eigentlich vermittelt werden soll. Vor allem aber ist die Qualitätsfallhöhe der Werke zueinander extrem: Das surrealistische Meisterwerk „Die Stimme des Blutes“ von René Magritte, eine Leihgabe des mumok, muss es da etwa neben mit Airbrush übermalten Kitschfotos des Slowaken Daniel Fischer aushalten. Und das ist nur eine der vielen harten Konfrontationen.

 

Ausstellung "Grow – der Baum in der Kunst" im Unteren Belvedere

©Belvedere/Johannes Stoll

Dabei ist es nicht so, dass die Kombination von Kunstwerken entlang von Motiven nicht auch erhellend sein könnte. In der mumok-Schau „Das Tier in dir“ (der KURIER berichtete) gelingt das etwa durch ein straffes Konzept, das Tiersujets nur als Sprungbrett nutzt: Im Kern geht es um Zugänge zu Fragen von Macht und Disziplinierung.

Mahlzeit!

Auch Johanna Schwanberg, Direktorin des Dom Museums Wien, hat es im ausstellungstechnischen Abschmecken von Kraut und Rüben zu einer gewissen Meisterschaft gebracht. Themen-Erkundungen sind gewissermaßen das Rückgrat ihres Programms.

Der neuen Präsentation „Mahlzeit“ – es geht um das Thema Essen – gelingt der Spagat aber auch nur teilweise. Wenn niederländische Stillleben des 17. Jahrhunderts neben Arbeiten hängen, die eine üppige Anhäufung von Lebensmitteln im Zeitraffer-Video verschimmeln lassen (Stéphanie Soulié) oder durch Plastikobst ersetzen (Robert F. Hammerstiel), entspinnt sich etwa ein feiner Dialog, der die Eigengesetze des Stillleben-Formats achtet.

Prunkstillleben von Abraham van Beyeren

©LIECHTENSTEIN. The Princely Collections

Komposition

Dann aber verträgt sich das Dokumentarische (Gregg Segals Porträts von Teenagern mit ihrem Essen) nicht mit dem Poetischen, das Hintergründige (Maja Vukojes mit Zucker und Kakao gemalte Bilder) nicht mit dem Schrillen (Izumi Miyazakis Photoshop-Orgien).

Vor allem aber ist der Druck, akute Themen (Lebensmittelknappheit! Ressourcenverschwendung!) illustrieren, so groß, dass den individuellen Positionen oft die Luft ausgeht. Doch Kunst ist nicht Illustration, sie erschöpft sich nie nur im Abbilden. Und sie wird nur in Ausnahmefällen mit dem Ziel gemacht, in einer Themenschau vorzukommen.

Izumi Miyazaki: Broccoli, (2017), aus der Ausstellung „Mahlzeit“

©Izumi Miyazaki
Michael Huber

Über Michael Huber

Michael Huber, 1976 in Klagenfurt geboren, ist seit 2009 Redakteur im Ressort Kultur & Medien mit den Themenschwerpunkten Bildende Kunst und Kulturpolitik. Er studierte Publizistik und Kunstgeschichte und kam 1998 als Volontär erstmals in die KURIER-Redaktion. 2001 stieg er in der Sonntags-Redaktion ein, wo er für die Beilage "kult" über Popmusik schrieb und das erste Kurier-Blog führte. Von 2006-2007 war Michael Huber Fulbright Student und Bollinger Fellow an der Columbia University Journalism School in New York City, wo er ein Programm mit Schwerpunkt Kulturjournalismus mit dem Titel „Master of Arts“ abschloss. Als freier Journalist veröffentlichte er Artikel u.a. bei ORF ON Kultur, in der Süddeutschen Zeitung, der Kunstzeitung und in den Magazinen FORMAT, the gap, TBA und BIORAMA.

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