Wieso exotische Stoffe in Frankreich per Todesstrafe verboten waren
Textildrucke aus fernen Länden begeistern in Europa seit der Renaissance. So sehr, dass ihr Besitz mit dem Tod enden konnte, erklärt ein neues Buch.
Die Miene des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. verdunkelte sich wegen bunter chinesischer und indischer Stoffe aus Seide und Baumwolle. Das Griss um exotische Ware war so groß, dass er Import und Herstellung der sogenannten Indiennes 1686 verbieten ließ. Denn traditionelle französische Manufakturen fürchteten um ihr letztes Hemd.
Geholfen hat das nichts. Das Verbot steigerte die Attraktivität des Materials nur noch mehr. Die Schmuggelgeschäfte blühten. Selbst Madame de Pompadour ließ sich nicht davon abhalten, ihr Schloss Bellevue mit Indiennes einzurichten. Und in ihrer Garderobe gab es Kleider aus indischen oder persischen Stoffen.
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Während die Mätresse sich in feinste Stoffe hüllte, schoben auch England, Preußen, Österreich und Italien der Einfuhr mit unterschiedlichen Maßnahmen einen Riegel vor. Aber nicht so drakonisch wie in Frankreich.
Gefängnis, Galeere, Todesstrafe
Dort reichten die Strafen vom Gefängnis über die Galeere bis zur Todesstrafe. Ab 1756 durften die Indiennes in Frankreich wieder legal eingeführt und hergestellt werden. Der Stoffdruck erlebte eine Blütezeit, von der sich bis heute Designer inspirieren lassen.
Dabei begann die Ära des Stoffdrucks in Europa vergleichsweise spät, im 16. Jahrhundert, mit Importen aus Indien, Persien und der Levante: „Lange waren die Länder von den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen abhängig. Baumwolle in Indien, Seide in China, Wolle und Flachs oder Hanf in Europa.
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Seit der Renaissance versuchten die Europäer, die Welt zu kolonisieren, um Produkte und Rohstoffe mitzubringen, die es auf dem Kontinent nicht gab. Die erste Globalisierung war also das Ergebnis des Handels und dann allmählich der Industriespionage“, erklärt Aziza Gril-Mariotte.
Prächtiges Buch über die Textilgeschichte
Die französische Textilexpertin hat den zweiteiligen Prachtband „The Book of Printed Fabrics. From the 16th century until today“ (erschienen beim Taschen-Verlag) verfasst. Dafür hat sie 900 Stoffe aus den Gewölben des Stoff-Museums schlechthin, dem Musée de l'Impression sur Étoffes, zusammengetragen. Es gibt wohl kaum einen namhaften Modeschöpfer, der dieses Haus nicht besucht hat. Zur umfangreichen Werkschau liefert die Kunsthistorikerin eine detailgenaue Geschichte über die Entwicklung der bedruckten Textilien vor allem in Frankreich.
Es reichte nicht mehr, Textilien aus Asien nach Europa zu holen.
„Damit sich eine Industrie ansiedeln und entwickeln kann, muss sie wirtschaftlich rentabel sein. Die ersten Fabriken wurden eröffnet, als es einträglicher wurde, zu produzieren, anstatt aus der Ferne zu importieren.“ Im 19. Jahrhundert florierte der Stoffdruck und avancierte zu einem der produktivsten Industriezweige. Auf Weltausstellungen nahm er beachtliche Teile der Flächen ein, und seine Pracht und Vielfalt beeindruckten Besucher.
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Bekleidungs- wie Einrichtungsstoffe hielten sich in dieser Zeit die Waage. Wie Gril-Mariotte in ihrem Buch schreibt, wurden beim Interieur riesige Stoffmengen eingesetzt. Zeitweise „verschwand das Mobiliar regelrecht unter allen erdenklichen Stoffgarnituren“. Die Einrichtungstextilien waren bereits im 18. Jahrhundert wichtig geworden. Das Bürgertum konnte mit preiswerteren Materialien die Kleidungs- und Einrichtungsgewohnheiten der Oberschicht nachahmen.
Tapetenhersteller kopieren Textilmuster
Selbst neue Erfindungen konnten dem Gewerbe kaum etwas anhaben. „Seit der Entwicklung der Tapete Ende des 18. Jahrhunderts konkurrierten die Tapeten mit den Textilbezügen. Aber die Hersteller sahen darin ein sehr gutes Geschäft, da die Tapete nur die Wände bedeckt, während der Stoff Stühle, Sessel, Vorhänge, Bettdecken einnimmt. Also erlaubten die Hersteller den Tapetenherstellern, ihre Textilmuster zu kopieren. Diese Praxis ist auch heute noch weit verbreitet“, erklärt die Expertin.
Nach dem Zweiten Weltkrieg brach das Wirtschaftswunder an – und mit ihm konnte sich eine breitere Kundschaft leisten, was zuvor nur wenigen vorbehalten war. Dieser Wandel spiegelte sich auch in der Modewelt wider, als Prêt-à-porter, Meterware und Haushaltsnähmaschinen aufkamen. Viele Unternehmen entschieden sich für externe Gestaltungsateliers und waren nicht mehr ausschließlich die kreativen Vorreiter. Oft wurden sie in Frankreich nur noch als Zulieferer der großen Modehäuser angesehen.
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Heute sind Stoffdrucke groß in Mode. „Der Trend zu bedruckten Kleidungsstücken ist jedes Jahr wieder aufs Neue präsent in den Kollektionen“, sagt Gril-Mariotte.
Dass hochwertige Stücke wieder da sind, sei aber keine Reaktion auf die Fast Fashion. Denn da gebe es auch viele Drucke. Vielmehr liege das an der Entwicklung einer neuen Technik: digital. „Der Digitaldruck ermöglicht es, in kleinen Mengen und zu geringeren Kosten zu drucken.“
Fotografie und Abstraktes im Stoffdruck
In den Worten von Gril-Mariotte zeichnen sich seit dem Ende der Neunzigerjahre zwei Strömungen ab „Ein Hang zur figürlichen Darstellung unter dem Einfluss der zeitgenössischen Fotografie auf der einen und eine Tendenz zum Abstrakten, die gut mit dem inzwischen weithin beliebten skandinavischen Design harmoniert, auf der anderen Seite.“ Diese Entwicklung bringt eine Renaissance der Wohntextilien mit sich, die einst in den 1930er-Jahren an Beliebtheit verloren hatten.
Und auch das klassische Segment behauptet sich weiterhin. Bekannte Textilverlage bringen nicht nur moderne Stoffe namhafter Designer auf den Markt. Sie schöpfen auch aus der reichen Tradition der Klassiker. „Vor allem ab dem 18. Jahrhundert waren florale Muster die Hauptquelle der Kreation und Inspiration, und daran hat sich bis heute nicht viel geändert“, sagt die Expertin
"Es geht immer wieder zum 18. Jahrhundert"
Sie ist eine der führenden Expertinnen für Textilien und Kunstgewerbe: Aziza Gril-Mariotte hat nicht nur den Band veröffentlicht, sie hat bis 2022 das Musée de l‘Impression sur Étoffes im französischen Mulhouse geleitet. Derzeit ist sie Direktorin des Musée des Tissus et des Arts Décoratifs in Lyon. Hie im Interview mit der freizeit.
Welche Ära im Stoffdruck mögen Sie am meisten?
Aziza Gril-Mariotte: Ohne zu zögern, das 18. Jahrhundert. Da wurde alles erfunden, was mit Design zu tun hat. Seitdem haben wir nichts anderes getan, als uns gegenseitig zu überarbeiten, neu zu interpretieren und zu beeinflussen, aber wir kommen stets auf das 18. Jahrhundert zurück.
Warum gibt es kaum Unregelmäßigkeiten in Stoffen?
Die europäische Industrie strebte nach Perfektion im Gegensatz zu handwerklichem Können. Mängel, die heute als Zeichen für handgefertigte, authentische Produkte gelten, wurden als negativ angesehen.
Wie wird die Textilgeschichte unserer Gegenwart in 50 bis 100 Jahren erzählt werden?
Heute kennen wir die Mode von vor 100 Jahren hauptsächlich durch Luxus und Haute Couture. Wird das anders sein? Das ist unwahrscheinlich, unsere minderwertige Alltagskleidung wird verschwunden sein oder weiterhin die Ozeane verschmutzen. Was übrig bleiben wird, ist das Spitzenmodell, das nur wenig getragen wird und eine Elite widerspiegelt.
Zeichnen sich bestimmte Designtrends ab? Gibt es Kulturen und Entwicklungen, die die Mode besonders inspirieren?
Bei den Einrichtungsgegenständen geht der Trend zurück zu natürlichen Materialien wie Leinen und Hanf, deren Anbau den Vorteil hat, dass sie wenig Wasser benötigen. Die Designs kursieren weiter und werden aufgegriffen, auch wenn die Kritik an der kulturellen Aneignung traditioneller Muster durch Europa wächst.
Wie sieht es mit dem Recycling aus?
Um zu recyceln, braucht man Materialien, die lange halten, also Qualitätsstoffe, aber das gilt nur für eine sehr kleine Zahl von Textilprodukten. Die große Mehrheit ist heute von zu schlechter Qualität.
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