Jeanne Drach: „Ich würde Opa fragen, ob er feministisch ist“

Er ist einer der international anerkanntesten Literaten Österreichs: Albert Drach. Am 17. Dezember wäre er 120 Jahre alt geworden. Die freizeit machte sich mit seiner Enkelin Jeanne Drach auf eine Spurensuche.

Die Literaturbeilage der Londoner Times nannte ihn gemeinsam mit Elias Canetti den einzigen deutschsprachigen Gegenwartsautor von Weltrang, den bedeutendsten „Avantgardisten deutscher Zunge“. Mit dem Georg-Büchner-Preis bekam er die renommierteste literarische Auszeichnung im deutschen Sprachraum, dazu den Grillparzer-Preis, das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst – und für den Nobel-Preis war Albert Drach immerhin nominiert.

Dennoch haben ihn viele österreichische Literaturfreunde nicht sofort auf dem Radar, wenn es um wichtige heimische Autoren geht. Ödön von Horváth, Robert Musil, Stefan Zweig, Werfel, Roth – Heimito von Doderer! Das sind Namen, die üblicherweise aus dieser Generation genannt werden.

Albert Drach wurde am 17. 12. 1902 in Wien geboren. Er wurde 92 Jahre alt

©Getty Images/Ulf Andersen/Getty Images

Wie frustrierend muss das für Drach, den – von internationaler Warte aus betrachtet – Größten gewesen sein?

„Was ich gehört habe, hatte er seinem späten Ruhm gegenüber eher eine trotzige Haltung gehabt. Weil's, eben, zu spät war für ihn ... Dieses Gefühl, nicht verstanden zu werden, hatte er sehr tief in sich“, sagt Jeanne Drach, seine Enkelin. Wir sind bei der erfolgreichen Musikerin und Bloggerin in ihrem Büro im dritten Bezirk zu Gast. Auch sie arbeitet mit Sprache, ganz wie der Opa, ihre vor drei Jahren gegründete Firma „Oh wow!“ gilt als eine der besten Podcast-Produzenten im deutschsprachigen Raum. 

Und ja, man kann die ablehnende Haltung ihres Großvaters verstehen. Albert Drach schrieb Geschichten, Lyrik und Romane, seit er in die Schule ging. Seinen ersten Erfolg feierte er allerdings erst mit 62, als Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum zu einem Bestseller wurde. Geschrieben hatte er diesen Roman um einen jüdischen Hausierer, der in einen beinahe kafkaesken Strudel an Beschuldigungen und Verurteilungen gerät, bereits 25 Jahre zuvor ...  Auch das mag ein Grund dafür sein, dass Drach sich in Eva Schobels Biografie selbst als „wütenden Weisen“ bezeichnet – so auch der Titel  des empfehlenswerten Buches über ihn.

Ein steiniger Weg

Auf Anraten seines väterlichen Freundes Anton Wildgans – noch ein Name, der dem Bücherfreund eventuell geläufiger ist – studierte Albert Drach Rechtswissenschaften, da man als Anwalt am besten Zeit fürs Schreiben aufbringen könne. Wildgans musste es wissen, er arbeitete zwei Jahre als Richter, bevor er von der Schriftstellerei leben konnte. In einem späten Interview meinte Drach übrigens über ihn: „Mein Freund Anton Wildgans war kein großer Schriftsteller.“ Dasselbe sagte er allerdings auch über Hofmannsthal ...

Jedenfalls hatte Drach mit 26, kurz nach Abschluss seines Studiums, berechtigte Hoffnung, den prestigeträchtigen Kleist-Preis für einen Text über den Marquis de Sade zu erhalten. Er wurde vom Chef der Jury persönlich eingeladen, galt als Favorit – nur um dann doch von einer Autorin ausgestochen zu werden. Anna Seghers gewann überraschend, Albert Drach haderte jahrzehntelang mit dieser Niederlage und fragte sich zurecht: Was wäre passiert, wenn er damals, 1928, diesen Preis gewonnen hätte?

So aber fand er einfach keinen Verleger für seine Manuskripte – und 1938 musste der jüdische Rechtsanwalt aus Österreich fliehen, gelangte über Kroatien schließlich nach Paris. Von dort verschlug es ihn  nach Nizza, und in diversen Deportationslagern sprang er dem Tod sprichwörtlich von der Schaufel. „Man kann sich das kaum mehr vorstellen. Aber diese Flucht, dieses ausgeliefert sein, war eine schreckliche Erfahrung für ihn. In meinem Lieblingsbuch von ihm, Unsentimentale Reise, beschreibt er diesen Kampf eines Menschen, der einfach nur überleben will“, erklärt Jeanne Drach.

Als Kind lebte sie im imposanten „Drach-Hof“ in Mödling, als sie neun Jahre alt war, starb ihr Großvater. Wie war der große Schriftsteller eigentlich als Opa? Süßigkeiten ohne Ende, Schoß sitzen und alles erlauben, was die Eltern verbieten?

Jeanne kippt vor Lachen fast vom ergonomisch geformten Wipp-Hocker in ihrem wirklich lässigen Studio. „Nein! So war er gar nicht. Aber ich kann mich gut an lange Spaziergänge erinnern. Er hat spazieren gehen geliebt, und da war ich natürlich auch oft dabei, mit mehr oder weniger Begeisterung“, sagt sie schließlich. Und dem Gesichtsausdruck der jungen Frau kann man entnehmen, dass dem kleinen Mädchen damals ein paar Süßigkeiten ab und an doch lieber gewesen wären als lange Spaziergänge.

„Sogar als er praktisch blind war, ist er immer noch durch die Wälder gewandert, er war auch ein großer Pilz-Experte. Er kannte wirklich alle, die guten und die schlechten.  Es gibt dieses Zitat von ihm: Jede Person muss etwas lieben. Ich liebe Vögel und Pilze. Nur die Pilze esse ich, die Vögel nicht.“

Liebe & FluchtJeannes Mutter Jenny Nickels-Drach verließ den elterlichen Haushalt in Mödling praktisch sofort nach ihrem 19. Geburtstag. In der Podcast-Serie ihrer Tochter meinte sie dazu: „Mein Vater war davon überzeugt, dass Männer nicht anständig sind.“ Deshalb war Albert Drach ein ausgesprochen strenger Vater. „Aus Liebe“, wie sie sagt. Im Geheimen organisierte sie sich eine Au-pair-Stelle in Paris, erst am Abend vor der Abreise erzählte sie ihren Eltern davon. „In einer Woche bist du ohnehin wieder da“, knurrte Albert Drach ihr nach. Und vielleicht wäre Jenny wirklich wieder nach Hause gekommen. Wenn er das nicht gesagt hätte. „Es war sehr schwer“ erinnert sie sich in der Sendung ihrer Tochter. „Ich sprach ja gar kein Französisch. Aber ich wollte einfach nicht, dass er Recht behält.“ Also blieb sie. Viel länger als vorgesehen. Denn in Paris lernte sie damals ihren späteren Mann kennen.

Woher Albert Drachs Misstrauen gegenüber den Männern kam, das ihn dazu brachte, so streng mit seiner Tochter zu sein? Literaturkritiker befanden, er beschreibe sich in seinem Roman Z.Z. selbst als „nicht allzu sympathischen Frauenhelden“. Ein Zusammenhang? Wieder lacht Jeanne Drach ihr ansteckendes Lachen. „Meine Oma meint, er war als junger Mann schon ein Frauenheld. Ich kannte ihn so ja nicht ... Bei seinen Protagonisten ist in dem Zusammenhang doch eine gewisse Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis auffällig. Aber ja, vielleicht ...“

Das Verhältnis der verheirateten Jenny Nickels-Drach zu ihrem Vater war jedenfalls bestens. So ihr Mann, der bei der UNO arbeitete, keine Auslandsposten zu bekleiden hatte, lebte sie mit ihm, Jeanne und deren Geschwistern im Drach-Hof in Mödling. Und auch heute bilden dort sie selbst, ihre Mutter, also Drachs Witwe Gerti, und ihr Bruder mit seiner Frau eine starke Familie.

Jeanne Drach

Als Jeanne Nickels am 17. 8. 1986 in Wien geboren. Durch den Beruf ihres Vaters, eines französischen UNO-Mitarbeiters, reiste sie viel, u. a. war sie zwei Jahre im Senegal, wo sie maturierte. Mit ihrer Firma „Oh Wow“ produziert sie verschiedenste Podcasts (Red Bulletin, Münze  Österreich, Biber), darunter das großartige „Jeannes Welt“. ohwow.eu

Was würde Jeanne Drach, die selbst eine großartige Interviewerin ist, ihren Opa fragen, wenn er bei ihr im Studio für einen Podcast zu Gast wäre? „Ich würde ihn fragen, ob er feministisch ist“, muss sie nicht lange überlegen.

Wie das? Ausgerechnet der strenge Dr. Drach? „Natürlich fällt auch hier eine gewisse Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis auf, er verhielt sich in vielerlei Hinsicht eben so wie ein Mann, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts geboren wurde. Aber im Endeffekt hat er sich immer für Frauen eingesetzt. Auch in seinem Roman Untersuchung an Mädeln, obwohl sein Protokollstil nicht zulässt, dass er Partei ergreift. Aber er zeigt zwei junge Frauen, die Opfer einer patriarchalen Struktur werden – als Leser ist man da schnell auf ihrer Seite. Und ich glaube schon, dass er genau das wollte.“

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

Kommentare