After-Baby-Body: Wie sich Frauen ständig selbst optimieren müssen
Sie muss nach der Geburt perfekt aussehen und lächelnd wieder arbeiten gehen. So zeigen es Mütter auf Social Media vor. Eine Soziologin über den Druck auf Mütter nach der Geburt.
Hannah Neelemann ist achtfache Mutter, Landwirtin… und tritt dieses Jahr zur "Mrs. World“-Wahl an. Nach der Geburt ihres achten Kindes teilte Hannah kürzlich ein Video, in dem sie die 12 Tage postpartum zeigte. Die Bilder gaben nicht etwa Einblicke in eine Zeit auf der Wochenbettstation. Sie präsentierten das volle Beauty- und Sportprogramm, das Hannah in den knapp zwei Wochen nach der Geburt auf sich nahm – um am Ende perfekt gebügelt im Ballkleid für ihren nächsten Auftritt bei der Mrs-Wahl bereitzustehen. Das Video stieß auf kritische Stimmen: Ist das überhaupt realistisch?
Hannahs Video ist kein Einzelfall. Die Soziologin Eva-Maria Schmidt klärt im Interview über Erwartungen an die Mutter auf: über den Druck, ihren Körper und Geist direkt nach der Geburt vollständig unter Kontrolle zu haben und sich ganz dem Kind hingeben zu müssen; über konservative "Tradwifes" und darüber, dass die Realität oftmals anders aussehen kann als in den sozialen Medien.
Sport, Yoga, Kleider aussuchen und dann noch schnell in die Maske, während das Baby gestillt wird – ein nicht gerade normaler Ausschnitt aus dem Leben einer Frau in den Tagen direkt nach der Geburt. Das Video der Mrs. America Hannah Neelemann (@ballerinafarm) ging schnell viral. Doch in den Kommentaren nahmen es viele Menschen mit gemischten Gefühlen auf. Manche gratulierten ihr dazu, wie unglaublich sie nach der Geburt aussieht. "Es verschlägt mir die Sprache, dass du gerade erst dein achtes Kind hattest und jetzt diesen Wettbewerb machst!“, schreibt ein Nutzer. Andere übten Kritik. "An alle neuen Mamas: DAS ist nicht normal. Vergleicht euch nicht mit anderen, vor allem nicht auf Social Media.“
Die Kritik ist nicht unberechtigt. Auf TikTok und Instagram gibt es zahlreiche Videos, die sich um den "After-Baby-Body“ drehen – ein Begriff, der an sich bereits sehr kontrovers ist. Hiermit meinen die meisten nicht etwa den Körper der Frau nach der Geburt (egal, in welcher Form), sondern eher einen Idealzustand. Die Direktive lautet: Am besten sollte die Mutter gleich nach der Geburt wieder aussehen, als wäre sie nie schwanger gewesen und hätte nie einen Geburtsprozess durchlebt.
Das (nicht ganz so) moderne Rollenbild der Mutter
Sie muss sofort nach der Geburt wieder in die Klamotten passen, die sie in Zeiten vor der Schwangerschaft getragen hat. Sie muss perfekt gestylt das Neugeborene stillen und für den Rest der Familie Essen kochen. Und sie muss es mit Freude tun. Für die Soziologin Schmidt sind solche Anforderungen nicht überraschend. "Die Erwartungen an die Mutter bilden sich bereits lange vor der Geburt“, meint sie. "Es beginnt mit gewissen Normen darüber, wie ein Körper überhaupt aussehen sollte, um ein Kind tragen zu können. Danach geht es um Vorstellungen über die Schwangerschaft selbst. Die Geburt sollten Mütter dann am besten ohne Stress oder Aufregung durchplanen.“
Und dabei noch immer hübsch lächeln bitte. Eine klischeehafte und doch weit verbreitete Erwartung an die Mutter ist, dass sie das Wunder der Geburt trotz Schmerzen genießen sollte – da gibt es keinen Platz für negative Emotionen. "In den letzten Jahren hat sich mehr und mehr die Erwartung entwickelt, als Mutter die Kontrolle zu behalten. Sie soll nicht nur Kontrolle über das Kind gewinnen, sondern auch Kontrolle über den eigenen Körper, bis hin zur Kontrolle der Emotionen“, erklärt Schmidt.
Warum das alles nötig ist? Sollten Zweifel aufkommen, wird sofort auf mögliche Konsequenzen in der Zukunft hingewiesen. Wenn die Mutter beispielsweise durch eine Wochenbettdepression nach der Geburt negative Emotionen zeigt, wie wirkt sich das auf das Kind und die Familie aus? "Gute" Mütter denken an diese Dinge. "Von Eltern wird erwartet, dass sie sich ständig selbst optimieren, und auch das Wohlbefinden des Kindes bestmöglich gewährleisten“, so die Expertin. "Ihnen scheinen unzählige Optionen offenzustehen für Entscheidungen, die für das Kind getroffen werden müssen – mit Folgen, die scheinbar bis ins Erwachsenenalter reichen können. Die Elternschaft ist so verantwortungsgebunden und intensiv wie noch nie." Gefordert wird also nicht mehr und nicht weniger als die vollständige Hingabe der Mutter, sowohl geistig als auch körperlich.
Beschönigung der Wirklichkeit
In Bezug auf ihren Körper müssen sich Frauen direkt nach der Geburt allerlei Erwartungen in den sozialen Medien stellen. So ging es auch Schauspielerin und Model Kate Upton, die im Jahr 2020 in einem Instagram-Post über ihre Erfahrungen sprach. "Als frischgebackene Mutter fühlt man sich durch die sozialen Medien unter Druck gesetzt, sofort nach der Geburt wieder seine alte Figur zu haben", schrieb sie.
Eva-Maria Schmidt weist darauf hin, dass das Thema vor allem in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit bekommen hat: "Durch die sozialen Medien haben Mütter viel mehr Präsenz im öffentlichen Raum." Aus diesem Schmelztiegel an unterschiedlichen Meinungen im Netz wiederum vergleichen sich Schwangere und Mütter unaufhörlich mit anderen Müttern. Dieses Bild, das zum Vergleich dient, ist allerdings in den sozialen Medien besonders eingeschränkt und beschönigt.
Verschiedene Untergruppen bewegen sich auf TikTok und Instagram auch mehr und mehr in konservative Richtungen. Der Hashtag #tradwife (traditionelle Ehefrau) hat beispielsweise auf TikTok bereits mehr als 350 Millionen Aufrufe generiert. Darunter findet man zahlreiche Videos, die ein traditionelles Rollenbild der Frau und Mutter präsentieren. Die Soziologin Schmidt sieht darin eine Rückkehr zu perfekten Idealvorstellungen einer früheren Zeit: "Es ist eine Reaktion auf instabile gesellschaftliche Entwicklungen, die wir derzeit global erleben. Man sieht die Tendenz, dass Menschen sich auf traditionelle Werte zurückbeziehen. Es dient als kurzfristiger Ausweg, der langfristig nichts daran ändert, dass diese Frauen irgendwann ohne eigenes Einkommen dastehen könnten, wenn die Ehe nicht hält.“
Und nicht nur auf Mütter, die gerade ein Kind bekommen haben, üben Beschönigungen in den sozialen Medien großen Druck aus. Auch Frauen, die einen Kinderwunsch haben oder sich noch nicht im Klaren darüber sind, können dadurch überfordert sein. "Das führt vermutlich auch bei der ein oder anderen dazu, den Kinderwunsch nicht zu realisieren", gibt Schmidt zu bedenken. "Das betrifft nicht nur körperliche Anforderungen und Schönheitsideale, sondern auch Gedanken darüber, wie man sich selbst verwirklicht: 'Wie kann ich mein Leben eigenverantwortlich gestalten als Mutter? Kann ich überhaupt eine Karriere verfolgen?'"
Die Realität sieht häufig anders aus
Rihanna verriet nach ihrer letzten Schwangerschaft im Interview der British Vogue Anfang letzten Jahres, wie schwierig allein die Kleiderwahl direkt nach der Schwangerschaft sein kann. "Sich für die Schwangerschaft anzuziehen war ein Kinderspiel“, meinte sie. "Die Woche, in der ich aus dem Krankenhaus nach Hause kam, bestand nur aus Sweatshirts und Kapuzenpullis. Aber in den Wochen danach weiß man nicht, was man anziehen soll. Alles ist zu klein oder zu groß.“ Von Ärzten wird nach der Geburt nicht umsonst eine Wochenbettruhe von sechs bis acht Wochen empfohlen. Der Körper durchlebt während der Schwangerschaft drastische Veränderungen, die sich in dieser Zeit zurückbilden.
Neben körperlichen Veränderungen ist die psychische Belastung nach der Geburt eines der vielen Themen, die in der Öffentlichkeit nicht gerne diskutiert und dadurch unterschätzt werden. Laut RKI leiden 15 bis 20 Prozent aller Mütter nach der Geburt unter einer Wochenbettdepression. Ganze 50 Prozent durchleben in der ersten Woche eine depressiv-labile Stimmungslage, auch bekannt als "Baby Blues".
Den Widerstand bilden Gegenbewegungen in den sozialen Medien. Frauen zeigen realistische Bilder eines After-Baby-Bodys und teilen Unsicherheiten über die Zeit nach der Geburt. "Ich hätte vor meiner Mutterschaft gerne gewusst, dass das Wochenbett eine extrem vulnerable Phase ist, in der Emotionen sich in ihren Extremen zeigen", erklärt beispielsweise Autorin Jana Heinicke in einem Video.
Sängerin Jessi J schreibt in einem Brief an andere Mütter: "Dein Körper war neun Monate lang ein Zuhause für jemand anderen. Deine Organe haben sich bewegt und müssen nun ihren Weg zurückfinden. Deine Gebärmutter bildet sich noch zurück, deine Hormone fliegen und stürzen ab, dein Körper arbeitet so hart wie noch nie. Du bist erschöpft, aber du bist zauberhaft."
Wo man in Österreich Unterstützung findet
Frauen in Österreich haben Anspruch auf Nachsorge durch eine Hebamme. Auch bei einer Hausgeburt oder bei Entlassung aus dem Krankenhaus innerhalb der ersten fünf Tage nach der Geburt sind Hausbesuche durch Vertragshebammen durch die Krankenversicherung abgedeckt (bei Kaiserschnitt, Früh- und Mehrlingsgeburten in den ersten sechs Tagen).
Ressourcen, die das Sozialministerium für Schwangere/Mütter empfiehlt:
- Österreichisches Hebammengremium (hebammen.at)
- Hebammenzentrum (hebammenzentrum.at)
- Geburtsallianz Österreich (geburtsallianz.at)
- Frühe Hilfen (fruehehilfen.at)
- startklar! Informationen zu Schwangerschaft, Geburt und Elternsein (wien.gv.at)
- Frauengesundheitszentren (frauengesundheit.at)
- Frauenhelpline gegen Gewalt (frauenhelpline.at)
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