Hotel Mama

Hotel Mama: Wer Österreichs Nesthocker sind

Laut neuesten Daten ist der typische Nesthocker männlich, Single und sehr zufrieden mit seinem Leben im Kinderzimmer – der Auszug wird zumindest geplant

Als "Parasiten" bezeichnete eine italienische Mutter ihre erwachsenen Kinder vor dem Gericht in Pavia. Die "bamboccioni", die Riesenbabys, wollten im Alter von 40 und 42 Jahren weiterhin das Hotel Mama genießen – ohne im Haushalt mitzuhelfen oder sich an den Haushaltskosten zu beteiligen. Da alle Versuche der Mutter gescheitert waren, die berufstätigen Männer davon zu überzeugen, ein eigenes Leben zu führen, zog die 75-Jährige vor Gericht. Und gewann. Die Männer verabschiedeten sich zu Jahresende von ihren Kinderzimmern.

Das Nesthocker-Phänomen heißt in Italien "Mammoni": Angesichts unsicherer Jobchancen ist die Zahl der Italiener, die im Elternhaus wohnen bleiben, angestiegen. Laut Eurostat-Daten leben 66,4 Prozent der Italiener im Alter zwischen 18 und 34 Jahren bei ihren Eltern. Dieser Anteil liegt deutlich über dem EU-Durchschnitt von 50 Prozent – generell sieht man in Europa ein Ost-West-Gefälle, so gibt es in den osteuropäischen Ländern mehr Nesthocker als zum Beispiel in Frankreich, Holland und Deutschland. Männer nutzen das "Hotel Mama" deutlich länger als Frauen, auch in Österreich.

Jeder dritte Mann

Kurz vor Weihnachten veröffentlichte das österreichische Familienministerium den jährlichen Report "Familie in Zahlen 2022". Daraus konnte man ablesen, dass bei mehr als 150.000 Paaren das jüngste Kind im Haushalt 25 Jahre oder älter war. In der Kategorie der verheirateten und verpartnerten Paare würde es sich damit um einen absoluten Rekord seit 1971 handeln. Doch der Schein trügt ein wenig: Die Aufschlüsselung spiegelt nämlich alle Erwachsenen über 25 Jahren wider, die bei ihren Eltern wohnen – also zum Beispiel wieder oder nur vorübergehend wieder eingezogen sind. 

Seriöser sei eine Eingrenzung auf die Altersgruppe der 25- bis 29-Jährigen, erklärt Soziologin Christine Geserick vom Österreichischen Institut für Familienforschung. Sie weiß, wie es um die Nesthocker hierzulande steht: "Wir verzeichnen zwar eine hohe Anzahl von ihnen, aber diese ist nicht weiter gestiegen. Es scheint einen Stopp gegeben zu haben – woran das liegt, kann man nicht sagen. Noch immer ist knapp jeder dritte Mann in Österreich zwischen 25 Jahren und 29 Jahren ein Nesthocker."

Konkrete Zahlen liefert laut der Expertin die Statistik Austria: So lebten 31,5 Prozent der österreichischen Männer im Jahr 2022 mit mindestens einem Elternteil zusammen. Bei den Frauen waren es 18,5 Prozent, also fast jede Fünfte. Blickt man auf das Jahr 2004 zurück, dann lebten damals 35 Prozent der Männer und 17,7 Prozent der Frauen im Hotel Mama. In Österreich fehlen Studien, die nach den Motiven fragen, warum Erwachsene im Hotel Mama wohnen oder warum sie doch noch ausziehen.

Wissenschafter wie Geserick können daher nur interpretieren, mit welchen Daten diese Entwicklung korrelieren könnte. "Von den 1970ern bis in die mittleren 2000er stieg die Anzahl von Erwachsenen, die bei ihren Eltern wohnen blieben. Parallel fand die Entwicklung statt, dass bestimmte Ereignisse wie Eheschließungen oder Familiengründungen später stattfanden." Das Stagnieren auf hohem Niveau könnte also eventuell damit zusammenhängen, dass diese Meilensteine im Leben nicht mehr weiter nach hinten geschoben werden könnten, so die Forscherin. Dass also das Maximum erreicht sei.

Nesthocker arbeiten

International analysiert das "Generations and Gender Programme" der Vereinten Nationen insbesondere die Eltern-Kind-Beziehung in teilnehmenden Ländern – in Österreich startete die aktuelle Erhebung Ende Oktober 2022 und konnte Mitte März 2023 abgeschlossen werden. Aufgrund dieser Daten kann Geserick zumindest ein Motiv für die nächste Altersgruppe, nämlich jene der 25- bis 34-Jährigen, ausschließen: Was den Erwerbs- und Beschäftigungsstatus angeht, gibt es zwischen Nesthockern und anderen Gleichaltrigen kaum Unterschiede. In einer Ausbildung befinden sich nur 16 Prozent der Nesthocker, 70 Prozent haben in dieser Altersgruppe einen Job. Das zeigt, dass Nesthocker nicht wirtschaftlich abhängiger sind.

Die Unterschiede liegen eher im Bereich von Partnerschaft und Familiengründung. Das Durchschnittsalter zum Zeitpunkt des Zusammenziehens mit dem ersten Partner oder der ersten Partnerin beträgt in Österreich 27 Jahre. Dabei gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern: Frauen ziehen im Durchschnitt vor ihrem 26. Geburtstag mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin zusammen, während Männer dies erst mit durchschnittlich 28 Jahren tun.

Bei den 25- bis 34-jährigen Nesthockern hat deutlich mehr als jeder Zweite aktuell keine Partnerin bzw. keinen Partner, wohingegen dies bei jenen, die nicht mit den Eltern zusammenwohnen, nur auf jeden Fünften zutrifft. Ebenso sind Nesthocker etwas seltener sexuell aktiv. Unabhängig vom Beziehungsstatus geben 53 Prozent an, dass sie innerhalb der letzten vier Wochen Geschlechtsverkehr hatten, im Vergleich zu 77 Prozent derjenigen, die ohne Eltern wohnen.

Endlich raus mit dir ins Leben: Wenn junge Männer einfach nicht flügge werden wollen 

©Getty Images/iStockphoto/chuntise/istockphoto.com

Hohe Zufriedenheit

Übrigens sind noch nicht flügge gewordenen Erwachsenen mit ihrer Lebenssituation zufrieden: Sogar zufriedener als jene, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnen. Auf einer Skala von 0 bis 10 erreicht ihr durchschnittlicher Zufriedenheitswert 8,3 – Gleichaltrige, die nicht mehr im Kinderzimmer wohnen, kommen "nur" auf einen Wert von 7,7. Drei Viertel der Nesthocker bewerten ihre Wohnstätte mit dem Maximalwert von 10. Falls sich unter den Lesern der eine oder andere fragt, wann die Spätzünder flügge werden: Zumindest jeder Zweite plant in den kommenden drei Jahren einen Auszug.

Dieser Beitrag steht mit umfangreichen Zusatzinhalten für den Unterricht auf WAS JETZT SCHULE zur Verfügung.
©WAS JETZT SCHULE
Anita Kattinger

Über Anita Kattinger

Leidenschaftliche Esserin. Mittelmäßige Köchin. Biertrinkerin und Flexitarierin. Braucht Schokolade, gute Bücher und die Stadt zum Überleben. Versucht die Welt zu verbessern, zuerst als Innenpolitik-Redakteurin, jetzt im Genuss-Ressort.

Kommentare