World Wide Weben: Abstrakt und farbgewaltig
Von der deutschen Bauhaus-Vorreiterin Anni Albers bis zum Südafrikaner Igshaan Adams – die Textilkunst wird nicht mehr länger unter den Teppich gekehrt.
Ein an der Wand montierter aserbaidschanischer Teppich, der sich, so scheint es, Faden für Faden auflöst. Er rinnt förmlich von der Wand auf den Boden. Ein wie zerfranst aussehendes Webstück, das an die Zeit der Apartheid in Südafrika erinnert.
Darüber montiert: filigrane Drahtobjekte, die aus der Entfernung an Wolken erinnern. Und ein Dior-Laufsteg, den eine stilisierte Krake fest im Griff hat – ihre Tentakel: mit edlen Stoffen bezogen. Drei Szenarien, die gleich zu Beginn zeigen sollen, dass es bei textiler Kunst nicht um liebliche Tischdeckchen oder folkloristische Trachtenstickereien geht.
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Kunstrichtung Wandteppich
Ja, es wird gestickt, gewoben, auf Stoff oder mit Fäden gemalt – auf höchstem Niveau, als Kunst. Wer sich den Wandgemälden des Mallorquiners Toni Garau nähert, wird einen Moment brauchen, um es zu realisieren: Die minimalistischen Farbverläufe sind nicht etwa aus Acryl oder Öl, nein, das sind Fäden. Dünne Schnüre, die sich um die Leinwand spannen. Eine geniale Idee und eine Optik, die sich auch im Stadtloft gut macht. Das gilt auch für die Werke von Fritz Riedl, einem Pionier der österreichischen Textilkunst, dessen Werke bis vor Kurzem in der Linzer Galerie Brunnhofer ausgestellt waren.
Das Interesse war enorm, man merkt, dass die Begeisterung für diese Kunstform – und insbesondere dem Bildteppich – neu entflammt ist. Einen besonderen Auslöser hierfür habe es nicht gegeben, meint Galerist Stefan Brunnhofer. Es handle sich schlichtweg um ein "Revival, so wie es jede Kunstform immer wieder erlebt."
Ein Indiz für diesen Special-Interest-Trend sind auch die Wandbehänge, die von immer mehr Designgrößen auf den Markt gebracht werden. Patricia Urquiolas Kollektion (für CC-Tapis) hat auf der letzten Salone-Messe in Mailand Kunst und Design auf neue und digital unterstützte Art und Weise miteinander verwoben. Auch Künstler entwerfen Teppiche, etwa für namhafte Brands wie "Rahimi & Rahimi", wo sogar nach Entwürfen von Hermann Nitsch und Vivienne Westwood geknüpft wurde. Ali Rahimi, der im MAK-Vorstand sitzt, weiß: "Die Menschen investieren wieder mehr in Kunst, auch jene, die am Boden liegt – oder aber an der Wand hängt."
Stefan Brunnhofer teilt diese Einschätzung: "Der abstrakte, farbenkräftige Bildteppich kommt derzeit am besten an." Das trifft auf Fritz Riedl mit seinen geometrischen Kompositionen ebenso zu, wie etwa auf die Bauhaus-Studentin Anni Albers, deren Entwürfe bis heute von Haute Couture-Designern zitiert werden. Wer einen hastigen und oberflächlichen Blick in die "Diese Textildesigner müssen Sie kennen“-Listen wirft, bekommt schnell den Eindruck, das Genre wäre etwas angestaubt.
Das sind die Fadenzieher
Viele der großen Namen wie Riedl oder Albers sind längst verstorben und die noch lebenden Webstuhl- und Spulen-Meister sind selten U50 und fast immer Frauen. Kein Wunder für Stefan Brunnhofer: "Junge Künstlerinnen und Künstler werden eher nicht den Weg des Webens einschlagen, da die Herstellung mühevoll und zeitaufwendig ist; auch wenn das Interesse daran groß ist. Der Zeitaufwand wird in der Kunst in der Regel ja nicht bezahlt.“ Dazu kommt, dass das textile Schaffen lange nicht der Stoff war, aus dem Sammlerträume waren, wie Albers einst resümierte: „Wenn ein Werk aus Fäden gemacht ist, hält man es für Handwerk; wenn es auf Papier ist, gilt es als Kunst."
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Dazu kam der Faktor Geschlechterrollen. In der Weberei-Klasse am Bauhaus studierte 1925 mit Albers kein einziger Mann. Das hat Auswirkungen bis heute. Nichtsdestotrotz: Es gibt sie, die jungen andersdenkenden, die Freigeister. Man findet sie in Aserbaidschan, in Südafrika, auf Mallorca bzw. in internationalen Galerien. Noch bis 16. Dezember in London: "Primêre Wentelbaan", Werke des Kapstädter Künstlers Igshaan Adams.
Der 41-Jährige thematisiert in seinen Installationen seine Wurzeln, die nicht einfachen Bedingungen, unter denen er aufgewachsen ist. Adams verarbeitet Satellitenaufnahmen in Webereien und lässt Wolken aus goldenem Draht und Perlen im Raum schweben. Die Wolkengebilde sollen an Staubaufwirbelungen erinnern, die von Tanzenden losgetreten werden. Adams Intention: ein Gefühl von "kollektiver Freude und Freiheit".
Wer sich von textiler Kunst wie dieser umgarnen lässt, bekommt so viel mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Die Tiefe der Werke, ihre Haptik sind unübertroffen. Die Stoffe umhüllen den Betrachter mit Wärme und transportieren gleichzeitig auch oft Geschichten, die diese Oberflächlichkeit spielend durchbrechen. Und, dass nur so ganz nebenbei: Wer sich etwa für Wandteppiche entscheidet, tut auch der Raumakustik etwas Gutes.
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