Mode von Morgen: Algen, Rinden und digitale Daten sind die Haute Couture der Zukunft

Verringerte Modeproduktion, lukratives Web 3.0. Neue Hightech- und Bio-Materialien, nachhaltige Produktion - wie Modedesigner und Luxuslabels die Zukunft entwerfen

Die Zukunft der Mode hat begonnen. Mit einem Blick zurück. Und einem nach vorne. Und mit Umdenken. Wer hätte je gedacht, dass sich Designer im 21. Jahrhundert auf Traditionen ihrer Urgroßmütter beziehen würden? Wie etwa auf selbstgewebte Garne? Oder Handvernähtes, das bis heute das Wesen der Haute Couture ist? Vom Jung-Designer bis zu internationalen Modelabels sind alle dabei, neue Techniken, Materialien und Ideen zu entwickeln, um die Mode an Umwelt und Anforderungen der Zukunft anzupassen. Vieles ist noch in Entwicklung, aber einiges ist schon jetzt im Alltag zu finden, wie zum Beispiel mit dem Körper interagierende Jacken.

Die Run-Division-Aerogami-Jacke von Nike reguliert selbstständig die Luftzufuhr

©Nike Aerogami

Nike entwickelte für die Run-Division-Aerogami-Jacke einen Stoff mit Belüftungssystem, der selbstständig auf den Körper reagiert, ihn erhitzt oder abkühlt. Oder Mode aus dem 3-D-Printer. Eine Technik, die schon bei Dior, Nike & Co eingesetzt wird.

 

 

Ein Herrenschuh aus dem 3D-Printer. Der Carlo Derby FW 24 von Dior

©Andrea Cenetiempo

Auf der anderen Seite haben Luxuskonzerne den virtuellen Raum erobert. Und schaffen dort Sehnsuchtsorte der Luxus-Mode für Auserwählte, die im realen Leben nicht möglich wäre. Botschaften, die das Bewusstsein für Umwelt und Nachhaltigkeit wecken sollen, werden gratis in den digitalen Kleiderschrank dazu gepackt.

Modekonsum mit gutem Gewissen

Dass man sich Gedanken darüber machen sollte, welchen Wert unsere Kleidung heute hat, zeigt die aktuelle Ausstellung Critical Consumption im Wiener MAK. Ständig neue Trends, Textilriesen, die jährlich Dutzende Kollektionen unter oft schlechten Produktionsbedingungen auf den Markt bringen, geschredderte Neuware internationaler Luxuslabels und die Zerstörung von Ökosystemen durch Produktion und Abfall sind prekäre Themen. Künstler wie Designer suchen heute Lösungen. Die Regeln für verantwortungsvollen Konsum,  wie Upcycling, Caring, weniger waschen, kommuniziert etwa Designerin Stella McCartney mit ihrer Ethical- und High-Fashion schon seit Langem in ihren Zero-Waste-Kollektionen.

Flora Miranda codiert Kleider mittels 3-D-Scanning und -Printing, wie den „Pixel Suit“ (auf dem Foto ganz oben), hier das „Feminize Dress“

©ELSA OKAZAKI

Dass man Mode kaufen kann, hat vor noch gar nicht so langer Zeit begonnen. So war etwa Marie Antoinette, Erzherzogin von Österreich, eine der ersten, die Kleidung zum Nachschneidern importierte – in Form von Miniaturpuppen, den Pandoras, in neueste Pariser Mode gewandet. Erst im 19. Jahrhundert eröffneten die ersten Warenhäuser. Heute möchten Modedesigner diese Entwicklung angesichts der enormen Textilmüllberge, nur 20 Prozent der Altkleider sind unbrauchbar, rückgängig machen. Deshalb forschen immer mehr Konzerne daran, Kleidungsstücke auf persönliche Bedürfnisse zuzuschneiden und weniger zu produzieren. Wie Flora Miranda. Die Mode-Wissenschafterin entwickelt Software für Designsysteme, um Produktionen zu automatisieren: Kleidung wird  nur dann hergestellt, wenn sie gekauft wird. 

KI als Mode-Produzent

„Die Zukunft der Mode muss nicht immer nach Zukunft aussehen“, sagt Miranda, die der Frage nachgeht, wie Mode sich  im Zeitalter von ChatGPT und KI entwickeln wird. „Ein Blick zurück beinhaltet auch die Wertschätzung der Kleider, die in Zeiten von Fast Fashion abhanden gekommen ist.“ Dabei erinnert sie an tagelange Handarbeit, wie sie etwa für die ersten klerikalen, kostbar gewebten Kleidungsstücke Usus war.
Als Pionierin entwickelt die Salzburgerin KI-Programme, in die sie auch Datensätze der Kunden einprogrammiert. „Es geht mir um virtuelle Entwürfe, die Erforschung neuer Stoffe. Mit den Kleidern will ich dazu anregen, über die Zukunft der Mode nachzudenken.“

Flora Mirandas Ausstellung (Con)temporary Fashion Showcase im Geymüllerschlössel

©MAK/Georg Mayer

Für ihr neues Buch erstellte sie digitale Versionen  der Kleider, die man als Avatar-Modell herunterladen kann. „Die Mode wird  in Zukunft viele Formen haben. Ich will Digitales mit Materiellem verbinden, digitale Prozesse werden immer wichtiger.“
Statements auf T-Shirts und Zitate auf Jutebeuteln – dass Mode Botschaften überbringt, ist nicht neu. Jetzt aber wird ab 2025 ein digitaler Produktpass für jeden Modeartikel im PEF-Programm der Europäischen Kommission (PEF für „Product Environmental Footprint“) verpflichtend eingeführt.  

Mira Haberfellner codiert Kleidung: das Textil gibt beim Scannen, Informationen frei

©mira haberfellner/JUERGEN HAMMERSCHMID

Deshalb beschäftigt sich auch Mira Haberfellner, Studentin der Kunstuni Linz, mit codierter Kleidung. Sie webt Informationen über Materialien, Produktionsbedingungen und ökologischen Fußabdruck direkt in die Textilien ein. Durch Scannen der Stoffe mit dem Handy werden Informationen sichtbar. Sogar persönliche Geschichten der Trägerin will Haberfellner in Zukunft lesbar machen.

Nachhaltig in die Zukunft

Heute haben Modelabels Hightech-Kleidungsstücke im Programm, die zukunftsorientiert und nachhaltig gefertigt werden. Die Carlo Derbies von Kim Jones für Dior werden mit 3-D-Drucktechnik gefertigt und sind zu 100 Prozent recycelbar. Nike entwickelte für den ReactX-Laufschuh einen Spritzschaum, der den früheren -Fußabdruck bei der Herstellung um 43 Prozent reduziert, und setzt als Obermaterial Stoffe ein, die 60 Prozent weniger Abfall produzieren. Immer öfter führen Modekonzerne zudem Refurbished- oder Pre-loved-Programme ein, um getragene Kleidung wieder in den Modekreislauf zu bringen, wie etwa Nike oder H&M.

Pflanzenfarben bei der aktuellen Bam-Kollektion von Levi’s Wellthread

©Levi's X ERL

Um wiederum Schadstoffe bei Färbeprozessen zu reduzieren, entwickelt etwa das US-Biochemie-Unternehmen Nature Coatings, das von Hollywood-Star Leonardo DiCaprio unterstützt wird, biobasierte Pigmente und Lacke aus Lebensmittelabfällen. Eingesetzt werden diese beim Färben von Stoffen oder Leder, neuerdings bei der Bam-Kollektion von „Levi’s Wellthread“. Alte japanische Handwerkskunst, rohe Naturmaterialien und Computer-Technik verband Architekt Kengo Kuma für die Herrenmodekollektion 2024 für die Fendi-Accessoirekollektion.

Kengo Kuma setzt für die Accessoirekollektion von Fendi auf Washi-Papier, geflochtenen Bambus, Birkenrinde und Olivenholz

©Hersteller

Auch Design-Studenten entwickeln neue Stoffe wie Biomaterialien oder E-Textilien. So setzt Selina Stangelmaier auf Braunalgen. „Ich habe ein Material aus Alginat, einem Pulver, das aus getrockneten Algen gewonnen wird, entwickelt. Durch die Zugabe von Glycerin und Wasser entsteht eine Mischung, die sich zu Garnen sowie Flächen verarbeiten lässt“, so die Studentin, die bei Ute Ploier „Fashion & Technology“ an der Kunstuniversität Linz studiert. 

Designerin Selina Stangelmaier erforscht Braunalgen, um in Zukunft Kleider daraus zu fertigen

©Selina stangelmaier

Braunalgen zählen zu den am schnellsten wachsenden Organismen auf unserem Planeten und könnten bis zu 20 Mal mehr  aus der Atmosphäre aufnehmen als Wälder.

Der Anzug von Designer Tanguy Mélinand für Seaweedworks wurde aus Meeresalgen gewebt

©Seaweedworks

Die Plattform Seaweedworks fördert Arbeiten von Künstlern, die Algen als nachhaltiges Material verwenden, etwa Designer Tanguy Mélinand, der für seine Kollektion Algen aus dem Ozean erntet.

Marielies Luger verwertet Garnreste für neue Produktionsprozesse

©marlies luger/JUERGEN HAMMERSCHMID

Und die junge Designerin Marielies Luger entwickelte auf der Kunstuniversität Linz eine Technologie, die industrielle Garnreste zu Kleidungsstücken verwebt. 

Digitaler Luxus

Um Nachhaltigkeit und faire Produktionsbedingungen zu kommunizieren, nützen große Luxuskonzerne wie LVMH, Cartier, Diesel, Tiffany & Co zwar das Metaverse, setzen dabei aber gleichzeitig auf  Umsatz. Der erste virtuelle Verkauf war 2019 ein Kleid von „The Fabricant“  um etwa  9.500 US-Dollar. Gucci war mit seinem Aria-Film die erste Luxusmarke im Metaverse, er wurde 2021 für 25.000 US-Dollar versteigert.
Wer heute den VIA Treasure Trunk – Louis Vuittons digitales Sammlerstück – via Kryptowert NFT um etwa 39.000 € kauft, bekommt die Freigabe, auch echte  limitierte Produkte des Labels erwerben zu dürfen.

Den VIA Treasure Trunk,  ein  digitales Sammlerstück, gibt es am NFT-Markt um etwa 39.000 €. Von Louis Vuitton 

©Hersteller

Tiffany & Co ist kulanter und schenkt Besitzern von CryptoPunk im Wert von 50.000 US-Dollar handgefertigte goldene Schmuckanhänger der Kollektion  „NFTiff“, im Design des virtuellen Abbilds, dazu.  Web3-Ikone Rebecca Minkoff, brachte die Taschenkollektion Minkoff x  DressX auf der Plattform Mavion heraus. Die limitierte digitale Handtasche um etwa 300 € wurde für einen wohltätigen Zweck kreiert. Die Plattform will das Bewusstsein für die Wohltätigkeitsorganisation Winweb3 wecken und Mittel sammeln, um Frauen und Kindern in Krisengebieten zu helfen. Schön, dass das Umdenken in der Mode begonnen hat und der virtuelle Raum auch nachhaltige Botschaften vermittelt.

Florentina Welley

Über Florentina Welley

Mag. Florentina Welley schreibt seit 2006 als Lifestyle-Autorin über ihre Lieblingsthemen: Mode, Reise, Design und Kunst. Darüber hinaus konzipiert sie Shootings, kuratiert auch Kunst- und Designevents. Auch Film-Erfahrung hat sie, etwa als Co-Produzentin für den Spielfilm „Die toten Fische“, darüber hinaus ist sie in Werbung und Medien bekannt für Konzepte, Textierungen jeden Genres und Modeproduktionen samt Styling, Regieassistenz, Ausstattung und Kostümbild.

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