Trendsetter, DIY oder schrill: Welcher Christbaumschmuck-Typ bist du?
Kein Christbaum gleicht dem anderen – denn auch beim Schmücken gilt: Hoch lebe die Individualität. Eine nicht ganz ernst zu nehmende Typologie des Christbaum-Aufputzens
Von Gabriele Kuhn (Text) und Michael Pammesberger (Illustrationen)
Die Traditionalisten
Nur nix Neues. Für immer und ewig ruht dieser Glaubenssatz in den Herzen und Köpfen der Baum-Traditionalisten. So war das, so muss es bleiben, schwört sich der Vergangenheits-Optimist auf den Zauber von gestern ein. Aus modrig riechenden Pappschachteln angelt er alte Werte: silbrig glänzende Christbaumkugeln, die schon damals perfekt mit dem toupierten Haupt der Hausfrau harmonierten. Etwas zu grell geratene Zapfen und Tropfen, Marke Gablonz. In die Jahre gekommene Rauschgoldengel, die leise daran erinnern, dass nix ewig währt und selbst Heilige an Arthritis leiden können. Glöckchen, Herzchen, Sternchen, wuschelige Baumketten in Gold und Silber – vielleicht muffeln sie immer noch nach gebackenem Fisch. Und Lametta, genau. Einst Symbol des Wirtschaftswunders, je mehr davon am Baum hing, desto besser verdiente Vati.
Und schließlich dieses Engelshaar, das mickrige Fichten in elegische Trophäen aus Glanz, Gloria, Glückseligkeit und Windringerln verwandelte. Absolute Krönung: der Christbaumspitz. Ein Erbstück, das den Traditionalisten Tränen in die Augen treibt. Erst wenn der Spitz sitzt, ist alles gut.
Die Trendsetter
Fashionistas überlassen das weihnachtliche Herumdilettieren den Ahnungslosen und blättern lieber früher als zu spät in der Vogue, um aus den Herbst-/Winter-Kollektionen rechtzeitig die Modefarbe der aktuellen Baum-Saison zu antizipieren.
Heuer: frisch interpretierte Blautöne, zartes Pastell, erdige Akzente. Très hygge! Idealerweise harmonieren Tischwäsche, Schuhe und Lidschatten mit den Farben des Baumschmucks. Auch Rüschen und Schachbrettmuster sind dieses Jahr gerne gesehen. Und Vintage! Wie aufregend. Das lässt die Herzen der Trendsetter höherschlagen.
Also gilt es, den 897 bereits vorrätigen Pretiosen aus vier Jahrzehnten noch weitere 83 aktuell angesagte hinzuzufügen. Dafür schwärmt man erst zu den Edelfloristen oder Deko-Göttern des Vertrauens aus, um danach das Fest als Mode-Statement zu feiern. Mit Label-Schmuck, der zur Handtasche passt und sich auch im Ohr gut machen würde. Fesches Fest!
Die Perfektionisten
Sie überlassen den Zufall jenen, die keinen Plan haben. Der Perfektionist hingegen weiß nicht nur, wo der Bartl den Most holt und den besten Karpfen fürs Festmahl, sondern auch die vollendete Nordmanntanne.
Dafür rückt dieser Christbaum-Typus mit Maßband, Wasserwaage und Notizblock aus, um tagelang bei diversen Baumverkäufern nach dem idealen Modell zu fahnden. Nur der Vergleich macht sie sicher. Und dieser kleine Fräsbohrer, mit dessen Hilfe der Baum gepimpt werden kann. Aktion Schönheits-OP: Ein Loch wird in den Stamm gebohrt, der zusätzliche Tannenzweig hineingesteckt, schon wirkt das gute Stück makellos. Das Aufputzen des Kultobjekts wird da wohl länger dauern: Für Perfektionisten sollte der Abstand der Kugeln zueinander in harmonischer Quadratwurzel zum Arrangement der Leuchtketten gegeben sein, idealerweise achsensymmetrisch arrangiert.
Und jetzt alle: O Tannenbaum, o Tannenbaum, du kannst mir sehr gefallen.
Die Selbermacher
Bastelsendungen sind für die Selbermacher so aufregend wie für andere der Directors Cut von „Das Schweigen der Lämmer.“ Heute nennen sich diese Menschen Do-it-yourself-Fans, haben ein Nahverhältnis zu ihrer Klebepistole und treiben sich auf Instagram herum. Wo sie einander mit Sätzen wie „Wow, voll toll!“ oder „Supi, muss ich mal probieren!“ ermutigen. Sowie mit Tipps, Motto: „5 DIY-Inspirationen mit Sachen, die jeder zu Hause hat“. In der Vorweihnachtszeit ist dann nichts mehr vor ihnen sicher, aus Zahnbürsten, Klorollen, Eierkartons oder den alten Babysocken des Pubertierenden entsteht „zauberhafter Baumschmuck“. Zarte Sterne aus Zahnstochern, oder das Unikat „Schlitten aus alten Wattestäbchen“. Vermutlich können Selbermacher sogar aus einem Hundegacki-Sackerl noch einen feschen Stern falten, vorausgesetzt, es sind noch Bügelperlen im Haus. Wie sagte Werner Heisenberg, der Physiker? „Die Ideen sind nicht verantwortlich für das, was Menschen daraus machen.“ Ihr Kinderlein, bastelt.
Die Schrillen
Bis zum Heiligen Abend haben die Schrillen mindestens 99 Male „Last Christmas“ gehört, sowohl in der Extended- als auch in der Après-Ski-Version. Auffällig düdeln tut es bei diesem Typus nicht nur musikalisch, sondern auch auf dem Christbaum. In Gestalt schrill blinkender Lichtinstallationen, die die Wohnung in eine nervös zuckende Weihnachtsdisco verwandeln. Absolutes Muss: total verrückte Kugeln.
Morgen, Kinder, wird’s was geben:
fliegende Kühe, güldene Bierkrüge, rosa Dackel, Frösche mit Weihnachtshauben, freche Zwerge, nackte Damen, blaue Schweine, Schmuck in Form von Essiggurkerln oder Coronaviren.
Der „schrille“ Christbaum gilt als radikale Absage an alles Durchschnittliche – Botschaft: „Fad kann jeder, Unsinn weckt die grauen Zellen.“ Und so tendieren Crazy-Tree-Aficionados mitunter zum künstlichen Christbaum, der so manche Vorstellungsgrenze sprengt: das Modell, das schneit, mit Schirmfuß in Blitzgrün oder Wildrosen-Rosa. Oder jenes, das von der Decke hängt. Verkehrte Welt, platzsparend noch dazu. Wham!
Die Ökos
Hoch lebe der Baum, und zwar im Topf. Tote Ware kommt den „Ökos“ naturgemäß nicht ins Haus, man setzt das Baumkind viel lieber im Garten aus und verwendet es im Sommer als nachhaltigen Schattenspender. Oder gibt es als „Rent a tree“-Exemplar wieder an den Christbaumwald zurück. In diesem Sinne gestaltet sich auch der Baumschmuck, den man nach Art des Eichhörnchens sammelt und rechtzeitig drauf schaut, dass man’s hat, wenn man’s braucht. Ab ins Körbchen mit Kastanien, Eicheln, Blättern, Moos und Körnern, die man Vogerln aus ihren Häuschen fladert. Nachwachsende Rohstoffe, die mit veganen Farben bemalt werden dürfen. Gerne werden rotbackige Äpfel verwendet, die als Mus im Glas enden und sich auch noch als Ostergeschenk gut machen. Unter Absingen von Mantras töpfern sich die Umweltbewussten den Christbaumspitz, danach: Waldbaden mit den Heiligen Drei Königen und Königinnen, weil: gendergerecht! Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
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