Dagobert Peche: Der Punk der Wiener Werkstätte
Dagobert Peche widersetzte sich der geometrischen Strenge der Wiener Werkstätte. Er tobte sich aus. Das Wiener MAK widmet ihm eine große Ausstellung.
Er ist echter Ornament-Tornado im sonst so geometrisch durchgestylten Reich von Josef Hoffmann. Er ist der Punk der Wiener Werkstätte: Dagobert Peche. Wo andere auf schicke Zurückhaltung in Gold, Beige oder Schwarz setzen, lässt er es richtig krachen – mit Farben, Formen und einem unbändigen Gestaltungswillen.
Statt auf gradlinige Strenge zu vertrauen, pflanzte er opulente, von der Natur inspirierte Designs in die Welt. Und wozu Logik bei Gebrauchsgegenständen? Bei Peche ist das Konzept maximal flexibel.
Regeln interessieren ihn nicht: "Er hängt die Vorhänge nicht vor das Fenster, sondern dazwischen. Er schafft keine eckigen Räume, also keine normalen, quadratischen oder rechteckigen, sondern runde, achteckige, taillierte", sagt Anne-Katrin Rossberg.
Bei Dagobert Peche ist alles ein Experiment
Materialgerechtigkeit, dieser damals heiß diskutierte Begriff, ist ihm egal. "Bei ihm ist alles ein riesiges Experiment", sagt Rossberg. Sie ist Kustodin der Metallsammlung und des Wiener-Werkstätte-Archivs im Wiener MAK und hat mit der Architektin Claudia Cavallar eine Großausstellung über das Enfant terrible der Wiener Werkstätte kuratiert.
Die Schau "PECHE POP. Dagobert Peche und seine Spuren in der Gegenwart" präsentiert ab 11. Dezember rund 700 Arbeiten und zeigt, wie sie das Design des 20. und 21. Jahrhunderts beeinflusst haben. Und passend zu Peche werden die Besucher im Ausstellungsraum kaum einen rechten Winkel finden.
Josef Hoffmann streut ihm Rosen und spart dabei nicht mit Superlativen: "Nicht einmal alle hundert Jahre, alle dreihundert Jahre einmal nur wird in einem Land ein solches Genie geboren. Dagobert Peche war das größte Ornamentgenie, das Österreich seit dem Barock besessen hat", zitiert ihn die Salondame und Journalistin Berta Zuckerkandl 1923 in ihrem Nachruf auf den Künstler.
Das größte Ornamentgenie als Gehiemtipp
Nach seinem Tod gilt er lange als Geheimtipp. Das änderte sich erstmals 1998 – mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung seines Werkes und mit Ausstellungen im MAK und in der Neuen Galerie in New York.
Der 1887 geborene Künstler stirbt mit nur 36 Jahren an Krebs und Tuberkulose und hinterlässt ein beachtliches Erbe. Nach seiner Kindheit im Salzburgischen studiert er Architektur. Er gilt, wie es Kuratorin Cavallar sagt, als "The Hot Shit".
Er arbeitet unter anderem für Gmundner Keramik und tritt 1915 der Wiener Werkstätte bei. Später leitet er deren Zürcher Filiale. Der in die USA ausgewanderte Architekt und Filmausstatter Joseph Urban verwendet seine Arbeiten für Stummfilme in Hollywood.
Kein Material ist ihm fremd. Peche verwendet Silber, Glas, Keramik, Leder und Papier. Er entwirft Schmuck, Möbel, Stoffmuster und Ausstellungsdisplays.
"Es gibt bei ihm einen Verwandlungswunsch, aus allem etwas Eigenes zu machen, auch aus dem Traditionellen", sagt Rossberg. Dabei greift er auf Kindheitserfahrungen auf dem Land zurück: "Die Almabtriebe mit den geschmückten Rindern haben ihn sicher beeindruckt. Dort fand er den Tand, den er später nutzte: Papierblüten und Paillettenelemente."
Ist das Kunst?
Inspiration holt er sich aus den unterschiedlichsten Ecken: vom britischen Grafiker Aubrey Beardsley, dessen schwarz-weißer Stil ihn beeindruckte, genauso wie vom kühlen Klassizismus oder dem üppigen Schwung des Rokoko. Doch anstatt sich festzulegen, mixt er munter alles miteinander oder spielt sie gegeneinander aus. Verwandlung ist dabei sein großes Thema, nicht nur in Motiven, sondern auch in Materialien.
"Er macht Keramiken, die aussehen, wie gefaltetes Papier. Holz wirkt wie Stoff: Immer unter dem Gedanken, etwas zu verzaubern und Neues aufzumachen", sagt Rossberg. "Man ist sich nie sicher: ist das Kunst, ist das ein Ausstattungsgegenstand?", wirft Cavallar ein.
Auch das Unheimliche hat einen festen Platz in Peches Werk. "Er spielt gerne mit dem Grotesken, Verstörenden", sagt Cavallar. Ein Schrank wirkt mit offenen Flügeltüren wie eine Fledermaus und versprüht eine Stimmung zwischen märchenhaft und düster.
"Er greift auf Scheren- und Schattenrisse zurück, die durch ihre Komposition einen unheimlichen Eindruck machen. Dann gibt es Dinge, die eher aggressiv und spitz sind. Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs sind an sich runder. Bei ihm ist das gar nicht der Fall", sagt Cavallar.
Dann gibt es Stofftiere: weit weg von süß und kuschelig, stattdessen seltsam verzerrt, wie kleine außerirdische Kreaturen "Die Proportionen sind verschoben. Man weiß nie, was man sieht. Die Augen haben einen seltsamen Blick. Überall ragen Tentakel, Schwänzchen, Flügelchen oder andere Auswüchse hervor."
Das Finstere und Gruselige
Dieses Faible für das Unheimliche hat auch biografische Wurzeln. 1919 kehrt Peche aus der Schweiz ins Nachkriegswien zurück – und landet in einer heruntergekommenen Wohnung, die kaum etwas von Glanz oder Hoffnung verspricht. Es ist eine Zeit, in der ihn nicht nur die äußeren Umstände bedrücken: Hier wird er auch an Tuberkulose erkranken. Sich selbst beschreibt er als "Mumie, die schon lange hat geruht in jenem Sarkophag, beklebt mit viel Papier, umwickelt mit den toten Blumen aus Brokat ...".
Aber am berühmtesten sind wohl seine Stoffe mit – wie könnte es anders sein – wildesten Mustern. "Die Struktur, die Formen, die Farben – das ist einfach unverwechselbar", sagt Cavallar begeistert. "Peches Stil ist mutig, fast schon rebellisch. Es ist nicht das, was man sich unter der Wiener Werkstätte vorstellt: kein Gold, kein Schwarz, kein Beige. Stattdessen leuchten Violett, Grün und Farben, die wirken, als hätten sie direkt die letzte Gucci-Kollektion inspiriert."
Tatsächlich: Designer wie Andreas Kronthaler oder Prada haben sich von Peche beeinflussen lassen.
Ausstellung im MAK
PECHE POP im Wiener MAK von Mittwoch, 11. Dezember 2024, bis 11. Mai 2025. Ausstellungseröffnung: Dienstag, 10.12.2024, 19 Uhr, bei freiem Eintritt. mak.at/pechepop
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