Warum können wir Stille so schwer ertragen?
Fragen der Freizeit ... und Antworten, die euch überraschen werden.
Zmm, zmmm, zmmm – der Mann vor mir in der Bim hört eine aberwitzige deutsche Schlagertechno-Version von Skifoan über seine Kopfhörer dankenswerterweise so laut, dass alle anderen auch etwas davon haben. Oder eigentlich nicht, weil tatsächlich alle anderen Fahrgäste ebenfalls mit den Dingern, die so uncool nach elektrischen Zahnbürstenköpfen aussehen, ausgerüstet sind.
Zwei Mädels weiter hinten teilen sich die Kopfhörer und checken gleichzeitig ihr Handy, während die Frau neben mir, nach allem, was man so erkennen kann, etwas von Taylor Swift hören dürfte.
Sogar der distinguierte Herr im Anzug eine Reihe weiter hinten trägt Kopfhörer, vielleicht lässt er sich ja die Börsenkurse vorlesen oder den neuesten Roman von Marc Elsberg.
Es geht jetzt gar nicht so sehr um die Geräuschkulisse, der jemand, obwohl er auf derartige Untermalung eigentlich ganz bewusst verzichtet, ausgesetzt ist, sondern um die Frage: Warum eigentlich?
Warum hält es niemand mehr aus, einmal nichts zu hören? Oder eben das Rattern der Bim, die eigenen Schritte beim Joggen, die Stille an der geheimen Badestelle am Mühlwasser?
Die Antwort ist erschütternd:
Weil wir uns das Bedürfnis nach Dauerberieselung antrainiert haben. Das hat zumindest bereits vor zwölf Jahren eine Studie an der australischen Charles Sturt University ergeben.
Seitdem wurde das Phänomen sogar noch stärker, und es muss, wie beim Anzugträger, auch gar nicht unbedingt Musik sein, auch der Podcast-Hype der letzten Jahre trug dazu bei. Sedatephobia ist die wissenschaftliche Bezeichnung für diese Angst, die es, wie der britische Therapeut Dominic Knight ausführt, „vor 60 Jahren praktisch noch gar nicht gegeben hat“.
Sie komme auch daher, dass wir uns nicht gerne mit uns selbst auseinandersetzen, das Vermögen zur Reflexion verlernt haben.
Frage der Freizeit
Hier schreiben Autoren und Redakteure der freizeit abwechselnd über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftigen.
Die gute Nachricht dabei: Was antrainiert wurde lässt sich auch wieder „abtrainieren“, Verlerntes kann wieder gelernt werden. Denn: Ruhe ist wichtig für uns, da sind sich die Wissenschaftler einig.
Also vielleicht einfach mal beim Laufen auf den eigenen Atem hören, den eigenen Rhythmus finden – und in der Bim ein wenig aus dem Fenster schauen
Aber in Zeiten, da der Schlendrian bei Zugverbindungen eindeutig auf der Seite unserer Lieblingsnachbarn liegt, sind wir einfach etwas großzügig, wenn sie mal wieder nicht wissen, ob sie gehen oder rennen.
Und sagen einfach: Wenn’s laft, dann laft’s!
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